# taz.de -- Die Wahrheit: Achtsam am Achterdeck | |
> Nach dem Erfolg von Kreuzfahrten mit Heavy Metal-Beschallung will sich | |
> die Tourismus-Branche auch anderen musikalischen Subkulturen öffnen. | |
Bild: Mittelalterfans sind schon lange im Visier der Kreuzfahrt-Anbieter. | |
Begeistert winkt Jean Mahler von Happy Happy Cruise am Skandinavienkai in | |
Travemünde den 35.000 Bruttoregistertonnen hinterher, die sich gemächlich | |
Richtung Norden bewegen. Von Bord wehen gelegentlich beunruhigende | |
Geräusche herüber. Irgendetwas Bedrohliches zwischen Todesschrei und | |
berstendem Schiffsrumpf. „Keine Angst, das Schiff ist top in Schuss, was | |
Sie da hören, ist die Livemusik. Das ist unsere erste reine | |
Black-Metal-Kreuzfahrt. Die geht natürlich nach Nordnorwegen! Dort kommt ja | |
traditionell der schwärzeste Black-Metal überhaupt her.“ Er selbst hört | |
lieber Indie-Rock, aber seit der gelernte Reiseverkehrskaufmann für den | |
großen Konzert-Kreuzfahrten-Anbieter arbeitet, hat er sich einiges | |
„draufgeschafft“ an Wissen über die unterschiedlichsten Musik- und | |
Subkulturen. | |
„Angefangen hat ja alles mit Heavy-Metal-Kreuzfahrten“, erzählt der | |
sympathische 42-Jährige auf dem Weg in sein Büro, „und die erfreuen sich | |
immer noch großer Beliebtheit.“ Und seien vergleichsweise einfach zu | |
organisieren: „Man füllt die Ballasttanks mit Bier und sorgt dafür, dass | |
sich alle mit Doro Pesch fotografieren lassen können. Zwischendurch treten | |
Bands auf und verkaufen T-Shirts mit unleserlichen Aufdrucken, als | |
Höhepunkt findet die Wahl des ’Mister lange Haare‘ statt, und am Schluss | |
gibt es noch ein Gruppenbild mit Doro Pesch.“ | |
Der gut gekleidete Hobbysegler steckt voller Ideen. „Die | |
Heavy-Metal-Kreuzfahrten waren so erfolgreich“, sagt er, „dass wir das eben | |
auf andere Musikrichtungen ausgeweitet haben. Wir planen gerade eine | |
Kreuzfahrt mit empfindsamen jungen Liedermachern – Hauptact ist Philipp | |
Poisel. Da gucken wir uns tagelang weinende Gletscher an und zeigen die | |
ganzen Ausmaße der Klimakatastrophe. Außerdem singt Philipp zusammen mit | |
Walen.“ Zwischendurch bieten die Kreuzfahrtprofis Workshops an: | |
„Achtsamkeit am Achterdeck“, „Nachdenken und traurig werden“, „Besser | |
komponieren mit a-Moll“ sowie „Lohnsteuerabrechnung mit Elster“. Am Schlu… | |
kann sich jeder mit Liedermacher-Legende Bettina Wegner („Sind so kleine | |
Hände“) fotografieren lassen. | |
Mittlerweile sind wir in der Travemünder Happy-Happy-Cruise-Niederlassung | |
angekommen. In seinem großen Büro mit Meerblick streicht Mahler versonnen | |
über die Reling eines sonderbar anmutenden Modellschiffes. „Das wird der | |
Knaller: unsere Mittelalter-Rock-Kreuzfahrt“, schwärmt Mahler. „Es ist uns | |
gelungen, das Thema ’Mittelalter-Rock‘ perfekt in einer sehr speziellen | |
Kreuzfahrt abzubilden.“ Da Mittelalter-Rock ja auch nicht authentische alte | |
Musik nachspielt, sondern eine moderne Interpretation von Mittelalter | |
darstellt, hat eine Werft in Kirgistan ein kleines Frachtschiff aus den | |
siebziger Jahren auf Galeerenbetrieb umgerüstet. Die „RS Seelenverkäufer“ | |
ist schwarz lackiert, die Kabinen sind stilecht mit Folie in Holzanmutung | |
ausgekleidet. „Weil wir die Gäste rudern lassen, ist es eine klimaneutrale | |
Kreuzfahrt“, freut sich Mahler. Für die Bedienung der Pauken auf dem | |
Ruderdeck konnte Happy Happy Cruise Schlagzeuger namhafter Szenebands | |
verpflichten. „Die Leute werden sich darum reißen, an die Ruder zu kommen, | |
wann kann man schon mal ein sechsstündiges Trommelsolo von der Axt von | |
Octalon, dem Schlagzeuger von Rabenschrey, hören?“ Am Schluss können sich | |
alle mit Einhorn von In Extremo fotografieren lassen. | |
Träumerisch blickt der vollschlanke Visionär durchs Fenster auf die | |
grün-blaue Ostsee: „In dem Segment ist das sprichwörtliche Ende der | |
Fahnenstange noch lange nicht erreicht. Ich sehe Reggae-Flusskreuzfahrten | |
von Maastricht bis Babylon und für Schlagerfreunde geht es mit Helene auf | |
ein Fischerboot. Verstehen Sie, auf ein Fischerboot!“ Und was ist mit dem | |
wirklich Naheliegenden? Den Shanty-Rockern von Santiano beispielsweise? | |
„Gute Idee im Grunde, aber die waren bei der ’Full Metal Cruise‘ von der | |
TUI dabei, und ein Kollege hat mir gesteckt …“ Er senkt die Stimme: „Also, | |
das schreiben Sie jetzt bitte nicht! Aber so unter uns: Die haben die halbe | |
Zeit gekotzt, privat sind das die totalen Landratten.“ | |
Doch der gebürtige Bergisch-Gladbacher arbeitet bereits an weiteren | |
innovativen Konzepten. „Warum muss eine Kreuzfahrt eigentlich immer auf dem | |
Wasser stattfinden? Könnte man das Ganze nicht auch auf die Schiene | |
verlegen, habe ich mich gefragt. Vor allem für ganz authentische | |
Mittelalter-Liebhaber, die Rockmusik ablehnen und lieber unverfälschte | |
Moritaten zu Drehleier und Laute hören. Die würden sowieso nie mit einem | |
Schiff fahren, weil am Rand der Erdscheibe der sichere Tod lauert!“, lacht | |
Mahler. „Für diese Zielgruppe habe ich jetzt ein Kooperation mit der | |
Deutschen Bahn in der Pipeline. Kreuz und quer mit dem Zug durch | |
Deutschland, inklusive zahlreicher Burgbesichtigungen, Plünderungen und | |
originalgetreuer Leprainfektion. Und den Überlebenden winkt ein | |
Sparpreisticket ins Heilige Land. Ich habe auch schon einen klangvollen | |
Namen dafür …“ | |
17 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Christian Gottschalk | |
## TAGS | |
Heavy Metal | |
Tourismus | |
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