# taz.de -- Schamanen-Treffen in Mexiko: Gegen die bösen Schwingungen | |
> Scheitern, Krankheit, Tod? Helfen Magier mit Tiger-Kontaktlinsen? Ein | |
> Selbstversuch beim Zauberfestival im mexikanischen Catemaco. | |
Bild: Drumherum hat die Stadt Strohhütten aufgebaut, in denen die Schamanen au… | |
Schritte schlurfen über den Steinboden, die Tür des Behandlungszimmers geht | |
auf, und er steht vor mir: Guicho, ein großer, schlanker Mann mit Adlernase | |
und Schnurrbart. Um seinen Hals baumelt ein Schildkrötenschädel, Kojoten- | |
und Krokodilzähne klimpern daran. „Was ist denn los, meine Liebe?“, fragt | |
mich der Schamane mit ruhiger, summender Stimme. | |
Ich bin zum Festival gereist in der Hoffnung, die Beziehung zu meiner | |
besten Freundin zu kitten. Einen richtigen Streit hatten wir nie. Der Raum, | |
den wir uns gegeben haben, ist Stück für Stück größer geworden. Warum also | |
nicht den Zauberern des mexikanischen Catemaco eine Chance geben? | |
An diesem Wochenende kommen Touristen von überallher nach Catemaco im Osten | |
Mexikos, um gemeinsam mit den Magiern das Festival des ersten März zu | |
feiern, sich dort mit Reinigungsritualen von allem Bösen zu befreien und | |
Kenntnisse auszutauschen. | |
Vom Warteraum bis auf den Gehsteig schlängeln sich Plastikstühle. Guicho, | |
der eigentlich Luis Tomás Marthen Torres heißt, ist ein gefragter Mann in | |
Mexiko. Dem Politikmagazin Proceso zufolge vertraut sogar der mexikanische | |
Präsident Enrique Peña Nieto auf den Magier und darauf, dass er bösen | |
Schwingungen ein Schild vorsetzt. | |
## Amulette und Kräuterelexier | |
Im Behandlungszimmer erkläre ich Guicho mein Anliegen, doch der scheint mir | |
überhaupt nicht zuzuhören und kneift stattdessen die Augen zusammen. Sein | |
Blick durchbohrt mich. „Zwischen dir und deiner Aura klafft ein Abgrund, | |
und das Böse ist dir nahe“, sagt er. Wie nahe, und was heißt nahe | |
überhaupt? Scheitern, Krankheit, Tod? Er drückt mir einen Stapel | |
Tarotkarten in die Hand. „Zieh eine, irgendeine.“ | |
Auf meiner Karte prangt ein weibliches Skelett, eine Sense in der Hand. | |
„Der Tod“, murmelt er. „Tod!“, hallt es dumpf in meinem Kopf. Dann fragt | |
er: „Bist du mit deinem ersten Partner im Bösen auseinandergegangen?“ – | |
„Ja“, antworte ich verdutzt. „Er hat dich verhext, damit dir niemand mehr | |
mit Liebe begegnet.“ Die Spannung in mir löst sich wie eine Brausetablette | |
in Mineralwasser. | |
Während ich mir noch vorstelle, wie mein Exfreund in Franken ums Feuer | |
tanzt und mich mit einem Fluch belegt, präsentiert Guicho mir ein Amulett | |
und ein Kräuterelixier. „Damit reibst du dir täglich die Brust ein, und in | |
einer Woche ist der Fluch gebannt“, sagt er. Ich wühle in meiner Handtasche | |
nach meinem Geldbeutel. Den Preis für die Express-Analyse mit Amulett und | |
Tinktur überlässt Guicho gern dem Ermessen des Patienten – unter 15 Euro | |
liegt das selten. Ein lascher Händedruck, dann schiebt er mich raus und | |
brüllt „Nächster!“ Neugierig schnuppere ich an der grünen Brühe: Sie ri… | |
nach Aftershave. | |
## Aztekische Tänzer in Trance | |
Von Guichos Praxis sind es nur ein paar Blöcke bis zum Ufer der Lagune. | |
Wolken hängen über der Wasseroberfläche wie ein nasser Waschlappen vor dem | |
Auswringen. Aus der Ferne dröhnen die Muschelhörner, und ich folge ihren | |
Rufen die Uferpromenade entlang bis zu einer kleinen Halbinsel am | |
Stadtrand: das Festivalgelände. Wie in Trance stampfen die aztekischen | |
Tänzer, die Concheros, ums Lagerfeuer. Drumherum hat die Stadt Strohhütten | |
aufgebaut, in denen die Schamanen auf Kundschaft warten. Plakate preisen | |
die magische Palette von Kräuterkunde über Reiki bis zu Tarot. | |
Neben einer der Hütten sitzt Rosaelia Belli Chagala, die einzige Frau unter | |
den Magiern. Ihr Lächeln strahlt warm, nur ihre Augen blitzen wild unter | |
den Tiger-Kontaktlinsen. Ich bleibe stehen. „Deine Aura ist schwach, lass | |
mich dich reinigen.“ Ich weiß nicht, ob es Rosaelias Ruhe oder ihre | |
honigsüße Stimme ist, aber als sie den Vorhang zur Seite schiebt, schlüpfe | |
ich hinter ihr ins Innere der Hütte. Drinnen flackern Kerzen auf einem | |
kleinen Altar. Kerzengerade stehe ich da, die Augen geschlossen. Rosaelia | |
fächert mir Harzrauch zu, ich sauge ihn ein, lasse meine Gedanken auf die | |
Rauchwolke fallen und meine Bedenken mit ihr davonschweben. | |
## Blütenbad gegendie große Leer | |
Als ich die Augen langsam öffne, ruht ihr Blick auf mir, durchdringt mich. | |
Ich erzähle ihr von der Freundin, die einmal meine beste war und es wieder | |
werden soll. Rosaelia schnauft und schüttelt den Kopf. „Du bist zu stolz, | |
Prinzessin, das blockiert dich. Deine Freundin hat eine große Leere in dir | |
hinterlassen, du wünscht sie dir zurück, aber bisher hast du nichts dafür | |
getan.“ | |
Ihre Stimme ist so sanft, dass sie sich wie eine Wolldecke um mich legt. | |
Rosaelia kritzelt ein Rezept für ein Bad aufs Papier: sieben Zimtstängel, | |
sieben Nelken, sieben gelbe und rote Blüten und drei Löffel Honig. „Du | |
musst deinen Weg versüßen, die Freundschaft wiederaufleben lassen. Sprich | |
mit ihr!“ Ich nicke und lege 200 Pesos in ihr Körbchen. | |
Ob meine Aura jetzt so stark ist wie ein Jaguar? Ich weiß es nicht, fühle | |
mich aber wie nach einem Wellness-Wochenende. Und für 12 Euro war das ein | |
Schnäppchen. Tiefenentspannt schlendere ich über das Gelände und treffe | |
einen Stadtführer. Nach höflichem Hin- und Hergeplänkel beugt er sich zu | |
mir und wispert mir ins Ohr, ob ich um Mitternacht zur schwarzen Messe | |
gehe. „Schwarze Messe?“ Ich horche auf. Das könne ich mir doch nicht | |
entgehen lassen, beiden Seiten der Magie zu begegnen, flüstert er. Die | |
Neugierde kribbelt mir in den Fingerspitzen. Vielleicht kann so der Fluch, | |
von dem Guicho gesprochen hat, gebrochen werden. Ein paar Stunden später, | |
kurz vor Mitternacht, fahre ich mit dem Taxi an den Stadtrand. Hier soll | |
die Messe stattfinden. | |
## Der Kuttenmann und die Teufelsstatue | |
Vor einem Wohnhaus steht eine Spanierin und zieht nervös an ihrer | |
Zigarette. „Auch zur schwarzen Messe hier?“, frage ich. „Eigentlich schon, | |
aber, ne du, es gibt Sachen, die sind echt zu krass“, sagt sie, tritt den | |
Stummel in den Staub, steigt ins Taxi und holpert über die Lehmhubbel in | |
die Nacht. | |
Das Eisentor schwingt knarzend auf. Ein Steingarten mit einem Brunnen. | |
Daran lehnt ein großer Mann mit Kamera und plaudert mit seiner blonden | |
Freundin. Ausländer, Touristen, meinesgleichen! Ich atme auf. Rotes Licht | |
schimmert aus dem Hinterhof. Ein Pentagramm ist dort mit Asche auf den | |
Steinboden gestreut, in der Mitte ein Altar, aus dessen Becken gierig | |
Flammen züngeln. | |
Ein paar Dutzend Leute stehen um das Pentagramm und beobachten den | |
Kuttenmann, der sich vor der Teufelsstatue verbeugt. Beinahe genauso viele | |
Kameras wie Augenpaare sind auf ihn gerichtet, als ein schrilles Lachen die | |
Stille zerschneidet. Eine Frau neben ihm krampft und schüttelt sich. Sie | |
kreischt, lacht und ruft dann ruhig und tief „Danke, dass ihr mich hier | |
sein lasst“, bevor sie in sich zusammensackt. Bin ich gerade Zeugin eines | |
Falls von Besessenheit geworden? Sicher hatte Satan Besseres zu tun, als | |
sich für neugierige Touristen bei einem Showevent vorführen zu lassen. Doch | |
wenn das gespielt war, was ist dann wirklich echt in Catemaco und was nur | |
Hokuspokus? | |
Bevor ich eine Antwort finde, geht es weiter im Programm. Die Hand des | |
Kuttenmanns würgt ein schwarzes Huhn. Es will gackern, doch nur ein | |
Krächzen entfleucht seiner Kehle. Er rupft ein Büschel schwarzer Federn. | |
Das Tier schreit grell, und sein Schrei schneidet mir bis ins Herz. Zurück | |
bleibt nackte Hühnerhaut. In Todesangst wedelt es mit den Flügeln und | |
versucht sich aus den Fängen zu befreien, doch schon blitzt Messers | |
Schneide im Feuerschein. „Wie das Leiden dieses Tiers wird das Leiden der | |
Feinde sein, an die wir jetzt denken.“ Ein letzter Schrei, ein stumpfer | |
Schnitt. Der Kopf fällt dumpf zu Boden. | |
Sechs weitere Hühner und zwei Stunden später ist die schwarze Messe vorbei. | |
Der Kuttenmann kommt dahergeschlendert, ich spreche ihn an. Martín Villegas | |
Jimenez ist ein schwarzer Hexer. Seit 30 Jahren ist es sein Job, Leuten das | |
Leben zur Hölle zu machen. Untreue Ehemänner mit Flüchen belegen, | |
Konkurrenten ausschalten und ewiges Unglück heraufbeschwören. | |
## Der Chef-Schamane aus Los Angeles | |
Doch was so herum funktioniert, muss doch auch andersherum gehen? Ich | |
zögere kurz, dann erzähle ich von meiner Freundin. Martín durchschaut den | |
Zauber sofort: Jemand hat zwei Puppen mit dem Rücken zueinander | |
festgeknotet und in Chilisoße getaucht. Er kann den Fluch brechen. Dazu | |
braucht er nur zwei rote Puppen, die den Teufel darstellen. Und zwei weiße | |
für die Liebe. Er wird sie ebenso zusammenzurren, bei den weißen dann die | |
Bänder durchtrennen, sie mit den Köpfen zueinander festbinden und in Honig | |
stecken, damit sie wieder fest zusammenkleben. | |
Außerdem sieben Reinigungen mit seinen heilenden Händen, jeden Tag eine. | |
„So lange bin ich nicht mehr hier“, wende ich ein. „Kein Problem! Du läs… | |
mir einfach ein Foto von euch da, und ich mach das schon.“ Wie viel mich | |
das denn kosten würde, frage ich. „Mach dir da mal keine Sorgen, Güera“, | |
sagt er, „ich will mich ja nicht an meiner Gabe bereichern. Für dich nur | |
die Materialkosten, also so 500 Euro.“ Er grinst. „Hier ist meine Karte. | |
Ich mach dir das auch per Telefon, wenn du vorher überweist.“ | |
Ich nicke und stakse davon, vorbei an den Hühnerköpfen, vorbei an Satans | |
Statue, vorbei an der Besessenen. Mich ekelt vor mir selbst, dass ich | |
überhaupt hierhergekommen bin. Vor dem Kuttenmann und seinem düsteren | |
Geschäftssinn und vor den leblosen Hühnerleibern, die nicht Satan, sondern | |
der Show zum Opfer gefallen sind. Ein Taxi kommt nicht, also laufe ich. | |
Keine Menschenseele weit und breit. Endlich verdrängen Straßenlaternen die | |
Dunkelheit, und meine Schritte hallen auf dem Asphalt. Im Hotelbett | |
schließe ich die Augen. Statt Schäfchen zähle ich Hühner. | |
Der nächste Morgen. Auf der Festival-Halbinsel glimmt das Lagerfeuer noch, | |
die Tänzer liegen im Sand und recken die müden Glieder. An einer der Hütten | |
hängt ein Leinenplakat. „Santiago Guadalupe – Großer Chefschamane“ steht | |
darauf. Ein letzter Versuch, denke ich und trete ein. Drinnen speien | |
schwarze Kerzen Schattenfratzen an die Wand. Unzählige Statuen der Santa | |
Muerte stehen stramm vor dem Altar. | |
In der Mitte hockt er, der selbsternannte Chefschamane, extra aus Los | |
Angeles angereist. Er zieht am Zigarrenstummel und pustet mir den Qualm ins | |
Gesicht. So kommuniziere der Rauch mit ihm, sagt Santiago, und er verleihe | |
ihm Stimme. „Deine Freundin hat dich aus Neid mit einem Fluch belegt, den | |
müssen wir aufheben.“ Wie, will ich wissen. | |
„Wir fahren auf eine Insel der LaguneDort wirst du zur Santa Muerte beten, | |
dass sie den Fluch bricht.“ - „Wie lange?“ - „Bis ins Morgengrauen.“ - | |
„Tieropfer?“ - „Vielleicht. Einmal begonnen, gibt es kein Zurück mehr.�… | |
spüre, wie die Sensen der Skelette die Luft zersäbeln und ihre knöchernen | |
Finger nach mir grapschen. „Kein Zurück.“ Santiago grinst, das Kerzenlicht | |
flackert über sein Gesicht. „Danke, ich denke drüber nach“, murmle ich, | |
stolpere nach draußen. | |
Drei Wochen später sitze ich mit meiner Freundin bei einer Tasse Kaffee. | |
Fast wie früher. Letzten Endes war es einfach: Ich habe es mit Rosaelia | |
gehalten, bin über meinen Schatten gesprungen, habe sie angerufen. | |
1 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Lisa Maria Hagen | |
## TAGS | |
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