# taz.de -- Erziehung: Bürgermeister in Vaterzeit | |
> Drei Monate lang kümmert sich Oliver Igel, Vorsteher des Berliner Bezirks | |
> Treptow-Köpenick, nur um seinen Sohn. Zwölf Monate wären nicht gegangen, | |
> glaubt er. | |
Bild: Oliver Igel (links) mit SPD-Bürgermeisterkollege Heinz Buschkowsky und d… | |
Felix schaut mit großen Augen zu dem Radfahrer, der sein Fahrrad | |
anschließt. Der Drahtesel stößt laut mit einem anderen zusammen und Felix | |
steckt seinen Kopf neugierig aus seinem Kinderwagen. Die Kirschen, die sein | |
Vater gerade am gegenüberliegenden Stand eines Köpenicker Einkaufszentrums | |
kauft, interessieren Felix eher nicht. Felix ist neun Monate alt und wird | |
ab August eine Kita besuchen. Bis es so weit ist, kümmert sich sein Vater | |
Oliver Igel um ihn. Er hat zwei Monate Elternzeit und einen Monat Urlaub | |
für ihn eingeplant. Oliver Igel ist Bürgermeister von rund 250.000 | |
Einwohnern des Berliner Bezirks Treptow-Köpenick. | |
Ein Bürgermeister in Elternzeit. Geht das? „Meine Kollegen im Bezirksamt | |
reagieren da mit großem Verständnis“, sagt der SPD-Politiker. Seine | |
Stellvertreterin Ines Feierabend (Linke) bestätigt das: „Es gab im | |
Bezirksamt nie eine Diskussion. Ich persönlich finde, die Elternzeit ist | |
für Herrn Igel eine Chance, in einer wichtigen Lebensphase Kontakt zu | |
seinem Kind aufzubauen.“ | |
## „Hat der nichts zu tun?“ | |
Sein Dienstvorgesetzter, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), | |
habe den Antrag des Bezirksbürgermeisters auf Elternzeit ohne Probleme | |
genehmigt, sagt Igel. „Er hat da Erfahrung. Schließlich war sogar der Chef | |
seiner Senatskanzlei, Björn Böhning, in Elternzeit.“ | |
Dennoch: „Zwölf Monate Elternzeit wären wahrscheinlich nicht gegangen“, | |
sagt Igel. | |
„Guten Tag, Herr Igel“, ruft ein Kunde im Einkaufszentrum. Igel grüßt | |
freundlich zurück, während er Felix die Mütze aus dem Gesicht streicht. Der | |
Bürgermeister ist im Köpenicker Allende-Kiez bekannt, nicht erst seit er | |
hier jeden Tag mit Felix einen Spaziergang macht. „Dass ich vormittags den | |
Kinderwagen schiebe, stößt natürlich nicht nur auf Verständnis bei | |
Bürgern“, sagt Igel. Da hätten sich schon Leute gefragt, ob er nichts | |
anderes zu tun habe. „Es gab auch schon die Meinung, als gewählter | |
Politiker hätte ich nicht das Recht, Elternzeit zu nehmen.“ | |
Felix hat die Augen halb geschlossen. Das Schieben im Kinderwagen hat den | |
recht ruhigen Jungen müde gemacht. Kein Wunder, denn Oliver Igel und Felix | |
sind an diesem späten Vormittag schon lange auf den Beinen. Felix verlangt | |
in aller Frühe sein Fläschchen. Nach dem Frühstück sind Vater und Sohn ins | |
Köpenicker Rathaus gefahren. „Drei- bis viermal pro Woche hole ich dort | |
meine Post ab, die ich abends lese“, sagt er. Dann folgt der lange | |
Spaziergang mit Einkauf, bevor der Vater den Mittagsbrei für Felix erwärmt. | |
Der Nachmittag gehört ebenfalls Felix: Einmal pro Woche geht Oliver Igel | |
mit ihm in die Krabbelgruppe seiner künftigen Kita, einmal geht es in die | |
Krabbelgruppe bei der Hebamme, einmal bekommt Felix Ergotherapie am anderen | |
Ende der Stadt. Dazu kommen Termine beim Kinderarzt, Spielplatz, Haushalt: | |
Igels Terminkalender ist auch in der Elternzeit gut gefüllt. „Zurzeit bin | |
ich sogar alleinerziehend“, sagt Oliver Igel. Felix’ Mutter, die | |
SPD-Abgeordnete Ellen Haußdörfer, sei gerade auf Dienstreise. | |
Aber auch im Rathaus hat Igel trotz Elternzeit weitere Termine wahrgenommen | |
als nur das Abholen der Post. Ein neuer Stadtrat musste ernannt werden. Die | |
langjährige Leiterin des örtlichen Tourismusvereins hat er feierlich in den | |
Ruhestand verabschiedet. | |
Ein Spielplatz, Oliver Igel nimmt Felix aus dem Kinderwagen. Felix’ kleine | |
Händchen greifen nach den Seilen eines Klettergerüsts. Felix ist wieder | |
hellwach. Er brabbelt vor Freude und strahlt über das ganze Gesicht. „Sein | |
Strahlen ist meine Anerkennung“, freut sich der Vater. Für ihn ist es keine | |
Selbstverständlichkeit, dass Felix so freudig auf ihn reagiert. „In seinen | |
ersten Lebenswochen ging ich zur Arbeit, als er noch schlief, und ich kam | |
nach Hause, als er schon schlief. Da wusste ich nicht mal genau, ob er mich | |
überhaupt kennt.“ | |
Dass beide Elternteile von Felix Politiker sind, macht die Kinderbetreuung | |
nicht einfach. Beide müssen Abendtermine wahrnehmen, und Hilfe von | |
Großeltern ist eher selten. „Meine Eltern arbeiten noch. Die | |
Schwiegereltern wohnen weit weg“, sagt der 36-Jährige. Und Felix’ Mutter | |
steht als Abgeordnete nicht einmal Elternzeit zu. Sie hatte lediglich einen | |
Anspruch auf acht Wochen Mutterschutz nach der Geburt des Kindes. Danach | |
hieß die Wahl: Mandat niederlegen oder weitermachen. | |
## Neue Lebenserfahrung | |
Als eine von sechs Abgeordneten wurde Haußdörfer in dieser | |
Legislaturperiode Mutter – und hat sich dafür entschieden, trotz Kleinkind | |
ihr Mandat weiter auszufüllen. Dienstags und donnerstags, wenn | |
Fraktionssitzungen und Plenum sind, gibt es für die Abgeordnetenkinder eine | |
Betreuung. Zu Ausschusssitzungen, Büroarbeit und Aktivitäten im Wahlkreis | |
muss eine Politikerin mit Kind kreative Lösungen finden. „Felix wurde auch | |
schon mal auf Sitzungen mitgenommen. Oder ich habe mir die Büroarbeit mit | |
nach Hause genommen, damit meine Lebenspartnerin ins Abgeordnetenhaus | |
konnte“, erzählt der Vater. | |
Wenn Oliver Igel im August wieder ins Rathaus zurückkehrt, wird er viel an | |
neuer Lebenserfahrung dorthin mitnehmen. „Ich habe durch die Spaziergänge | |
mit Felix Lebensräume im Bezirk kennengelernt, die ich bisher nicht | |
kannte.“ Auch sein Respekt vor Eltern sei gestiegen. „Wenn ich spätabends | |
eine Frau den Kinderwagen schieben sah, dachte ich immer, das sei eine | |
Rabenmutter. Jetzt denke ich, das ist für Mutter und Kind vielleicht die | |
einzige Möglichkeit, nachts zur Ruhe zu kommen.“ | |
Felix quengelt. Er hat Hunger. Zeit für den Vater, zu Hause das Essen zu | |
bereiten. | |
16 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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