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# taz.de -- Hamburger Hedonisten enttarnen sich: „Ein reines Schauspiel“
> Privatdozent des Hedonistischen Instituts für angewandte
> Populismusforschung über Stammtischparolen und das leichte Spiel, mit
> haarsträubenden Geschichten in den Medien zu landen.
Bild: Absurde Parolen wie: "Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktat…
taz: Herr Gibs, Sie wollen einen Hoax, also eine in den Medien platzierte
Falschmeldung, aufklären. Was haben Sie angestellt?
Jesko Gibs: Wir haben uns mit Diskursen beschäftigt, die in der
Bundesrepublik en vogue sind und immer wieder aufkochen. Beispiele wären
die von Thilo Sarrazin und Matthias Matussek ausgelösten Debatten, die in
der Form große Ähnlichkeiten aufweisen.
Inwiefern?
Beide artikulieren auflagenstark ihren gesunden Menschenverstand, für den
sie ihre Ausfälle gegen Feminismus, Homosexualität, Erwerbslose oder
Einwanderung halten, und behaupten gleichzeitig, dass solche Äußerungen
aufgrund politisch korrekter Zensur angeblich unsagbar geworden seien.
Obwohl doch die schweigende Mehrheit der „Normalen“ eigentlich genauso
denke.
Dadurch inszeniert sich diese platte Wiedergabe von Stammtischparolen als
mutiger Akt des Tabubruchs. Das fanden wir lächerlich und da dachten wir
uns, wenn es so einfach ist, mit so einer Masche erfolgreich zu sein,
versuchen wir das auch.
Was genau?
Wir probieren die gleichen absurden Argumentationsschemen aus und zeigen
auf, wie einfach man von den Medien Gehör für Unsinn findet.
Sie sind als Fleischliste in die Rolle der großen Fleischverfechter
geschlüpft und bei der Wahl des Studierendenparlaments an der Hamburger Uni
angetreten.
Genau, als Leute, die sich in ihrer Freiheit beschnitten sehen durch diese
angeblichen Pläne einer Minderheit, einen Veggie-Day an der Hamburger Uni
einführen zu wollen. Dabei hat niemand, vor allem nicht das
Studierendenwerk, das zu seinem Vorhaben erklärt.
Mit abstrusen Parolen wie: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der
Diktatur auf“, haben wir versucht, so etwas Banales wie den Veggie-Day zum
gesellschaftspolitischen Thema hochzustilisieren. Nach dem Muster: Die da
oben machen doch was sie wollen, auf Kosten der Mehrheit. Das Thema ist
total banal, es hat aber super funktioniert, wenn man sich die
Berichterstattung, Kommentare und Zuschriften anschaut.
Wie kam es denn dazu?
Wir setzten [1][eine Facebook-Seite] auf und baten verschiedene Leute, uns
zu liken, damit es so aussieht, als wäre da wirklich was im Gange. Und dann
haben wir eine Pressemitteilung verschickt. Zwei Stunden später hat sich
die Hamburger Morgenpost (Mopo) gemeldet und wollte einen Artikel darüber
machen. Das Ziel war von Anfang an, in die Medien zu kommen, durch die
Erfindung von falschen Tatsachen reale Ereignisse schaffen. Ein bisschen,
um den Foucault’schen Ausspruch zu prüfen, demnach der Diskurs das schafft,
was er benennt.
Hat es Sie überrascht, dass die Rechnung so einfach aufgeht?
Eigentlich habe ich schon damit gerechnet, aber vor allem diese
Unverfrorenheit mit der konkret die Mopo agiert hat, überraschte mich dann
doch. Wir haben zum Beispiel offenkundige Widersprüche in unser Interview
eingebaut und uns mit wechselnden Vornamen angeredet. Das passte alles
nicht zusammen. Am Ende hat sich die [2][Mopo das rausgesucht, was am
besten zu ihrer Geschichte passt]. Mein Gefühl ist, je abstruser das Ganze
ist, desto leichter schafft man es, mit einer Schlagzeile geadelt zu
werden.
Ihre Gruppe nennt sich „Hedonistisches Institut für angewandte
Populismusforschung“. Jetzt haben Sie mit der Fleischliste einen Platz im
Studierendenparlament bekommen…
Allein der Name Fleischliste ist so absurd, dass man das ja eigentlich
nicht ernst nehmen kann. Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir bei der
Wahl ein paar Hundert Stimmen bekommen. Das wirft ja auch ein Schlaglicht
auf die politische Kultur. In Europa gibt es ja einen Aufstieg der
rechtspopulistischen Parteien. Wir haben die gleichen Mittel benutzt, wie
sie Populisten in der Regel verwenden. Das ist tatsächlich angsteinflößend,
mit wie wenig Aufwand man damit Erfolg haben kann.
Richtet sich die Aktion gezielt gegen Populismus im Allgemeinen oder auch
konkret gegen etwas bestimmtes?
Ursprünglich richtete sich unsere Aktion nur gegen die Mopo, die in der
letzten Zeit einen unerträglichen Kampagnenjournalismus etabliert hat.
Sie meinen die Berichterstattung zu den Auseinandersetzungen um die Rote
Flora und die Gefahrengebiete?
Ja. Was ich aber noch erschreckender finde, war die Berichterstattung im
letzten Jahr um die sogenannten Massenkrawalle in Altona, wo Jugendliche
verfassungswidrig von Polizisten kontrolliert wurden – lediglich weil sie
als Migranten ins Täterprofil passten. Das hat die Mopo zu Banlieue-artigen
Zuständen umgedichtet, wo die Polizei jetzt mal durchgreifen muss. Dann
haben wir aber schnell gemerkt, das es [3][beim Spiegel genauso einfach
ist, als obskure Vereinigung eine Plattform geboten zu bekommen].
Ist das für Sie ein Triumph oder ernüchtert Sie das?
Natürlich ist es kein Grund zu triumphieren, zu sehen, wie weit sich der
Journalismus von ursprünglichen Idealen entfernt hat. Aber genau das
wollten wir ja auch erreichen, mit einer hanebüchenen Geschichte und
abstrusen Falschbehauptungen in die Medien zu kommen. Es ist natürlich auch
ein Spiel, das Spaß macht, wenn man sich mit einer Journalistin oder einem
Journalisten trifft, eine Rolle einnimmt und austesten kann, wie weit man
gehen kann, ohne aufzufliegen. Einen Drehtermin mit RTL haben wir jetzt
aber abgesagt, weil es uns dann doch zu unangenehm wäre mit der
Fernsehkamera.
Verstehen Sie Ihr Vorgehen als ein künstlerisches?
In gewisser Hinsicht, ich hänge jedoch nicht an dem Begriff. Aber es ist
schon so eine Art unsichtbares Theater, das man zur Aufführung bringt –
ohne Vorhang. Ein reines Schauspiel. Letztlich ist ja auch beinahe jeder
relevante Diskurs in Deutschland ein Schauspiel, bei dem Rollen eingenommen
werden. Matthias Matussek nimmt beispielsweise die Rolle des tabubrechenden
Enfants terrible ein. Obwohl er doch eigentlich nur ein ergrauter Mann ist,
der die sich trotz des eigenen geistigen Stillstands frecherweise
weiterdrehende Welt nicht mehr versteht.
Haben Sie denn bei dieser Aktion spontan improvisiert oder Ihr Vorgehen
vorher genau vorbereitet?
Eigentlich steckt da erschreckend wenig Arbeit drin. Vor dem Interview mit
der Mopo sind wir eine halbe Stunde durchgegangen, was wir sagen. Das haben
wir bei den darauffolgenden Interviews aber gelassen und doch eher
improvisiert – und wir haben uns noch einen Spaß daraus gemacht, dass wir
uns gegenseitig überboten haben mit unseren abstrusen Geschichten.
Gegenüber dem Uni Spiegel artikulierten wir auch, dass wir massiv
angefeindet werden, um die altbekannte Figur zu bedienen, dass man bedroht
und ausgegrenzt würde, wenn man sich politisch inkorrekt äußere. Was
Quatsch ist, derartige Positionen sind ja beinah Mainstream – leider.
Und das wurde nicht weiter hinterfragt?
Die Journalistin wollte ein paar dieser E-Mails haben. Wir haben dann
einfach selber welche geschrieben, inspiriert durch die Gewaltfantasien,
die man so in der Kommentarspalte von Welt Online findet. Das haben wir ihr
dann zukommen lassen. Wir haben uns sogar Mühe gegeben, in jeder dieser
E-Mails die gleichen Rechtschreibfehler zu machen und den gleichen Stil zu
verwenden, so dass man das hätte merken können.
Das riecht nach Kommunikationsguerilla. Wie sind Sie auf die Idee gekommen,
sich dieser Mittel zu bedienen?
Unsere Gruppe kommt aus dem Fahrwasser der hedonistischen Internationalen
und beschäftigt sich mit Theorien der Kommunikationsguerilla. Also damit,
wie man die Zeichen des Diskurses nutzt, um sie gegen den Diskurs selber zu
wenden. Da gibt es ja dieses schöne Zitat von Roland Barthes, dass die
wirksamste Art, den Mythos zu sabotieren, ist, ihn einfach zu modifizieren.
Die Chiffren zu übernehmen und ihn dadurch zu entstellen, um zu zeigen, wie
hohl das Ganze eigentlich ist.
Was ist das Ziel?
Es wäre schön, wenn sich Menschen, die das Anliegen der Fleischliste gut
fanden, nun darüber erschrecken, auf welchen totalen Quatsch sie
reingefallen sind. Und dann vielleicht mal darüber nachdenken, wie
unreflektiert sie sich generell ihre Meinung bilden. Das ist jetzt
natürlich sehr ideell gedacht, weil die Leute, die das in der Mopo gelesen
haben und sich dadurch vielleicht angesprochen fühlten, wahrscheinlich die
Auflösung nicht mitbekommen werden.
Lässt Sie das nicht daran zweifeln, ob die Strategie aufgeht?
Ich glaube, es wäre geboten, dass sehr viele Menschen beginnen, die Medien
gezielt in die Irre zu führen, um vollkommene Verwirrung zu stiften. Dass
viele Menschen beim Lesen von Artikeln den Gedanken im Hinterkopf haben,
dass hier vielleicht wieder eine Kommunikationsguerilla am Werk gewesen
sein könnte.
Wie bei der Pofalla-Geschichte im Postillon, als das Satire-Portal sich als
Urheber der Meldung inszenierte, dass der CDU-Politiker in den Bahnvorstand
wechselt.
Das ist eigentlich ein ziemlich gutes Beispiel. Ich glaube auch, weil man
mit Gegenargumenten wenig ausrichten kann, wenn der ganze Diskurs lediglich
auf aberwitzigen Projektionen basiert. Man muss diese Strukturmomente,
derer sich einschlägige Menschen in den Medien bedienen, komplett
entstellen. Und, indem man sie ad absurdum führt, aufzeigen, dass der
Inhalt vollkommen irrational ist.
31 Mar 2014
## LINKS
[1] http://www.facebook.com/Fleischliste
[2] http://www.mopo.de/nachrichten/uni-hamburg-schnitzel-krieg-in-der-mensa,506…
[3] http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/mensa-studenten-kaempfen-fuer-da…
## AUTOREN
Lena Kaiser
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