| # taz.de -- Ruine in Beelitz: Ateliers im Horrorhaus | |
| > Noch besuchen Horror-Fans, Sadomasochisten, Abenteurer und Vandalen das | |
| > ehemalige Lungensanatorium. Jetzt sollen Kreative einziehen. | |
| Bild: Das verfallene Gebäude zieht viele Besucher an | |
| Überwucherte Rabatten, ringsum ragen drei verfallene Ziegelgebäude mit | |
| hölzernen Giebelchen in die Höhe. Dahinter rauscht der Wald. Das hier | |
| könnte das Hogwarts-Internat sein, an dem Film-Zauberlehrling Harry Potter | |
| seine Kunst lernte. Oder ein verwunschenes Märchenhaus. Wäre da nicht der | |
| derangierte steinerne Rotarmist, der die Szenerie bewacht. Und das große | |
| gelbe Schild: „Privatbesitz – Betreten verboten. Lebensgefahr!“ | |
| Was einmal Quadrant A der modernsten Lungenheilanstalt Deutschlands war, | |
| ist heute eine Mega-Immobilie im Dämmerschlaf. Die Heilstätten in Beelitz | |
| waren bei ihrer Eröffnung Anfang des 20. Jahrhunderts der Zauberberg | |
| Brandenburgs: Mehr als 1.000 Betten mit Sanatorium und eigenem | |
| Heizkraftwerk für die vielen tuberkulosekranken und „nervenschwachen“ | |
| Proletarier aus den Fabriken und Mietskasernen. Hunderttausende Männer, | |
| Frauen und Kinder wurden hier nach den neuesten Erkenntnissen der Heilkunde | |
| behandelt. In den Weltkriegen diente das Krankenhaus der Soldatengenesung, | |
| der Gefreite Adolf Hitler ließ sich hier im Ersten Weltkrieg behandeln. | |
| Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Gelände Lazarett der Sowjetarmee. Bis | |
| 1994. Seitdem liegt das mächtige Areal brach. | |
| Bislang ist nur die ehemalige Männerheilstätte als neurologische | |
| Reha-Klinik wiederauferstanden. An dem Rest sind schon einige | |
| Investorenträume gescheitert. Derzeit gehört das Gelände dem Potsdamer | |
| Architekten Thorsten Schmitz. Der fühlt sich mit der Investorensuche für | |
| das Riesengelände offenbar überfordert: Außer einem vagen Plan für einen | |
| „Baumkronen-und Zeitreisepfad“ ist noch nichts passiert. Die Heilstätten | |
| verfallen, dienen gelegentlich als Filmkulisse und sind mit ihrem morbiden | |
| Charme Anziehungspunkt für Freunde des Übersinnlichen sowie | |
| Sadomaso-Hobbyfotografen geworden. Weil der Eigentümer kein Geld hat, das | |
| Gelände ausreichend zu sichern, finden hier immer wieder Partys statt, | |
| verunglücken Teenager in den Ruinen, reißen Diebe Metallteile aus den | |
| denkmalgeschützten Gebäuden und beschleunigen den Verfall. | |
| ## Eine halbe Stunde ab Bahnhof Zoo | |
| Einen „großen Jammer“ nennt Frank Duske den aktuellen Zustand der | |
| verwaisten Krankenhausgebäude. Duske, Designersonnenbrille, weiße | |
| Flechtschuhe, will diesem Stillstand nun abhelfen. Der Immobilienentwickler | |
| aus Berlin hat seinen silbernen Sportwagen hinter den Bahngleisen geparkt. | |
| 35 Minuten ab Bahnhof Zoo – die Heilstätten hätten „eine perfekte Lage f�… | |
| Städter, die Ruhe und Natur suchen, aber angebunden bleiben wollen“, findet | |
| er. In Quadrant D, wo einst das Frauensanatorium, die Küche und die | |
| Wäscherei untergebracht waren, will Duske nun ein „Creative Village“ mit 60 | |
| Ateliers, Gemeinschaftsgarten und Kaminzimmer schaffen. | |
| „Refugium Beelitz“ nennt sich das Projekt, das bereits das Wohlwollen des | |
| Eigentümers hat. Und das Interesse einiger Berliner, denen Duske bisher in | |
| Rundgängen die Anlagen gezeigt hat. Zehn Interessenten hätten schon | |
| reserviert, erzählt Duske, als er den mit Vorhängeschloss gesicherten | |
| Drahtzaun zum Gelände öffnet. 15 Reservierungen braucht der Geschäftsmann | |
| mindestens, um von seinen Financiers – einem Privatmann und einer Bank – | |
| grünes Licht für den Bau zu kriegen. 2016 könnte das „Refugium“ | |
| bezugsfertig sein – wenn alles gut läuft. | |
| Noch braucht man viel Fantasie, um sich hier Ateliers vorzustellen: Drei | |
| mächtige Gebäude bröckeln inmitten wilder Vegetation, die auch die | |
| Zufahrtswege zwischen den Riesen fast bis zur Unkenntlichkeit überwuchert | |
| hat. In dem zweiflügligen Herrenhaus lagen früher Patientinnen mit Aussicht | |
| auf Heilung; wo heute Bäume wachsen, war früher eine Liegewiese. Vom | |
| Heilungskonzept, das neben ärztlicher Betreuung vor allem Licht, (saubere) | |
| Luft und Sonne vorsah, sind heute nur noch die Luftrohre übrig. Die | |
| gemauerten Aufbauten, die vom Dach aufragen wie Schornsteine, waren | |
| eigentlich Teil einer ausgeklügelten Natur-Klimaanlage, wie Duske erzählt: | |
| Durch lange Rohre wurde aus dem Wald angesaugte und von Staub und | |
| Gräserpollen gereinigte Luft direkt in die Krankenzimmer gepustet. Die | |
| Kranken lagen bei geschlossenen Fenstern im Zimmer, genossen die Aussicht | |
| und atmeten gesunde Luft. | |
| Heute sind in den Zimmern nur noch die Aufhänger der Radiatoren zu | |
| erkennen, grüne Ölfarbe platzt in Fetzen von den Wänden – eine | |
| Hinterlassenschaft der Russen. Duske klopft mit dem Fuß auf die staubigen | |
| Bodenfliesen: „Mettlacher Platte“. Das türkis-weiße Rautenmuster ist ein | |
| Fabrikat der Firma Villeroy & Boch. Auch das Kreuzgewölbe im Gang und das | |
| Ziergitter über dem Oberlicht zeigen, wie hochwertig die Kliniken gebaut | |
| wurden. Eine Substanz, die sich, denkmalgerecht aufgearbeitet, in bares | |
| Geld verwandeln lässt. Aus den kleinen Liegezimmern, denen je ein | |
| Schwesternzimmer zugeschaltet war, sollen Studios mit eigenem | |
| Terrassenzugang, der Speisesaal soll zum gemeinschaftlichen „Kaminzimmer“ | |
| werden. „Man will ja nicht immer allein sein“, sagt Duske und malt sich | |
| aus, wie die Romanautorin hier nach getaner Arbeit mit dem Fotografen ein | |
| Glas Wein trinkt. | |
| ## Gute Kitas, tolle Schulen und ein Spielplatz | |
| Ein Goldschmied, ein Drehbuchautor, aber auch ein paar Frührentner mit | |
| Drang zum Gartenwerkeln haben sich bereits vormerken lassen. Ab 112.000 | |
| Euro für 48 Quadratmeter ist man hier schon dabei: Duske zeigt auf die | |
| Fenster im ersten Stock, wo kleine Einraumwohnungen entstehen sollen. Die | |
| großen Wohnungen mit eigener Terrasse kosten bis zu 290.000 Euro. Der Preis | |
| von 2.000 Euro pro Quadratmeter ziehe auch Familien mit kleinen Kindern an, | |
| die vor den explodierenden Kaufpreisen in der Berliner Innentstadt | |
| kapituliert hätten. Duske lobt die guten Kita-Angebote und tollen Schulen | |
| in Beelitz, zeigt, wo am hinteren Grundstücksrand ein Spielplatz entstehen | |
| soll. Und führt dann ins Küchenhaus, wo in einer imposanten, gelb | |
| gekachelten Halle Eisbein mit Sauerkraut für Hunderte zubereitet wurde – | |
| das damalige Verständnis von „Diätküche“. | |
| Was aber kann man mit einer solch riesenhaften Halle anfangen, mit endlos | |
| hohen Decken und unpraktischem Grundriss? Vielleicht ein unkonventioneller | |
| „Thinktank-Room“ für Werbeagenturen? Hier schaut selbst Duske ein wenig | |
| ratlos. Die Rückseite des Gebäudes ist außerdem dunkel und extrem | |
| verfallen, Teile der Decke sind einsturzgefährdet. Und nach hinten blickt | |
| man direkt auf die nebenliegende Neubausiedlung: ein Fertighaus neben dem | |
| anderen. „Ein Anblick, den man hier nicht unbedingt will“, seufzt der | |
| Immobilienvermarkter. Und komplimentiert zwischendrin eine Gruppe junger | |
| Leute vom Gelände, die umherspazieren und Handyfotos machen. Es gebe so | |
| viele Löcher und ungesicherte Stellen, wenn da jemand verunglücke. Die | |
| jungen Leute fragen, was aus dem Grundstück werden soll – Duske lächelt: | |
| Ein Kreativquartier, erschwinglich auch „für Leute wie du und ich“. | |
| Draußen erzählt er, dass die meisten seiner jüngeren Interessenten von den | |
| Eltern gesponsert würden. Eine Art, das Erbe noch zu Lebzeiten | |
| weiterzugeben. „Und eine super Idee bei den derzeitigen Zinsen.“ | |
| Selbst wohnt Duske zur Miete, er habe irgendwie immer den richtigen | |
| Zeitpunkt zum Zuschlagen verpasst. Er zuckt mit den Schultern. Egal. Er | |
| entwickle sowieso lieber Ideen für andere. Und schaffe dabei Jobs: 100 | |
| Leute sollen hier Arbeit finden, Architekten und fähige Bauhandwerker | |
| stünden schon in den Startlöchern für die tolle Aufgabe: Die vom | |
| Denkmalschutz überwachte Restaurierung werde höchsten Ansprüchen genügen – | |
| und trotzdem Geschichtsspuren wie abgewetzte Ecken oder mehrere | |
| Farbschichten sichtbar lassen. | |
| 44.000 Quadratmeter Grundstück mit Denkmalwert, dazu ein Parkwald mit dem | |
| Status eines historischen Gartendenkmals. „Das hier ist ein Juwel“, gibt | |
| sich Duske überzeugt. | |
| Eines erwähnt er bei seinem Rundgang freilich nicht: Eine Immobilie mit | |
| schlechterem Ruf als die Heilstätten dürfte sich in ganz Brandenburg nicht | |
| finden: Anfang der Neunziger ermordete ein Serientäter, den Medien „die | |
| Bestie von Beelitz“ nannten, im Klinikwald die Frau eines russischen | |
| Chefarztes und ihr Baby. 2008 erwürgte ein Hobbyfotograf in einem der | |
| Pförtnerhäuser seine Sexualpartnerin. Genug Stoff für grausige Legenden und | |
| Spukstorys, die im Internet massenhaft über die Heilstätten kursieren. | |
| Jedes Wochenende kommen Horrortouristen und Sensationslustige in Scharen, | |
| drehen Sadomaso-Pornos, feiern schwarze Messen oder suchen in der Chirurgie | |
| nach den Geistern verblichener Patienten. Wer hat schon Lust, an so einen | |
| Ort zu ziehen? | |
| Familie Lohse hat es getan: 2006 kaufte das Ehepaar mit drei Kindern das | |
| ehemalige Pförtnerhaus in Quadrant D. Seitdem sind die Lohses hier die | |
| Einzigen. Vorne rauscht die Straße nach Potsdam, hinten verwittert, was | |
| Duske bald zum Leben erwecken will. Wie lebt es sich hier, zwischen | |
| verlassenen Gebäuden und heimgesucht von ungebetenen Besuchern? Im kleinen | |
| Garten flattert die Wäsche, hinter der sorgfältig renovierten | |
| Fachwerkfassade, irgendwo bellt ein Hund. Frau Lohse, eine Blondine mit | |
| Farbklecksen auf dem T-Shirt, öffnet. Und schwärmt von den tollen Details | |
| ihres Hauses – schrägstehende Fensterbretter, verstärkte Ecken an der | |
| Wetterseite. „Einfach traumhaft“ – nur der Wochenendtourismus nerve. | |
| „Früher liefen die hier mit der Sense auf dem Rücken am Haus vorbei.“ Sie | |
| schüttelt lachend den Kopf. Seit ein Fotoverein und eine Ehrenamtliche | |
| regelmäßig geführte Touren anböten, hielte sich der Andrang in Grenzen. Die | |
| Lohses freuen sich auf neue Nachbarn. „Es wäre schön, wenn hier wieder | |
| Leben einkehrt, die Häuser haben es verdient.“ | |
| Eine ganz normale Brandenburger Familie, dazu Hobbygärtner, Künstler und | |
| Autoren: Für die Heilstätten wäre das fast eine Rückkehr zu den Anfängen, | |
| als das hypermoderne Krankenhaus Luxus für alle versprach. | |
| 24 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
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