# taz.de -- Ein konservativer Freigeist: Der Weltgewandte aus Jemgum | |
> Im Rheiderland zwischen niederländischer Grenze, Nordseeküste und Ems, | |
> lebt Arnold Venema. Der Bauer will ein anständiges Leben für seine Kühe, | |
> Wildgänsen hingegen an den Kragen. | |
Bild: Bei Landwirten im ostfriesischen Rheiderland keine willkommenen Gäste: W… | |
JEMGUM taz | Arnold Venema wirkt wie ein in Stein gemeißelter Hüne. Ein | |
großer kantiger Mann – der Raum scheint voll, sobald er darin ist. Ein | |
72-jähriger Landwirt, einer, der mit den Vogelschützern wenig am Hut hat, | |
der seinen Hof erhalten will und doch einer, der keine geistigen | |
Scheuklappen trägt. Einer, den man besuchen kann, um sich anzusehen, was es | |
heute bedeuten kann, Bauer zu sein – in Zeiten, wo es den einen Bauern | |
schon lange nicht mehr gibt. | |
Mit 18, nach dem Tod des Vaters, hat Venema einen Hof gepachtet. Dabei | |
hatte er als aktiver Mittelstreckenläufer eigentlich Sportlehrer werden | |
wollen. „Für mich und meine Frau Johanna gab es anfangs nur Kinder, Kühe, | |
Küche. Wer will solch einen Knochenjob noch machen?“ Als die Kinder aus dem | |
Gröbsten raus waren – alle fünf haben studiert, alle können Plattdeutsch | |
und alle können melken – widmeten sich Arnold und Johanna Venema endlich | |
wieder ihrem Leben, wie sie sagen. | |
Johanna Venema betreut unter anderem ausländische Austauschschüler in | |
Ostfriesland. Insgesamt zehn SchülerInnen nahmen sie auf. „Ein Kind, ein | |
Eskimo, kam aus Alaska. Den haben wir zu Hause besucht“, sagt Venema. | |
Die Nachbarn, so ist ihr Eindruck, betrachten die Familie mit gewissem | |
Erstaunen. Nebenbei studierte Johanna Venema Psychologie, sehr ungewöhnlich | |
für eine Landfrau im Rheiderland. Arnold Venema geht mehreren Ehrenämtern | |
nach – vom Jumgumer Sportverein bis zur Deichacht. Er vertritt seinen | |
Berufsstand in verschiedenen Gremien und sitzt im Kreistag von Leer – für | |
die FDP. | |
Seine Frau und er übernahmen ihren Hof 1968. Damals begannen sie mit 20 | |
Kühen, 100 wollten sie haben. Heute bewirtschaftet der Hof 170 Kühe auf | |
etwa 100 Hektar Land. Drei Familien leben von dem Betrieb. Zwei Söhne, | |
alles studierte Landwirte, haben den Hof übernommen. Ein weiterer Sohn lebt | |
in Amerika, eine Tochter in Australien, eine zurzeit in Brasilien. Ein | |
Besuch bei den Kindern gleicht einer Weltreise. | |
„Heute muss ein Landwirt weltoffen und kommunikativ sein“, sinniert Arnold | |
Venema, der Bauernphilosoph. Eine Haltung, die bei den Rheiderländern eher | |
unüblich ist. Denn viele von ihnen sind bis vor ein paar Jahren nicht | |
einmal über die Ems in das fünf Kilometer entfernte Leer gefahren. Wer sein | |
Dorf Hatzum, Critzum, Midlum, Weener oder Möhlenwarf verließ, der ging | |
„nach Deutschland“, wie es hier hieß. | |
Venema ist mit Leib und Seele Landwirt und schaut trotzdem über den | |
Tellerrand. Vor einiger Zeit erregte er Aufmerksamkeit mit seiner | |
Forderung, dass Landwirte, die ihre Kühe auf die Weide treiben, dafür eine | |
staatliche Prämie bekommen sollten. „Alle beklagen Massentierhaltung in | |
Ställen“, sagt er. „Auch den Kühen droht eine ausschließliche | |
Stallhaltung.“ | |
Ostfriesland ohne Weidekühe ist für ihn unvorstellbar. „In den Niederlanden | |
werden sie so gut wie keine Rinder mehr auf den Weiden sehen“, so Venema. | |
Ein Grund für die Stallhaltung sei der Mangel an Grünlandflächen, meint er, | |
eine Folge von Stadtentwicklung, Industrialisierung und Naturschutz. Selbst | |
im Rheiderland werden immer mehr Baugebiete in begehrten Wohnorten | |
ausgewiesen, dann folgt die entsprechende Infrastruktur. | |
Die Industrie im Rheiderland besteht im Wesentlichen aus den Papierfabriken | |
Klingele in Weener und den Gaskavernen großer Energieunternehmen bei | |
Jemgum, direkt an der Ems. Ihr Bau hat Grünfläche geschluckt und den | |
Grundwasserspiegel verändert, sodass Teile der Weiden heute versinken und | |
versumpfen. Zudem verseuchten illegale Einleitungen von Solewasser, | |
salzhaltiger Lösungen, das Bewässerungssystem der Weiden. Kühe durften | |
nicht mehr daraus trinken. | |
Böse Zungen unken, die Landwirte seien selbst schuld an der Misere. | |
Schließlich hätten sie zuerst ihre Schürfrechte für Salz an die | |
Energiekonzerne abgegeben und ihnen dann ihr Grünland zum Kavernenbau | |
verkauft. Landverkauf ist ein wesentlicher Bestandteil ihres Einkommens. | |
„Wird irgendwo ein Gewerbe- oder Industriegebiet erschlossen, dann steigen | |
die Grundstückspreise“, sagt Dieter Meyer, Immobilienmakler und Auktionator | |
aus dem Rheiderland. Entscheidend für das Gebiet sei aber nicht der | |
Kavernenbau, sondern der Kauf der letzten freien Flächen durch Landwirte. | |
Im nächsten Jahr entfällt die Milchquote, dann kann jeder soviel Milch | |
produzieren, wie er will. Das Problem ist nur: Dafür braucht man Flächen. | |
Denn wer viel Milch produziert, macht auch viel Dreck, respektive Gülle. | |
Auf einem Hektar Land darf aber aus Natur- und Wasserschutzgründen nur eine | |
begrenzte Menge Gülle ausgebracht werden, erklärt Tim Eiler von der | |
Landwirtschaftskammer. | |
Mit dem Ergebnis, dass sich jetzt die Landwirte im Rheiderland beim Kauf | |
von Ländereien überbieten. Und da der Lebensmittelhandel den Landwirten | |
einen niedrigen Milchpreis diktiert, erschließen die großen | |
Milchgenossenschaften heute neue Märkte in Afrika, China und Russland. Etwa | |
40 Prozent der deutschen Milchprodukte gehen ins Ausland, dort winken | |
Expansionschancen, sagt der Bundesverband deutscher Milchviehhalter (BDM). | |
Auch Venemas Milch wird durch einen großen Vermarkter ins Ausland | |
exportiert. „Aber“, so sein Credo, „ich will nicht, dass der Staat einem | |
freischaffenden Landwirt vorschreibt, wie und was er zu produzieren hat.“ | |
Er fügt aber schnell hinzu: „An die Vorschriften muss sich der Landwirt | |
natürlich halten.“ | |
Venemas eigener Berufsverband BDM allerdings diagnostiziert: „Auch in | |
wirtschaftlich soliden Jahren kommen über 50 Prozent des Betriebseinkommens | |
aus staatlichen Transferzahlungen.“ Kein Landwirt kann also ohne | |
Subventionen leben. Es könne nicht sein, dass das kleine Rheiderland allein | |
für die Vorratshaltung deutscher Gasreserven bezahlen muss, beklagt Venema: | |
„Dat geit nu mal nicht.“ | |
Ein Gespräch über Naturschutz oder Wildgänse ist im Rheiderland durchaus | |
kompliziert. Denn die Landwirte sehen sich dort schwer vom Federvieh | |
gebeutelt. Man könnte dagegenhalten: Schwerer leiden die Gänse selbst. Denn | |
seit Jahrhunderten nutzen die Zugvögel das Rheiderland als Rastplatz auf | |
ihrer Reise zu ihren Brutplätzen in Sibirien oder Kanada. | |
An der Ems fallen jedes Jahr im Herbst Zehntausende von Ringel-, Grau-, | |
Nonnen-, Zwerg- und Saatgänsen ein. Hier fressen sie sich Fett für den | |
Vogelzug und die ersten Brutwochen an. Deshalb sind das Rheiderland und das | |
Emsufer europäisch streng geschützte Vogelschutzgebiete. | |
Hier werden auch gerne Kompensationsflächen für Baumaßnahmen angesiedelt. | |
„Für die Vögel könnte man sich ja freuen, aber woher soll dann die Milch | |
kommen“, fragt Venema. Noch vor gut 50 Jahren wurden einige Gänsearten | |
ausgerottet, um später mit staatlicher Hilfe und Unterstützung der Jäger | |
wieder angesiedelt zu werden. | |
„Gänse sind Leckerbekker“, bemerkt Venema. „Die naschen gerade die zarte… | |
feinen jungen, gut gedüngten Grashalme auf den Kuhweiden, dabei zertreten | |
sie die Grasnabe und machen durch ihren Kot das Restgras ungenießbar.“ | |
Venema meint, es werden immer mehr – auch weil an den Brutstätten „nach der | |
Öffnung Russlands“ heute kaum noch Leute für ihren Lebensunterhalt | |
Gänseeier sammeln. | |
Eine Haltung, die Naturschützer die Haare raufen lässt: „Die Öffnung | |
Russlands hat genau das Gegenteil provoziert“, sagt der Biologe und | |
Gänseexperte Helmut Kruckenberg. „Viele Wirtschaftszweige wurden | |
privatisiert und die staatliche Förderung bleibt aus.“ Tatsächlich sei die | |
Entwicklung der Gänsebestände schwer zu beurteilen und überhaupt erst in | |
großen Zeitabschnitten erkennbar. Erst 1974 in der internationalen | |
Ramsarkonferenz habe man sich auf Vogelschutz einigen können. | |
Bis dahin waren einige Gänsearten fast ausgerottet. Selbstverständlich | |
steigen dann unter dem Schutzschirm wieder die Bestände“, erklärt | |
Kruckenberg. Aber Landwirte aus dem vorherigen Jahrhundert hätten in ihren | |
Memoiren über riesige Gansbestände berichtet. | |
Und schließlich bekämen die Bauern eine Entschädigung für Fressschäden. | |
Zurzeit immerhin gut 250 Euro pro Hektar, so Krukenberg. Nach dem Willen | |
des niedersächsischen Landwirtschaftsministerium soll das mehr werden. Aber | |
dann, so die Auflage, müssten die Landwirte auch Wiesenvogelschutz | |
betreiben. | |
„Warum redet keiner mit uns?“, wettert Venema und verliert dabei fast seine | |
ostfriesische Gelassenheit. Der Landwirt aus Jemgumgeise kommt zum Schluss: | |
„Wir brauchen einen Generalplan für die Landwirtschaft.“ Wer gute | |
Lebensmittel haben wolle, müsse auch dafür sorgen, dass diese produziert | |
werden können. | |
10 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Thomas Schumacher | |
## TAGS | |
Ostfriesland | |
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