# taz.de -- Leder aus Fischhaut: Karpfen blau – neonblau | |
> Im australischen Esperance stellen zwei Brüder Leder aus Fischhaut her. | |
> Kein Fisch wird extra für die Verarbeitung getötet. | |
Bild: Eine kleine Farbauswahl. | |
Es war eine dieser Schnaps- und Bierideen. „Lass es uns einfach versuchen“, | |
sagte Andrew Mac Dermott. Und sein Kollege Robert Bubb hob das Glas mit | |
Swan-Bräu und sagte „Okay“. Jahrelang hatten die beiden Fischer mit | |
angesehen, wie Millionen von Fischen zu Filets geschnitten wurden, ihre | |
Häute aber in der Fischmehlfabrik endeten. Was für eine Verschwendung, | |
dachten sie. Ein festes, widerstandsfähiges Material wird einfach als | |
Abfall entsorgt! Man müsste herausfinden, wie es haltbar zu machen wäre. | |
Und genau das, beschlossen sie, würden sie tun. Das war im Jahre 1989. | |
Sie lasen, was über das Gerben von Fischleder zu finden war - und das war | |
nicht viel. Also begannen sie selbst zu experimentieren. Fünf Jahre später | |
war es so weit. Die beiden gaben die Fischerei endgültig auf, kauften | |
Gerbtrommeln und eine Bügelmaschine und machten sich selbstständig. | |
„Mermaid“ nannten sie ihre Firma, „Meerjungfrau“. Ohne freilich in Betr… | |
zu ziehen, dass dieser Name eigenartige Assoziationen auslösen könnte: | |
Geldbörsen aus dem Schwanz einer schönen Nixe …? | |
Eigentlich hat die Nutzung von Fischleder eine lange Geschichte. Ein | |
sibirisches Volk vom Fluss Amur, die Nanai, stellte Kleider, Rucksäcke und | |
sogar Zelte daraus her. Isländer trugen Schuhe aus Steinbeißerleder. Und | |
gerade in Mangelzeiten nutzten die Menschen es als Ersatzmaterial: Im Jahr | |
1939 gab es allein in Deutschland zehn Fabriken für Fischleder. Doch dieses | |
Wissen war verlorengegangen. Die Firmengründer und Andrews Bruder David, | |
der Bubb 1997 ablöste, mussten ihr Handwerk mühsam neu erlernen. Heute | |
haben sie einen Betrieb mit drei Angestellten in einer Wellblechhalle in | |
dem 10.000-Einwohner-Städtchen Esperance an der Südküste Australiens. | |
Im großen Ausstellungsraum baumeln Stapel von Lederstreifen von der Decke: | |
in warmem Ocker, mildem Grau, gedecktem Rosa und gebrochenem Türkis. In | |
Vitrinen liegen bunte Lesezeichen, Schmuckkästchen und iPhone-Hüllen. In | |
anderen sind Brief- und Handtaschen ausgestellt, oft aus Känguruhhaut, mit | |
farbenprächtigem Fischlederbesatz. Und an den Wänden hängen abstrakte | |
Bilder und Teppiche aus Sternen. Erst beim Näherkommen erkennt man, wie | |
sorgfältig sie aus glitzernden Lederstückchen zusammengesetzt sind. | |
## Erfahrung ist das Kapital | |
Rund sechs Wochen dauert der Fertigungsprozess, ein Video zeigt die | |
einzelnen Stationen. Mit einem Filetiermesser werden die Häute von Hand | |
gesäubert und kommen in eine Salzlösung. Dann werden in rotierenden | |
Trommeln die Schuppen entfernt, die Stücke werden gewaschen, bis jeder | |
Geruch verflogen ist, und anschließend gebeizt. „Das ist der Kern des | |
Ganzen“, sagt Andrew, der, ganz charmanter „Buddy“, eher an einen | |
erfolgreichen Schuhvertreter erinnert als an einen wortkargen Fischer. "Ob | |
Barramundi, Rosa Snapper, Lachs oder Karpfen – jeder Fisch muss anders | |
behandelt werden. Wir wissen wie – und diese Erfahrung ist das Kapital | |
unserer Firma." | |
Beim Beizen erhält das Leder seine Farbe: Für warme Erdtöne verwendet | |
Andrew Naturstoffe wie Akazie oder Eukalyptus. Soll es modisch leuchten, | |
kommen synthetische Mittel zum Einsatz. Anschließend werden die Teile | |
getrocknet, ausgespannt und abgeschliffen. Was an Fasern anfällt, wird zu | |
geschöpftem Papier verarbeitet. Jetzt werden sie noch bis zu sechs Mal | |
gewachst und mit Harzen und Polymeren eingesprüht. Und zum guten Schluss | |
folgen zwei Durchgänge durch die Heißmangel. | |
Bis zu dreißig Mal wird jedes einzelne Stück in die Hand genommen, ehe es | |
im Laden liegt – was den Preis von umgerechnet 150 Euro für eine Geldbörse | |
aus Barramundi- und Känguruhleder durchaus erklärt. | |
Andrew lässt die Häute verschiedener Fische herumgehen. Bei einigen sind | |
die Schuppentaschen erhalten, was ein weiches, fluffiges Material ergibt. | |
Andere sind glattgebügelt, glänzen azurblau oder altrosa und zeigen eine | |
wunderschöne Schuppenzeichnung. Rochen ist rau, wird abgeschliffen und galt | |
schon im 18. Jahrhundert als schick. Haileder, mit winzigen Haken besetzt, | |
wurde früher um Schwertgriffe gewickelt oder unter Schneeschuhe gezogen. | |
„Macht den Reißtest“, fordert Andrew auf. Und tatsächlich: Die Häute sind | |
dünner als Kalbsleder, aber sehr elastisch und stabil. | |
Walhai hat übrigens die dickste Haut aller Lebewesen, sie ist bis zu 15 | |
Zentimeter stark. Doch den haben sie nicht im Angebot. „Kein Fisch wird | |
extra für Mermaid getötet“, betonen die Chefs. Nach wie vor kommt der ganze | |
Nachschub an Dhufish, Harpuka, Breaksea und all den anderen, die meist gar | |
keine deutschen Namen haben, aus den Fischfabriken am Ort. Ein prima | |
Geschäftsmodell also - wenn da nicht das Problem der Größe wäre. Bis zu | |
fünfzig mal zwölf Zentimeter messen die meisten Häute höchstens, was ihre | |
Verarbeitung für größere Objekte schwierig macht. Doch immerhin haben die | |
Brüder gerade den Auftrag erhalten, eine Luxusjacht mit ihren Ledern | |
auszugestalten. | |
Ganz nebenbei haben sie übrigens noch einen weiteren Geschäftszweig | |
aufgetan. Es ist ihnen gelungen, die Schuppen der Fische haltbar zu machen. | |
Wie transparente Rosenblätter aus Plastik liegen sie in Gläsern: neongrün, | |
zitronengelb, lachsorange, meertürkis. Man kann sie zu aparten Seerosen | |
zusammenkleben oder Fischbilder daraus basteln. „Viele Leute kaufen sie | |
inzwischen aber auch anstelle von Reis“, erzählt Andrew, „für Hochzeiten. | |
Sie bringen Glück.“ Karpfenschuppen auf Brautpaare werfen – darauf muss | |
erst mal einer kommen! | |
7 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Franz Lerchenmüller | |
## TAGS | |
Australien | |
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