# taz.de -- Sechs Ranger für 350.000 Hektar: Sieh doch, die Eiderenten | |
> Als das Wattenmeer Unesco-Weltnaturerbe wurde, schlugen deutsche | |
> Politiker vor Stolz Purzelbäume. Aber sie vergaßen, dieses Naturwunder | |
> ausreichend zu schützen. | |
Bild: Im Wattenmeer der Insel Langeoog soll Ruhe herrschen: Aber zu wenige Rang… | |
LANGEOOG taz | Morgens um vier pfeift sich die Welt eins. Die Vögel wachen | |
auf. Jan Weinbecker, Ranger im Nationalpark auf Langeoog, schleicht sich | |
aus dem Bett. Auf ihn wartet ein 14-stündiger Arbeitstag. Seine Frau Birte, | |
seine Tochter und sein Sohn schlafen noch fest. Der Ranger blinzelt in die | |
aufgehende Sonne über dem golden schimmernden Wattenmeer. Er kennt jeden | |
Ruf, jedes Klicken, jedes Schnarren seiner gefiederten Nachbarn. | |
Weinbecker und seine Familie leben Natur. „Achtsam mit sich selbst | |
umzugehen, öffnet einem den Blick auf die Umwelt“, sagt der 39-Jährige. Die | |
Leidenschaft für Natur ist kein Spleen, sondern Ausdruck der Neugier auf | |
Leben. Nach Weltreise, Jobs als Seemann und Arbeit in Naturreservaten bekam | |
er erste amtliche Aufträge für Vogelkartierungen in ganz Europa. | |
Seit 2003 arbeitet er als Illustrator und Ornithologe. Während eines | |
gemeinsamen Projekts auf der Vogelinsel Mellum im niedersächsischen | |
Wattenmeer haben sich die Weinbeckers gefunden. Die Umweltwissenschaftlerin | |
und seit kurzem staatlich geprüfte Wattführerin hat ihre Liebe zur | |
Ornithologie ihrem Vater abgeschaut. Mit ihrem Mann tourte die 32-Jährige | |
durch Europa, um die Wanderzüge von Greifen und anderen Zugvögeln zu | |
dokumentieren. Fast nebenbei wuppte sie ihr Studium. Heute stehen beide | |
ihre Frau und ihren Mann in einem schier unmöglichen Unterfangen. | |
## Nur ein Werbetrick | |
Als 2009 die Unesco dem niedersächsischem und schleswig-holsteinischem Watt | |
den Titel eines Weltnaturerbes verlieh, waren die Landesregierungen | |
glücklich. Jetzt, so wähnten sie, kämen auch die Touristen von überall her. | |
„Der Titel Weltnaturerbe ist nur ein Werbetrick, um die Naturflächen besser | |
vermarkten zu können“, sagt Reiner Schopf, einer der ersten Ranger im Watt. | |
30 Jahre war er Naturschutzwart auf der Vogelinsel Memmert, westlich von | |
Juist. Heute ist er im Ruhestand und von allen Illusionen befreit. „Die | |
Weinbeckers machen eine tolle Arbeit. Aber sie sind Einzelkämpfer“, sagt | |
Schopf, der heute Mitglied in der ostfriesischen Naturschutzgemeinschaft | |
Wattenrat ist. Tourismus und Wirtschaftsinteressen zerstörten das | |
Wattenmeer unwiederbringlich, erklärt er und Unterstützung bekommt er von | |
unerwarteter Seite. Eine interne Überprüfung aller deutschen Nationalparks | |
durch den eigenen Dachverband Europarc stellte fest: „In fast allen Parks | |
ist die Erfüllung sämtlicher Aufgaben kaum oder gar nicht möglich.“ | |
Diese Analyse arbeitet heraus, dass ein Nationalpark eigentlich zehn bis 40 | |
Ranger haben sollte. Im niedersächsischen Nationalpark sind es laut | |
Nationalparkverwaltung aber nur sechs. „Trotz vieler ehrenamtlicher Helfer | |
ist das ein Witz“, sagt Schopf. | |
## Hardcore-Tourismus | |
„Ein Ranger kann höchstens etwa zehn Quadratkilometer Fläche betreuen“, | |
sagt Frank Grütz, Vorsitzender des Berufsverbandes der Ranger. Demnach | |
müsste der niedersächsische Nationalpark eigentlich mehr als 300 Ranger | |
anstellen. Trotzdem schrieb das Land Niedersachsen in seiner Bewerbung für | |
das Weltnaturerbe an die Unesco 2008 kurz und bündig: „Die Betreuung ist | |
robust genug und kann eine Steigerung des Tourismus aushalten.“ Die | |
Steigerung des Tourismus an der Nordsee ist für Umweltschützer der | |
Super-GAU. Sven Ambrosy, SPD-Landrat und Chef des Tourismusverbandes | |
Nordsee, spricht stolz von mehr als 37 Millionen Übernachtungen im | |
vergangenen Jahr. Die Nordsee ist damit absoluter Hardcore-Tourismus. | |
„Vergleicht man die offiziellen Angaben mit der tatsächlichen | |
Schutzsituation, dann könnte in letzter Konsequenz Niedersachsen und auch | |
Schleswig-Holstein der Titel Weltnaturerbe wieder aberkannt werden“, stellt | |
Grütz fest, aber das Land Niedersachsen bleibt gelassen. Der grüne | |
Umweltminister Stefan Wenzel wisse um das Problem, meint eine Sprecherin. | |
Die unzureichende Überwachung werde als Problem durchaus gesehen. Deshalb | |
hat das Ministerium ein Konzept für die Ausstattung mit hauptamtlichen | |
Rangern erarbeitet – die Finanzierung müsse allerdings noch geklärt werden, | |
heißt es aus dem Haus. | |
## Beziehungsleben der Vögel | |
Ist Ranger trotzdem ein Traumberuf? Jan Weinbecker sagt Ja. „Wir müssen den | |
Menschen die Faszination Natur vermitteln“, sagt er. Die Arbeit sei | |
umfangreich und ihnen gingen die Ideen nie aus, auch wenn nicht alles | |
umsetzbar sei. Weinbecker und seine Frau haben beispielsweise didaktische | |
Programme für Schulen entworfen, begleiten wissenschaftliche Touren. Birte | |
Weinbecker hält Vorträge mit Titeln wie „Ehepartner, Hippies und Emanzen – | |
das Beziehungsleben der Vögel“. | |
„Wir müssen unsere eigene Begeisterung für die Natur und die Tiere | |
weitergeben“, sagt sie. Ihr Mann verführe alle, die in seine Nähe kommen, | |
dazu, durch das Fernglas zu schauen und sich dann den Taumelbalzflug des | |
Rohrweihen-Männchens zeigen zu lassen, sagt Birte Weinbecker. Haben sich | |
die Besucher vorher nur für Seehunde interessiert, erzählen sich danach | |
noch lange von Vögeln wie Austernfischer, Knutts und Ringelgänsen. | |
Würde Jan Weinbecker Staubsauger verkaufen, er wäre wohl ein reicher Mann. | |
Aber er verkauft das komplizierte Produkt Wattenmeer. Doch auf seine Seite | |
schlagen sich nun auch Menschen, von denen man das nicht sofort erwartet | |
hätte. „Minister Wenzel kennt das Problem der mangelnden Betreuung. | |
Entscheidend aber ist, welchen politischen Stellenwert die gesamte | |
Regierung, vor allen Dingen der Finanzminister, dem Schutz des Wattenmeeres | |
einräumt.“ Der Mann, der dies sagt, ist auf den ersten Blick nicht als | |
harter Naturschützer auszumachen. Denn Uwe Garrels gehört von Berufs wegen | |
eigentlich zu den Gegnern des Nationalparks. | |
Garrels ist seit 2011 Bürgermeister von Langeoog. Die Insel machte | |
Schlagzeilen mit dem Betrieb eines illegalen Golfplatzes, massiver | |
Schwarzbautätigkeit und dem Bau einer Straße in die Ostspitze der Insel nur | |
für Touristen. „Das war alles vor meiner Zeit“, winkt der Bürgermeister u… | |
ehemalige Wattführer ab. | |
„Es hat eine Art Klimawandel im Naturschutz stattgefunden. Wenn wir die | |
Natur hüten und pflegen, dann sind auch unsere Gäste zufrieden“, sagt | |
Garrels. Er selbst habe den grünen Umweltminister aufgefordert, mehr Ranger | |
einzustellen. „Konkret für Langeoog brauchen wir mindestens drei weitere | |
hauptamtliche Ranger“, sagt er. Und diese Ranger will er mit Polizeigewalt | |
ausstatten: Wenn sich Leute nicht belehren ließen, müssten sie das zu | |
spüren bekommen. | |
## Ranger können nur reden | |
„Jetzt haben wir keine hoheitlichen Rechte“, sagt Jan Weinbecker. „Uns | |
bleibt nichts anderes übrig als zu reden, zu überzeugen und zu begeistern“, | |
sagt der Ranger und stellt seine Ferngläser in der Beobachtungshütte am | |
Ostende von Langeoog auf. Immer wieder animiert er Touristen, einen Blick | |
durch die sogenannten Spektive zu wagen. Er schwärmt von den Knutts, die | |
als arktische Zugvögel bis zu 5.000 Kilometer Nonstop von Ostfriesland an | |
die sibirische Eismeerküste fliegen. Die Kegelrobbenkolonie vor der Insel | |
Spiekeroog, für die sich die Touristen sonst interessieren, scheint dann | |
vergessen. Weinbecker wird euphorisch, als er mit seinem Fernrohr einen | |
Kindergarten von Eiderenten in etwa 500 Meter Entfernung im Flutsaum einer | |
Sandbank findet. | |
Plötzlich tritt eine fast gespenstische Ruhe ein. Dann pfeift der Ranger | |
erstaunt: „Da, sehen Sie ihn?“ Niemand sieht etwas, aufgeregtes Gedränge | |
vor den Fernrohren. Dann fängt der Ranger mit geübtem Blick einen | |
klitzekleinen Punkt am Himmel ein. Im Fernrohr ist ein Fischadler zu sehen. | |
„So habe ich die Natur auf der Insel noch nie gesehen. Vielen Dank“, sagt | |
eine ältere Dame und ergreift Weinbeckers Hand. | |
Zusammen mit seiner Frau hat er einiges auf Langeoog bewegt. Auch | |
leidenschaftliche Hundebesitzer lassen ihre Tiere im Nationalpark nicht | |
mehr von der Leine, nachdem man ihnen die Folgen des Freilaufs ihrer Tiere | |
für die am Boden brütenden Vögel erklärt hatte, sagen die Weinbeckers. | |
Jan Weinbecker berät Behörden, ist in Bauplanungen involviert. Er übernimmt | |
Aufgaben des Natur- und Küstenschutzes, macht Öffentlichkeitsarbeit, | |
betreut und bildet freiwillige Helfer aus. Wenn er dann denkt, er habe | |
alles erledigt, bekommt er einen Anruf: Ein großes totes Tier müsse vom | |
Strand geborgen werden. Das alles ohne Auto und ohne Boot auf einer 25 | |
Quadratmeter großen Insel. | |
Manchmal wird es den Weinbeckers ein wenig viel. „Das Leben auf der Insel | |
ist nicht immer einfach und für uns oft anstrengend“, sagen sie einhellig. | |
Richtig ausschlafen wäre auch mal eine Alternative. Aber wenn am nächsten | |
Morgen das Schwarzkehlchen fiept, dann wissen sie, warum sie hier sind. | |
23 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Thomas Schumacher | |
Thomas Schuhmacher | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
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