# taz.de -- Sucht: Voll auf clean | |
> Die Kreuzberger Drogentherapiestelle Kibo will Opiatabhängige auch von | |
> „sauberen“ Ersatzdrogen wie Methadon entwöhnen. | |
Bild: Substition: Das kleinere Übel | |
Haschisch, Speed, Kokain: Drogen gehörten für Robert Frank*, Bernd Müller* | |
und Alex Koch* lange zum Alltag – der Konsum war der Alltag. Irgendwann | |
griffen sie zur Spritze und setzten sich den ersten Schuss Heroin. Sie | |
kannten sich damals nicht, doch ihre Beweggründe ähneln sich. „Ich wollte | |
einfach den Kopf zumachen“, sagt Frank. Müller wollte den Alltag vergessen | |
machen, „eine gewisse Bewusstlosigkeit erreichen“. Koch suchte sein | |
persönliches „Antidepressivum“. | |
Dass die Männer so reflektiert über ihre Suchtvergangenheit sprechen können | |
– Koch ist seit zwei Wochen clean, Frank seit zwei und Müller schon seit | |
mehr als drei Jahren – verdanken sie Kibo, sagen die drei. Kibo, japanisch | |
für Hoffnung, ist eine ambulante Drogentherapiestelle in der Kreuzberger | |
Obentrautstraße. Fünf therapeutische Mitarbeiter kümmern sich dort um | |
Menschen, die abhängig von dämpfenden Substanzen wie Cannabis oder Heroin | |
sind. Rund 100 Patienten betreuen sie im Jahr, im Schnitt ist ein Patient | |
eineinhalb Jahre in Therapie. | |
Das Besondere: Seit 2010 bietet Kibo zusätzlich das in Berlin einmalige | |
Programm zur Substitutionsentwöhnung von Opiatsüchtigen an. Dabei sollen | |
sich die Abhängigen nicht nur den Heroinkonsum abgewöhnen – sondern auch | |
den Konsum von ärztlich verordneten Ersatzdrogen. | |
Solche meist synthetisch hergestellten Opiate bekommen die Patienten in der | |
Substitutionstherapie verabreicht. Dadurch soll der körperliche Schaden für | |
sie so gering wie möglich gehalten werden, gleichzeitig ist es ein Weg | |
heraus aus der Beschaffungskriminalität. Allerdings würden bei dieser | |
Therapie die wenigsten dauerhaft clean, sagt Hanspeter Eckert, | |
Psychotherapeut und Leiter von Kibo. Laut einer Studie des | |
Bundesministeriums für Gesundheit kommen denn auch nur vier Prozent der | |
Patienten irgendwann dauerhaft ohne „saubere“ Ersatzdrogen aus. | |
Die Abhängigkeit werde also oft nur auf das Substitutionsmittel verlagert, | |
sagt Eckert. Substitutionspatienten beklagen darüber hinaus, dass | |
Substanzen wie Methadon sie gefühllos machen würden. Auf Methadon sei er | |
ständig wie in Watte gepackt gewesen, ohne Elan, ohne Libido, sagt Koch. | |
Bei Kibo steht nun die völlige und dauerhafte Abstinenz an oberster Stelle. | |
Es soll vermieden werden, dass Süchtige auf solch einer emotionalen | |
Sparflamme leben müssen. Dazu entwickeln die Patienten in Einzelgesprächen | |
mit dem Therapeuten ihr persönliches Programm zur schrittweisen Entwöhnung. | |
Der Weg zur absoluten Enthaltsamkeit ist qualvoll: „Schweißausbrüche, | |
Erbrechen, Gliederschmerzen wie bei einer starken Grippe und ständige | |
Unruhe“, nennt Koch als Symptome. | |
Zum Zeitpunkt des taz-Gesprächs ist Koch kurz vor Ende seines körperlichen | |
Entzugs. Einige Wochen kann der dauern. „Affig sein“, nennt er das. Koch | |
zappelt viel herum beim Sitzen. Wie Getriebene gieren Süchtige nach dem | |
Kick der nächsten Dosis, sagt Eckert. Diesen Trieb müssten sie | |
kontrollieren lernen. „Die Patienten verlangen von sich, kurz vor dem | |
Orgasmus – dem nächsten Schuss – abzubrechen“, sagt er. „In den | |
Einzelgesprächen geben wir unseren Patienten deshalb Methoden an die Hand, | |
mit denen sie die Momente starken Verlangens überstehen können.“ Diese | |
Momente seien oftmals emotionale Augenblicke, so der Therapeut. | |
So wie bei Bernd Müller. Als seine Freundin ihn im Streit verließ, besorgte | |
er sich vor lauter Frust eine Flasche Wodka – und von seinem letzten Geld | |
Heroin und Kokain. Er soff und spritzte sich „Cocktails“. Die Wirkung war | |
verheerend. Die Diagnose im Krankenhaus: Nierenversagen. „Ich dachte schon: | |
Das war‘s“, sagt er. Doch nach zweiwöchiger Dialyse hatten seine Organe das | |
Schlimmste überstanden – und Müller beschloss, dass es so nicht weitergehen | |
kann: die nächste Therapie, dieses Mal bei Kibo. | |
Für die Patienten sei es wichtig, zu lernen, „Gefühlswellen“ auszuhalten, | |
sagt Eckert. Dazu müssten die Gefühle aber erst einmal benannt werden. Nach | |
dem Motto „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“: Stresssituationen analysieren, | |
damit sich der Patient auf den Ernstfall vorbereiten kann, anstatt von ihm | |
überrollt zu werden. Neben Gruppengesprächen, in denen die Patienten ihre | |
Erfahrungen austauschen können, spielt außerdem das sogenannte | |
„therapiebegleitende Freizeitprogramm“ bei Kibo eine große Rolle: Koch- und | |
Yogakurse und gemeinsame Ausflüge wie Kanutouren sollen die Süchtigen aus | |
der sozialen Isolation holen, in der viele Drogenkonsumenten stecken. | |
Robert Frank und Bernd Müller, die beide schon mehrere erfolglose | |
Substitutionstherapien hinter sich haben, hat die Kibo-Therapie geholfen: | |
Sie sind in ihrem kompromisslos drogenfreien Dasein mittlerweile gefestigt. | |
Der 51-jährige Frank spielt Schlagzeug in einer Rockband, und Müller, 45 | |
Jahre, hat kürzlich eine Anstellung bekommen – er arbeitet nun als Pfleger | |
in der Behindertenhilfe. Beide haben wieder eine feste Partnerin. | |
## Erfolgschance: 50:50 | |
Alex Koch ist mit 35 Jahren der Jüngste in der Runde. Und hat noch den | |
weitesten Weg vor sich. Ob er denn zuversichtlich sei, dass er es diesmal | |
schafft? „Kann ich nicht sagen.“ Drei Ärzte habe er inzwischen „durch“, | |
sagt Koch. Unzählige Therapien und stationäre Entgiftungskuren haben auch | |
ihm nicht geholfen, dauerhaft clean zu werden. Früher oder später kam der | |
Rückfall. „Weil mir alles scheißegal war. Ich habe gemerkt, dass mir das | |
normale Leben auch nichts bringt“, sagt Koch. | |
Rein statistisch stehen die Chancen, dass ihm der Kibo-Ansatz hilft, wohl | |
ungefähr bei 50:50. Laut Eckert hat Kibo bisher die Hälfte seiner | |
Substitutionspatienten erfolgreich entwöhnt. | |
Doch „die Sucht, die wirst du nie los“, sagt Frank. Die beiden anderen | |
nicken zustimmend. Man könne nur lernen, mit ihr zu leben. Zigaretten sind | |
noch gestattet. Ein Schluck Wein oder Bier hingegen nicht. Zu groß ist die | |
Gefahr, dass sich dazu wieder die anderen Substanzen gesellen. Der Körper | |
merke sich, dass er gewisse Stoffe unglaublich gerne hat, sagt | |
Psychotherapeut Eckert. Sobald auch nur eine kleine Menge wieder in den | |
Körper gelangt, schreien die Rezeptoren im Gehirn nach mehr. Deshalb geht | |
nur: ganz oder gar nicht. Für den Rest des Lebens. | |
* Namen geändert | |
28 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Markus Mayr | |
## TAGS | |
Heroin | |
Berlin | |
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