# taz.de -- Aussteiger: „Mein Leben ist kein Kontinuum“ | |
> Der Schriftsteller Arno Schmidt war ein Mann voller Gegensätze. Zu seinem | |
> 100. Geburtstag widmet ihm das Celler Bomann-Museum eine Ausstellung. | |
Bild: Akribischer Arbeiter: Arno Schmidts Zettelkästen waren wesentlich für s… | |
HAMBURG taz | „Unüberbietbare Sprachverschluderung“ sagen die einen, „der | |
kühnste Pionier der neuen deutschen Epik“ sagen die anderen. Beide | |
Bewertungen stammen von Kritikern und zu finden sind sie in der Ausstellung | |
„Arno Schmidt 100“ des Bomann-Museums in Celle. | |
Schmidt war ein Schriftsteller, der bei Literaturinteressierten entweder | |
überschwängliche Lobeshymnen oder tiefe Verständnislosigkeit auslöst. Er | |
war ein Mann voller Gegensätze, die in der Ausstellung in Celle anlässlich | |
seines 100. Geburtstages präsentiert werden. Schmidt lebte Jahrzehnte im 20 | |
Kilometer entfernten Bargfeld, das Holzhäuschen, das der Autor dort 1958 | |
mit seiner Ehefrau Alice bezog, ist fast exakt in dem Zustand wie zu | |
Schmidts Lebzeiten erhalten. Gestorben ist Schmidt 1979 in Celle. | |
„Bei so einem Geburtstag steht die Person im Mittelpunkt. Die Ausstellung | |
ist ein Spaziergang durch die Welt des Autors“, sagt Jan Philipp Reemtsma, | |
Vorstand der Arno Schmidt Stiftung. Reemtsma ist Literaturprofessor und | |
Millionär und stellte 1977 dem gebürtigen Hamburger Schmidt 350.000 Mark | |
zur Verfügung – ein Betrag, der sich an der Dotierung des Nobelpreises | |
orientierte. In Schmidts letzten beiden Lebensjahren besuchte er ihn | |
viermal. „Man hatte den Eindruck, einer sehr bedeutenden Persönlichkeit zu | |
begegnen“, sagte Reemtsma. „Ich habe so etwas nie wieder erlebt.“ | |
Die Ausstellung zeigt den politischen Schmidt und blendet Zitate ein wie | |
„Im Vergleich mit KATHOLIZISMUS klingt KOMMUNISMUS immer noch wie | |
Freiheit.“ Schmidt verhöhnte „CDU-Fürsten als blinde Führer von Blinden�… | |
kritisierte die aus seiner Sicht nach rechts gerückte SPD und mokiert sich | |
zugleich über die Unterstützer der 40-Stunden-Woche: Er selber habe | |
schließlich eine 100-Stunden-Woche und beklage sich auch nicht. „Arbeiten | |
will keiner, Fernsehen jeder.“ | |
Schmidt als Kritiker der Massenkultur kommt zu Wort, wenn er sich | |
beispielsweise in seinem Roman „Abend mit Goldrand“ über populäre Schlager | |
wie „Michaela“ von Bata Ilic aus dem Jahre 1972 lustig macht. Zum Text wird | |
auf Knopfdruck die Originalmelodie eingeblendet. | |
„Mein Leben ist kein Kontinuum“, sagt Schmidt. Die Vitrinen in der | |
Ausstellung sind dementsprechend nach Gegensatzpaaren geordnet: | |
Soldat-Dichter, Pedant-Hochstapler, Buchhalter-Junggenie. | |
Besonders gelungen ist eine Installation in der Mitte des | |
Ausstellungsraums, wo Besucher wie an einer Juke-Box einen von 100 | |
alphabetisch angeordneten Begriffen auswählen können – von „Alkohol“ ü… | |
„DDR“ bis zu „Küssen“ und „Scheiße“. Dann werden jeweils sechs | |
Schmidt-Zitate zu diesem Stichwort auf einer Rundleinwand nacheinander | |
eingeblendet, die sich nach einiger Zeit in ihre einzelnen Buchstaben | |
auflösen. | |
In der Ausstellung wird auch an die Erzählung „Seelandschaft mit | |
Pocahontas“ von 1953 erinnert. Darin treffen zwei Ex-Kriegskameraden am | |
Dümmer See auf zwei wesentlich jüngere Frauen. Es entspannt sich ein | |
erotisches Verhältnis, bis die vier wieder auseinandergehen und deutlich | |
wird, dass die Männer durch ihre Erfahrungen als Soldaten nicht in der Lage | |
sind, Bindungen zu entwickeln. | |
Der Ort der Handlung ist kein Zufall. „Arno Schmidt siedelt seine Erzählung | |
inmitten einer Gegend an, in welcher er im März und April 1945 als Soldat | |
die lebensbedrohend furchtbarsten Tage seines Lebens zugebracht hat“, sagt | |
Kurator Bernd Rauschenbach. | |
Bis zum 22. Mai ist eine Theaterfassung von „Seelandschaft mit Pocahontas“ | |
auf der Bühne im Schlosstheater Celle zu sehen. Es ist ein Stoff, der | |
Schmidt fast ins Gefängnis gebracht hätte: Er handelte sich eine Anklage | |
der katholischen Kirche wegen Verbreitung von Pornografie und | |
Gotteslästerung ein, die ihn aus dem katholischen Kastel an der Saar ins | |
liberale Darmstadt fliehen ließ, wo das Verfahren eingestellt wurde. | |
Die Ausstellung kommt ohne lange Texte aus und richtet sich sowohl an | |
Einsteiger als auch an Kenner – letztere können die grüne Lederjacke, die | |
Schreibmaschine und die Zettelkästen des Meisters bewundern. Wer will, kann | |
sich in die ausliegenden Bände von „Leviathan“, „Die Umsiedler“ oder �… | |
steinerne Herz“ vertiefen. „Die ersten Bücher Schmidts sind sicher leichter | |
zu lesen als die späteren“, sagt Kuratorin Susanne Fischer. | |
In einem im Museum gezeigten Fernsehinterview von 1961 versucht Schmidt, | |
der Furcht der Leser vor seiner besonderen Orthografie so zu begegnen: | |
„Darf ich aber auch betonen, dass es sich zwar um keine Rechtschreibung | |
handelt, aber auch um keine Unrechtschreibung, der Phonetismus ist ja nicht | |
so weit getrieben, dass man die Worte nicht mehr erkennt.“ | |
## „Arno Schmidt 100. Eine Geburtstagsausstellung“: bis zum 12. Oktober, | |
Bomann-Museum, Celle | |
14 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Joachim Göres | |
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