| # taz.de -- Die Montagsreportage: Ramadan im Knast | |
| > Fasten ist für gläubige Muslime im Gefängnis ebenso wichtig wie draußen. | |
| > Es ist schwieriger zu organisieren. Für den Häftling Ibrahim wird der | |
| > Fastenmonat einsam. | |
| Bild: Über der Justizvollzugsanstalt Rosdorf: Nur der Blick auf den Himmel ist… | |
| Ibrahim hat gekocht. Aber er darf es nicht essen. Noch nicht. Ibrahim ist | |
| 27 Jahre alt und sitzt seit 31 Monaten in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf | |
| bei Göttingen ein. Den Topf mit dem Essen muss er mit in seine Zelle | |
| nehmen. Hier greift er die Tagesdecke vom Bett, wickelt den Topf darin ein | |
| und stellt ihn hin. So bleibt das Essen zumindest ein bisschen warm. | |
| Einschluss ist um 19.30 Uhr. Dann gehen die dicken Stahltüren in der JVA | |
| Rosdorf zu. Bolzen schieben sich aus den Türen in die Wand und verriegeln | |
| die Zellen. Ibrahim ist dann mit seinem Topf allein, wird ihn aber noch | |
| mindestens zwei Stunden nicht anrühren. Und das obwohl er den ganzen Tag | |
| nichts gegessen hat. | |
| Obwohl er nichts getrunken hat und den ganzen Tag gearbeitet hat. Es ist | |
| Ramadan, der muslimische Fastenmonat. Gläubige Muslime essen erst dann, | |
| wenn die Sonne untergegangen ist. Sie verzichten außerdem auf Rauchen und | |
| auf Sex. Das ist auch im Knast so. | |
| ## Nichts bleibt verborgen | |
| Ibrahim erzählt von diesem Prozedere mit dem Topf im Besuchertrakt der JVA. | |
| Der Besucherraum erinnert an den aktuellen Jugendherbergschic: Holzmöbel, | |
| beige Wände, an denen ein einsames quadratisches Gemälde hängt. Es ist ein | |
| Stillleben, ein Tisch mit einem Pott voll Rosen drauf. Die Türen haben | |
| blaue Rahmen, in denen Glasscheiben sitzen und den Blick auf den Flur | |
| freigeben. | |
| Eigentlich eher andersherum, die Scheiben geben den Blick vom Flur in den | |
| Raum frei. Nichts soll hier verborgenen bleiben. Dazu dienen auch die | |
| Kameras. Sie schicken Bilder auf die Bildschirme von Beamten, die im | |
| Nebenraum sitzen. Die Türen sind zu schwer für eine Jugendherberge und sie | |
| lassen sich auch nicht selbständig öffnen. | |
| Ibrahims Leben ist derzeit gleich doppelt reglementiert: Er ist ein | |
| Gefangener. Seinen Tagesablauf bestimmt die Justizvollzugsanstalt. | |
| Aufstehen um 6.15 Uhr, arbeiten ab 6.40 Uhr, Einschluss um 19.30 Uhr. Jeden | |
| Tag das Gleiche. Außerdem muss er als gläubiger Muslim während des Ramadans | |
| fasten und fünf Mal am Tag beten. Das ist im Gefängnisalltag nur schwer | |
| einzuhalten. „Ich schaffe das oft nicht und hole die Gebete dann abends | |
| nach“, sagt Ibrahim. | |
| Er lächelt. Auf seiner Stirn glänzen kleine Schweißperlen. Es ist ein | |
| heißer Tag. Seine Hände liegen auf den Oberschenkeln. Manchmal hebt er die | |
| rechte Hand und unterstreicht Gesagtes mit Gesten. Sein roter Vollbart ist | |
| kurz, genauso die Haare. Er trägt eine weiße Hose und ein weißes T-Shirt. | |
| Er könnte als Arzt oder Koch durchgehen. Letzteres ist nahe dran. | |
| Wie die meisten Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf arbeitet | |
| Ibrahim. Sein Arbeitsplatz ist die Gefängnisküche. Wenn es wie jetzt | |
| Mittagszeit ist, ist das während des Ramadans besonders hart für ihn. „Es | |
| ist anstrengend, wenn man fastet und die ganze Zeit von Lebensmitteln | |
| umgeben ist“, sagt Ibrahim. Aber er hält trotzdem durch. | |
| Für ihn ist es der dritte Ramadan. Er hat erst im Gefängnis angefangen, | |
| regelmäßig zu beten und zu fasten. Das gebe ihm die Kraft, die Zeit im | |
| Knast durchzuhalten. „Für mich ist Ramadan ganz wichtig, weil er eine der | |
| fünf Säulen des Islams ist“, sagt Ibrahim. Der Ramadan soll eine | |
| besinnliche Zeit sein und das Fasten soll den Gläubigen zeigen, wie sich | |
| die Armen fühlen. | |
| Die fünf Säulen des Islam sind die wichtigsten Pflichten, die der Islam von | |
| seinen Anhängern fordert. Dazu gehört, dass Muslime ein eindeutiges | |
| Glaubensbekenntnis ablegen, den Armen Almosen zukommen lassen, mindestens | |
| einmal in ihrem Leben nach Mekka pilgern und eben fünfmal am Tag beten | |
| sowie im Ramadan fasten müssen. | |
| Die Fastenzeit dauert 29 Tage und ist dieses Jahr am 27. Juli zu Ende. | |
| Beginn und Ende verschieben sich jedes Jahr jeweils um ein paar Tage nach | |
| hinten. Denn der Ramadan richtet sich nach dem islamischen Mondkalender und | |
| der ist kürzer als der weltweit angewandte gregorianische Kalender. So | |
| wandert der Ramadan durch die Jahreszeiten. | |
| ## Aufgeben ist Sünde | |
| „Die ersten ein, zwei Tage sind meistens schwierig“, sagt Ibrahim. Dabei | |
| sei das mit dem Essen gar nicht so schlimm und das mit dem Trinken auch | |
| nicht. „Aber ich bin ja starker Raucher, da bin ich schon ein bisschen | |
| gereizt, weil ich nicht rauchen kann“, sagt Ibrahim. Da müsse man | |
| aufpassen. Er hält kurz inne, räuspert sich. „Weil wenn man das Fasten | |
| nicht durchhält, dann ist das eine größere Sünde, als wenn man das | |
| überhaupt nicht gemacht hätte“, sagt er. Man müsse sich halt daran | |
| gewöhnen. „Dann fühlt man sich bald viel, viel klarer im Kopf. Und man weiß | |
| das Essen viel mehr zu schätzen.“ | |
| Der stellvertretende Anstaltsleiter Torsten Vehma und sein Beauftragter für | |
| Öffentlichkeitsarbeit, Manfred Fiedler, sitzen mit im Besucherraum. Fiedler | |
| hat seinen Stuhl mit der Lehne zur Wand gedreht. So blickt er von der Seite | |
| auf Ibrahim. Vehma sitzt bequem, die Hände auf dem Holztisch. Beide bremsen | |
| Ibrahim, wenn er etwas sagen will, das sie für nicht vereinbar mit dem | |
| Datenschutz halten. | |
| Fiedler hebt dann den Zeigefinger und schüttelt den Kopf. Vehma sagt, die | |
| JVA unterstütze Ibrahim dabei, auch im Gefängnis fasten zu können. „Wir | |
| versuchen den Häftlingen, die diesen Glauben haben, die Möglichkeit zu | |
| geben, nach diesen Bekenntnissen und Vorgaben zu leben“, sagt er. | |
| Dass die Gefängnisse dafür sensibilisiert seien, sei erst in den letzten | |
| fünf bis sieben Jahren aufgekommen, sagt Vehma. Vorher sei das kein Thema | |
| gewesen. Er vermutet, dass das mit einer veränderten Einstellung der | |
| Gesellschaft zu Muslimen zu tun hat. Er verweist auf Christian Wulffs „Der | |
| Islam gehört zu Deutschland“-Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit | |
| und auf Vereinbarungen, die Niedersachsens Ex-Justizminister Bernd Busemann | |
| Ende 2012 mit muslimischen Verbänden traf. | |
| Seitdem ist unter anderem die muslimische Seelsorge im Gefängnis | |
| garantiert. Wie viele Muslime in den niedersächsischen Gefängnissen leben, | |
| ist unklar, weil die Insassen ihre Religionszugehörigkeit nicht angeben | |
| müssen. Schätzungen gehen aber von rund 400 Muslimen aus. Das wären rund | |
| acht Prozent der Gefangenen. | |
| ## Gesellschaft fehlt | |
| Für die Häftlinge ist Ramadan im Knast trotzdem nicht ganz problemlos. | |
| Ibrahim und zwei weitere Rosdorfer Häftlinge, die derzeit fasten, bekommen | |
| zwar von der Küche extra ein Ramadan-Packet gepackt. So können sie nach dem | |
| Einschluss in ihren Zellen essen. Improvisieren müssen sie dennoch. Wie | |
| Ibrahim, der seine Decke zum Warmhalten benutzt. Auch ist das Fastenbrechen | |
| eigentlich ein Gemeinschaftsereignis. Familien, Freunde und Gemeinden | |
| treffen sich nach Sonnenuntergang, um gemeinsam zu beten und zu essen. Im | |
| Knast sitzt jeder allein in seiner Zelle. | |
| Hinzu kommt, dass die Mithäftlinge nicht allzu viel Verständnis für | |
| Ibrahims religiöse Pflichten haben. Er werde aber nicht provoziert, sagt | |
| er. Das sei alles nur Spaß. Was seine Mithäftlinge genau sagen oder tun, | |
| damit will er nicht rausrücken. „Aber manchmal gehen die mir schon auf den | |
| Sack!“, sagt Ibrahim. Die Schwierigkeiten des Knastes haben für ihn aber | |
| auch einen spirituellen Reiz. „Ich denke, dass Gott uns alle liebt, aber | |
| wenn in solchen Situationen gefastet wird, dann mag er die Menschen noch | |
| mehr und wenn man fastet, dann tilgt Allah die ganzen Sünden“, sagt er. | |
| Den weltlichen Instanzen reicht es allerdings nicht, dass Ibrahim | |
| regelmäßig fastet. Die JVA wird er noch eine ganze Weile nicht verlassen. | |
| Wie lange noch? Das ist unklar. Er hofft, dass das Gericht einer | |
| vorzeitigen Entlassung zustimmt. Die Verantwortlichen im Gefängnis räumen | |
| ihm gute Chancen ein. Verurteilt wurde er wegen Einbruchs und Diebstahls. | |
| Weil er Bewährungsauflagen nicht einhielt, ist er in der JVA gelandet. | |
| Wenn er hier raus ist, will er nie wieder rein. Der Knast habe ihn auf | |
| jeden Fall geheilt. „Man weiß plötzlich alles viel mehr zu schätzen und die | |
| ganzen Sachen, die man falsch gemacht hat, die kommen einem plötzlich in | |
| den Kopf rein und man denkt nach“, sagt Ibrahim. Wenn seine Familie ihn | |
| besuchen kommt, sehe er ihnen an, dass sie traurig sind. „Das nimmt einen | |
| schon mit“, sagt er. | |
| Am Ende sagt er noch, dass seine Familie ein Restaurant hat, in dem er | |
| wieder arbeiten möchte, wenn er entlassen wird. Dann steht er auf, streckt | |
| den rechten Arm nach vorn und bietet die Hand zum Schütteln an. Jetzt muss | |
| er erstmal zurück an seinen aktuellen Arbeitsplatz, in die Gefängnisküche. | |
| 21 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Jakob Epler | |
| ## TAGS | |
| Ramadan | |
| Fastenmonat | |
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