Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Immer im Einsatz: Müll, Stadt und Müdigkeit
> Am Sonntag ermittelt Hauptkommissarin Inga Lürsen zum 30. Mal in einem
> Bremer Tatort. Ihr sieht man die vielen Dienstjahre inzwischen an.
Bild: Konturlos in der Abfallbranche: Sabine Postel als Hauptkommissarin Inga L…
BREMEN tzz |Was wäre, wenn die Müllabfuhr einer deutschen Großstadt von
einer Bande von Knastbrüdern betrieben würde, deren Bewährungshelfer sie
organisiert hat wie einen Mafia-Clan? Palermo am Weserstrand – daraus
sollte sich doch ein schöner Bremen-Tatort basteln lassen.
Spektakuläres ist auch nötig, denn im Februar war „Brüder“ mit erstmals
über 10 Millionen Zuschauern so erfolgreich wie noch kein anderer in Bremen
produzierter Tatort. Darin ging es um einen kriminellen Clan, dem die
Polizei erschreckend ohnmächtig gegenübersteht. Darüber wurde eifrig
debattiert und Innen-Staatsrat Holger Münch erklärte, der Film verbreite
eine „falsche Botschaft“.
Diese Gefahr besteht bei „Alle meine Jungs“ gewiss nicht. Zwar wird in
Bremen über die Rekommunalisierung der Müllabfuhr nachgedacht, aber niemand
wird behaupten, dass die Entsorgungsbetriebe eine kriminelle Vereinigung
seien. Nein, so realistisch wie man es den Bremer Tatort-Produktionen immer
wieder nachsagt, ist der anstehende nicht. Nicht einmal von satirischer
Überspitzung kann man sprechen, so wenig hat „Alle meine Jungs“ mit den
tatsächlichen Verhältnissen in der Stadt zu tun. Das macht Regisseur
Florian Baxmeyer auch stilistisch deutlich, wenn etwa die Gang der
Müllmänner so cool in Zeitlupe auf die Kamera zuschreitet, als wären sie
„Die glorreichen Sieben“. Hier wird mit Genre-Versatzstücken gespielt – …
zum Teil auch sehr unterhaltsam.
Durch einen toten Müllmann werden die Kommissarin Lürsen und ihr Kollege
Stedefreund auf diese verschworene Gemeinschaft aufmerksam – aber selten
war in einem Tatort der alles in Gang bringende Mord so sehr Nebensache:
Die drei Drehbuchautoren Erol Yesilkaya, Boris Dennulat und Matthias
Tuchmann erzählen überladen und bemüht originell, schnell zerfasert die
Geschichte. „Alle meine Jungs“ ist nicht spannend oder auch nur in sich
schlüssig, sondern extrem effekthascherisch – da wird dann auch vor einem
Kalauer wie „Müllionen“ nicht zurückgeschreckt.
Dieser 30. Bremer Tatort mit Sabine Postel, die am 10. Mai gerade ihren 60.
Geburtstag gefeiert hat, gehört also zu den schwächeren. Postel als
Hauptkommissarin Inga Lürsen wie auch Oliver Mommsen als Assistent
Stedefreund bleiben darin seltsam konturlos. Weder die Drehbuchautoren noch
der Regisseur, der immerhin schon sieben andere Bremer Tatorte inszeniert
hat, konnten offenbar viel mit ihnen anfangen: Es gibt ein paar Kabbeleien
unter Kollegen, aber selbst beim Psychoduell mit „Papa“ – den Roeland
Wiesnekker mit einer gefährlichen Gemütlichkeit spielt – wirkt Postel eher
lethargisch als energisch. In einem sehr freundlichen Geburtstagsgruß
nannte die Frankfurter Allgemeine Postel dieser Tage eine „eiserne Lady“ –
im neuen Tatort wäre Stoneface passender.
Sabine Postel wurde in den 90er-Jahren durch die von Radio Bremen
produzierte Familienserie „Nicht von schlechten Eltern“ bekannt und hatte
Gastauftritte in „Das Traumschiff“ und „Lindenstraße“. 1997 spielte si…
ersten Mal Inga Lürsen, alleinerziehend mit einer schon fast erwachsenen
Tochter, nach sechs Folgen kam Oliver Mommsen dazu. Nach einem schleppenden
Anfang gab es mit Regisseur Torsten Näder, der auch die Drehbücher schrieb,
eine erste Hochphase: „Der Schatten“ wurde 2002 für den Grimme-Preis
nominiert. Im gleichen Jahr schrieb Thea Dorn das Buch für „Der Schwarze
Troll“, bei dem Vanessa Jopp Regie führte. 2003 widmete die Bild ihre
Titelseite einem blutigen Fleischerhaken aus „Die Liebe des Schlachters“,
2005 gab es für „Scheherazade“ den deutschen Fernsehpreis.
Interessant wurden die Bremer Tatorte ab 2009 wieder, als der
Dokumentarfilmer Wilfried Huismann begann, Themen, die juristisch zu heikel
für journalistische Arbeiten waren, als Krimi-Stoff zu bearbeiten: So
entstanden „Schiffe Versenken“ über kriminelle Praktiken in der
Frachtschifffahrt, „Schlafende Hunde“ über Stasi-Seilschaften und, zuletzt,
„Brüder“.
Bei traditionell wichtigen internen Nebenplots über das kollegiale
Verhältnis der Ermittler und deren Familienleben schien dagegen ein toter
Punkt erreicht zu sein: Über die Jahre hatte Stedefreund mit Lürsens
Tochter geschlafen, die wurde auch Polizistin und sogar Vorgesetzte ihrer
Mutter. Was soll da noch passieren? 2013 versuchten die Serienentwickler
zwei Folgen lang Radikales: Sie schickten Stedefreund nach Afghanistan, wo
er Polizisten ausbildete, und gönnten der Hauptkommissarin mit dem
Kriminaloberkommissar Leo Uljanoff (Antoine Monot Jr.) einen neuen
Kollegen, mit dem sie auch gleich eine intime Beziehung begann. Schon in
der zweiten Folge wurde Uljanoff dann getötet – er oder Stedefreund, war
wohl die Frage.
Inzwischen dürfte man diese Entscheidung bei Radio Bremen bereuen, denn
Monot Jr. hat eine erstaunliche Blitzkarriere gemacht: Als „Tech-Nick“ in
einer Elektronikmarkt-Werbekampagne wurde er in kurzer Zeit sehr bekannt
und spielt nun in der Neuauflage der ZDF-Serie „Ein Fall für Zwei“ den
Rechtsanwalt Benni Hornberg. Mit seinem komischen Talent hätte er dem
Tatort die dringend nötige Verjüngung bringen können – stattdessen geht es
für Hauptkommissarin Lürsen langsam Richtung Rente.
## Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste
15 May 2014
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.