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# taz.de -- Festival ohne Fernblick: Zu nah dran mit der Kamera
> Die Dokumentarfilmwoche zeigt in der Sektion „Dokland Hamburg“ die
> neusten Arbeiten, die entweder etwas über die Stadt erzählen oder in ihr
> gemacht wurden.
Bild: Stand auch neben Hans Albers und Zarah Leander vor der Kamera: der ehemal…
Ein Festival feiern kann man besser mit Spielfilmen. Da gibt es Prominente
vor und hinter der Kamera und alles ist bunt und laut. Deshalb werden
Dokumentarfilme meist nur in den Nebenreihen der Festivals präsentiert, und
es ist eine Besonderheit, wenn Veranstaltungen wie die „Dok.Leipzig“ oder
das „Dok.fest“ in München ausschließlich nicht fiktive Filme zeigen. In
Norddeutschland ist seit 2004 die Dokumentarfilmwoche Hamburg das einzige
Forum mit dieser Ausrichtung. Bis Sonntag werden in den Kinos 3001,
Metropolis, Lichtmess und B-Movie über 40 Filme gezeigt. Traditionell liegt
ein Fokus dabei auf regionalen Produktionen.
So werden in der Sektion „Dokland Hamburg“ sieben Filme vorgestellt, die
entweder in Hamburg gedreht oder von Hamburger Filmemachern gemacht wurden.
In diesem Rahmen wird am Freitag um 18 Uhr im Lichtmess auch „Andere Welt“
von Christa Pfafferott gezeigt, der am letzten Donnerstag in der taz.nord
besprochen wurde. Dort wird der Alltag in einer Klinik für forensische
Psychiatrie gezeigt.
Auch „Zeit zu Leben“ (Do 18 Uhr, Lichtmess) ist ausschließlich in einer
medizinischen Einrichtung gedreht worden. Der erst 18 Jahre alte
Filmemacher Sina Aaron Moslehi stellt hier das Hospiz im Israelitischen
Krankenhaus in Hamburg vor. Dort wird nicht mehr behandelt, sondern es wird
dafür gesorgt, dass die Todkranken möglichst schmerzfrei und mit Würde
sterben können. So werden sie vom Pflegepersonal auch konsequent nicht als
„Patienten“ sondern als „Gäste“ bezeichnet.
Der junge Filmemacher erzählt sachlich und mit viel Taktgefühl und
vermeidet so, dass der Film unter seinem schweren Thema zusammenbricht. Er
zeigt, wie die Schwestern versuchen, den Sterbenden ihre restliche
Lebenszeit so angenehm und bedeutungsvoll wie möglich zu gestalten. Er
porträtiert drei von diesen Gästen und zeigt, wie unterschiedlich diese
versuchen, ihre Situation zu bewältigen. Sie erzählen von ihren Ängsten und
letzten Wünschen und dabei kommt ihnen die Kamera nie zu nahe. Hier wird
ein existentielles Thema ohne Pathos behandelt.
Im Dokumentarfilm kann auch aus einer radikal subjektiven Perspektive
erzählt werden. Dies geschieht etwa, wenn Filmmacher die eigene
Familiengeschichte zum Thema machen. David Sieveking hat mit „Vergiss mein
nicht“ einen Film über seine demenzkranke Mutter gedreht, der für viele
Zuschauer zu intim und dadurch übergriffig wirkte. Und auch der Hamburger
Filmemacher Martin Heckmann arbeitet sich in „Ulli“ (Do, 21.45 Uhr,
Metropolis) an einem sehr persönlichen Problem ab.
## Ein Leben als Horrorfilm
Der Protagonist war sein jüngerer Bruder. Ein Mensch, von dem Heckmann
selber sagt, er sei „an allem verzweifelt und überall gescheitert“. Als
Adoptivkind in einer gutbürgerlichen Familie war er immer kränkelnd und
psychisch instabil. Lange lebte er in der Psychiatrie, versuchte aber immer
wieder, zur Familie zurückzukehren, für die dies jahrzehntelang ein
aufzehrender Ausnahmezustand war. Schließlich starb er jung und nun
versucht Martin Heckmann sich an einem Porträt von ihm.
Dazu montiert er alte Familienfilme, Fotos und Tagebuchaufzeichnungen,
macht Interviews mit jenen, die Ulli gekannt haben, und besucht die Orte,
an denen er gelebt hat. Er zitiert ausführlich die Tagebuchaufzeichnungen
des Vaters, aus denen deutlich wird, wie unberechenbar und gewalttätig die
Anfälle seines Sohnes waren. Einen eindrücklichen Kontrast dazu bilden die
gekritzelten Notizen von Ulli selber, die wie halb formulierte Aufschreie
wirken.
Den Kern des Films bildet eine Videoaufnahme, die Heckmann von seinem
Bruder in einer psychiatrischen Anstalt gemacht hat. Ein verwirrter, tief
unglücklicher junger Mann spricht da in die Kamera, und er bleibt uns ein
Rätsel. Martin Heckmann versucht diesem Leben, das in seinem Elend so
unergründlich bleibt, mit seiner Spurensuche gerecht zu werden. Das
Resultat ist ein wahrer Horrorfilm.
Manchmal kann Zeitgeschichte durch die Geschichten von Nebenfiguren
besonders eindrücklich und komplex vermittelt werden. Der Protagonist in
„Majubs Reise“ (Sa, 18 Uhr, Lichtmess) ist ein Statist – sowohl im Film w…
auch in der deutschen Kolonialgeschichte. Majub, der sich in Deutschland
Mohamed Husen nannte, war ein deutscher Kolonialsoldat, der im Ersten
Weltkrieg in Tansania kämpfte. Er reiste in den 1930er Jahren nach
Deutschland und wurde ein vielbeschäftigter Kleindarsteller im deutschen
Kino.
Immer, wenn in der Nazizeit in deutschen Filmen ein schwarzer Afrikaner
benötigt wurde, bekam er den Job und so kann man ihn, wenn man genau
hinsieht, neben Heinz Rühmann, Zarah Leander und Hans Albers entdecken.
Seine Rolle war dabei extrem widersprüchlich, denn er musste mit seiner
Darstellung immer die rassistischen Stereotype des faschistischen Systems
bedienen. Nachdem er sich bei den Dreharbeiten für seinen letzten Film in
eine deutsche Schauspielerin verliebt hatte, wurde er wegen Rassenschande
in das KZ Sachsenhausen gesteckt, wo er 1944 starb.
Die einzige persönliche Hinterlassenschaft von Majub ist ein
unbeschriebenes Blatt Briefpapier. Nur noch wenige Aufnahmen von ihm sind
erhalten. Diese hat die Filmemacherin Eva Knopf bearbeitet, indem sie sie
verlangsamte, wiederholte oder in sie hineinzoomte. Auch sonst hat sie den
Mangel an Material als eine Herausforderung gesehen. In der Form eines
Essayfilms erzählt sie mit vielen Abschweifungen von der Handlung, zu denen
auch die Entdeckung eines Kolonialdenkmals in einem Abstellraum der
Hamburger Sternwarte gehört.
9 Apr 2014
## AUTOREN
Wilfried Hippen
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