# taz.de -- Festival: Pop in der Provinz | |
> Pop, Kunst und Matsch in trauter Eintracht: Zum Festival "Watt en | |
> Schlick" vor dem Kurhaus Dangast kommen auch illustre Gäste wie Rocko | |
> Schamoni. | |
Bild: Festivalleiter Till Krägeloh will mit dem "Watt en Schlick" auch die Kun… | |
DANGAST taz | Pop und Provinz sollten sich eigentlich nicht vertragen. | |
Suggeriert das eine doch noch immer Exzess und gutes Leben, während das | |
andere sinnbildlich für Trägheit und Enge steht. Das Weltstürmerische und | |
das Freundlich-Bräsige schließen sich traditionell aus – auch dieses Jahr | |
kam kaum einer der Festivalberichte zum Wacken-Open-Air ohne den Hinweis | |
aus, dass es ja ganz verrückt sei: Zehntausende Metalheads auf dem platten | |
Land in Schleswig-Holstein. | |
Ähnlich unwahrscheinlich, wenn auch nicht – noch nicht – in der gleichen | |
Größenordnung, kommt das ungleiche Paar im Falle des „Watt en | |
Schlick“-Festes zueinander. Das dreitägige Festival findet dieses Jahr zum | |
ersten Mal statt. Und das an einem Ort, an dem man mit Leuten wie Rocko | |
Schamoni, Jacques Palminger & The Kings of Dubrock, Flo Mega und Fuck Art, | |
Let’s Dance nicht gerechnet hätte: Dangast, ein Kurort unweit von | |
Oldenburg, mit weitem Blick auf den Jadebusen und das Watt. | |
Zwei Strände hat Dangast, ein Erlebnisbad, diverse Fischbrötchenbuden und | |
zwei Kurhäuser – das alte, erbaut um 1800, und das neue. Das neue ist von | |
bestürzender Hässlichkeit – „Es ist unfassbar, dieses hingewürfelte | |
Unglück“ (Georg Diez) – und wird demnächst abgerissen. Der Wald und der | |
Strand um das alte Kurhaus hingegen bilden einen der wenigen Orte in | |
Norddeutschland, an dem die wunde Städterseele Linderung finden kann, ohne | |
im selben Zuge veröden zu müssen. Die Landschaft ist bezaubernd, Schafe | |
wackeln friedfertig den Deich entlang, drinnen wird ein überregional | |
bekannter Rhabarberkuchen serviert. | |
Nach wie vor prägt die Geschichte des alten Kurhauses, die Atmosphäre des | |
Ortes. Franz Radziwill, der den Ort in surrealistischen Gemälden verewigte, | |
hat in Dangast gelebt und im Kurhaus residiert. In den 1970er-Jahren hatte | |
die Künstlergruppe „Freie Akademie Oldenburg“ um den Beuys-Schüler Anatol | |
Herzfeld hier ihre Zentrale. | |
Man malte und entwarf Konzepte, fuhr mit einem Schiff aus Polyester übers | |
Wasser nach Kassel zur Documenta, das Akademie-Mitglied Eckart Grenzer | |
stellte eine ebenso skandalträchtige wie imposante Phallus-Skulptur auf den | |
Strand. Kurz: Man folgte dem erweiterten Kunstbegriff und veranstaltete | |
lebensfrohen Unsinn – zum Beispiel 1976 ein mit einem opulenten Preisgeld | |
dotiertes Schlickrutschen über 200 Meter. | |
Festivalleiter Till Krägeloh, der seit Jahren im Kurhaus arbeitet und | |
Lesungen und Konzerte veranstaltet, versteht das „Watt en Schlick“ denn | |
auch auch als Fortführung dieser Tradition: „Es geht mir auch darum, das | |
wiederaufleben zu lassen.“ Präsent war der Kreis um die „Freie Akademie | |
Oldenburg“ im Kurhaus allerdings immer. Zurzeit stellt der Fotograf Tim | |
Gerresheim gemeinsam mit seinem Sohn Jan Pleitner aus. Und beschlossen wird | |
das „Watt en Schlick“-Fest am letzten Tag auch mit einer Kunstaktion der | |
Akteure von damals. Dazu gesellen sich Studenten und Grafitti-Künstler. | |
„Die dürfen hier machen, was sie wollen“, sagt Krägeloh, „wir haben da | |
nichts vorgegeben.“ | |
Das Festprogramm verbindet deutschsprachigen Hip-Hop, Indiepop, Hamburger | |
Humor (vertreten durch die bereits erwähnten Könige dieser Disziplin, | |
Schamoni und Palminger) und unabhängig produzierte Filme – aber auch | |
hierzulande noch weitgehend unbemerkte Newcomer wie etwa James Hersey, ein | |
Gitarrist, der eine angenehm unkitschige Spielart des Singer-Songwritertums | |
vertritt. | |
Mit Fuck Art, Let’s Dance wiederum spielt eine der momentan | |
interessantesten Indietronic- Bands auf. Stilbewusst werden tanzbarer | |
Manchester-Sound und filigran-melancholische Melodien miteinander verwoben. | |
Wesentlich kühler klingen Susanne Blech, die auf ihrem Album „Welt | |
verhindern“ in Anknüpfung an die Kraftwerk-Tradition eine äußerst | |
textlastige Electronics-Variante spielen. „Extrem gut produzierter | |
Electro-Pop mit angenehm knarzenden Synthies, energischen Beats und | |
wirklich hittigen Melodien, auf die sich aber kein Mensch konzentrieren | |
kann, weil sich zeitgleich ein unablässiger Textstrom auf den Hörer | |
ergießt“, meinte Intro. | |
Apropos Textstrom: Blumentopf und Flowin’ Immo treten auf, zwei Klassiker | |
des eutschsprachigen Sprechgesangs der Neunzigerjahre. Mit Moop Mama, einem | |
zuletzt äußerst umtriebigem Hip-Hop-Brass-Band-Hybrid, der gern | |
unangemeldet auf öffentlichen Plätzen musiziert, ist auch eine | |
avantgardistische Hip-Hop-Variante gebucht. Ähnliches gilt für De fofftig | |
Penns, ein Trio, das, soweit wir wissen singulär, auf Plattdeutsch rappt. | |
Ein Open-Air-Kino ist ebenfalls geplant. | |
Ob das an diesem Ort funktionieren wird, lässt sich kaum sagen. Von | |
ortsuntypischen Gästen wurde das Kurhaus bereits bespielt: Harry Rowohlt | |
war hier, Martin Sonneborn und Wiglaf Droste ebenfalls. Konzerte fanden | |
ebenfalls statt. „Aber ein Festival in dieser Größenordnung, das gab es | |
hier noch nicht“, sagt Festivalchef Krägeloh. | |
Egal wie: Widersprüche tun der Popkultur gut, und das traute Beieinander | |
von Slayer-Fans und lokaler Blaskapelle gibt in Wacken jedes Jahr erneut | |
ein schönes Bild. Auch in einem zur einen Hälfte sterilen, zur anderen | |
wundersamen Kurort wird der Einmarsch von etwa vier Dutzend Musikern, | |
Filmemachern und bildenden Künstlern nicht nur hingenommen, sondern als | |
belebend empfunden werden. | |
## ■ Fr, 15. 8. bis So, 17. 8., Kurhaus Dangast. Programm, Infos und | |
Tickets: | |
8 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Benjamin Moldenhauer | |
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Festival | |
Sommer | |
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