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# taz.de -- Mieten in Berlin: Verbotenes Terrain
> Alle landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften stellen bei
> Bewerbungsverfahren um Wohnungen illegale Fragen, wie eine Recherche der
> taz zeigt.
Bild: Wohnen am Teich: Howoge-Gebäude in Hohenschönhausen
Das Wohnzimmer ist atemberaubend groß. Zwischen Tür und Erkerfenstern wäre
genug Platz für eine Bowlingbahn oder einen Tanzsaal. „Ein echtes
Schmuckstück“, kommentiert der Herr von der Gewobag, als er
Wohnungssuchende bei der Sonntagsbesichtigung durch die fünfeinhalb Zimmer
mit ihren zwei Balkonen führt. Die hellen Dielen knarzen unter seinen
Seglerschuhen, während er gemächlich durch die 200 Quadratmeter schreitet.
Die Warmmiete von 1889,45 Euro sei ein guter Preis, erläutert er. Im
Gegensatz zu den 200 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete, die private
Vermieter oft verlangten, beschränke sich die Gewobag hier in
Alt-Hohenschönhausen auf 120 Prozent. Dann holt er aus seinem
anthrazitfarbenen Sportwagen vor der Tür das Formular für
Mietinteressenten: Um sich zu bewerben, braucht man eine Bescheinigung,
dass in der alten Wohnung keine Mietschulden bestehen, Einkommensnachweise
für die letzten drei Monate und eine aktuelle Schufa-Auskunft.
Doch damit verstößt die Gewobag gegen das Bundesdatenschutzgesetz: Es ist
verboten, diese Informationen von allen Mietinteressierten einzuholen –
auch wenn es inzwischen üblich ist. Der taz-Test der sechs landeseigenen
Wohnungsbaugesellschaften (siehe Text unten) hat ergeben: Alle sechs
Unternehmen stellen illegale Fragen nach Daten, die sie nicht haben dürfen.
Durch eine gezielte Täuschung hebeln die Unternehmen die Vorgaben des
Gesetzes und die Prüfung durch den Landesdatenschutzbeauftragten aus: Sie
verlangen besonders sensible Daten von allen Bewerber*innen, die sie
eigentlich nur von der Person verlangen dürfen, mit der der Mietvertrag
abgeschlossen werden soll. Was erlaubt ist, hängt nämlich vom Zeitpunkt ab.
Unternehmen dürfen personenbezogene Daten laut Gesetz nur sammeln, „soweit
es zur Wahrung berechtigter Interessen der verantwortlichen Stelle
erforderlich ist“. Zuständig für die Umsetzung sind die
Datenschutzbeauftragten der Länder. Die haben in einer gemeinsamen
„Orientierungshilfe zur Einholung von Selbstauskünften bei
Mietinteressenten“ festgeschrieben, was konkret erlaubt ist und was nicht.
Unterschieden wird dabei zwischen den drei typischen Situationen bei der
Wohnungssuche: Dem Besichtigungstermin, der Bewerbung um eine Wohnung und
schließlich dem Abschluss des Vertrages.
## Die Besichtigung
Um einen Besichtigungstermin zu vereinbaren, dürfen die Hausbesitzer*innen
nur den Namen und die Anschrift der Wohnungssuchenden erfragen. Im sozialen
Wohnungsbau ist auch die Frage erlaubt, ob die Mietinteressierten einen
Wohnberechtigungsschein haben – das ist sinnvoll, weil eine Besichtigung
sonst nutzlos ist. Eine Kopie des Wohnberechtigungsscheins dürfen
Vermieter*innen aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht verlangen: In dem
Papier stehen auch Daten über die weiteren Personen im Haushalt der
Mieter*innen – und die Daten werden für den Besichtigungstermin nicht
benötigt. Erlaubt ist allerdings die Frage nach größeren Haustieren.
## Die Bewerbung
Wer eine Wohnung besichtigt hat und sich bewerben will, muss weitere Daten
offenbaren. In den Bewerbungsformularen dürfen die Vermieter*innen nach der
Höhe des Nettoeinkommens, dem Beruf und Arbeitgeber*innen-Name fragen. Das
gilt aber nur für die Hauptmieter*innen, die den Vertrag unterschreiben
wollen – und nicht für alle weiteren Bewohner*innen. Nicht erlaubt ist auch
die Frage nach der Dauer der Beschäftigung. In dem Papier der
Datenschützer*innen heißt es, diese Information „bietet in einer mobilen
Gesellschaft hingegen keine Gewissheit über die Fortdauer und Beständigkeit
des Beschäftigungsverhältnisses und ist daher ungeeignet, das
Sicherungsbedürfnis des Vermieters zu erfüllen.“
In der Realität verlangen Vermieter*innen meist auch zu diesem Zeitpunkt
schon einen Nachweis für das Einkommen – zum Beispiel in Form der drei
letzten Gehaltsabrechnungen oder des Einkommensteuerbescheides. Das ist zu
diesem Zeitpunkt aber nicht erlaubt. Denn es führt dazu, dass sich bei den
Vermieter*innen von vielgefragten Wohnung eine Sammlung der
Gehaltsnachweise von Dutzenden Personen ansammelt, die am Ende gar nicht
gebraucht werden.
Daher dürfen Vermieter*innen nur nach der Höhe des Einkommens fragen – und
ankündigen, die Nachweise später von der Person zu verlangen, an die die
Wohnung gehen soll. Denn für die Entscheidung, wer die Wohnung bekommt,
reicht die reine Information über die Höhe des Einkommens aus. Die
Wohnungsinteressierten werden dabei keine falschen Angaben machen – denn
sie wissen ja, dass sie im nächsten Schritt die Belege nachreichen müssen.
Fragen dürfen die Vermieter*innen auch, ob die potenziellen Mieter*innen
eine Verbraucher*inneninsolvenz angemeldet haben und ob es in den letzten
fünf Jahren eine Räumungsklage wegen Mietrückständen gab.
Nicht erlaubt ist wiederum die häufige Forderung der Vermieter*innen, dass
die Mieter*innen eine Bescheinigung vorlegen, dass die Miete bisher immer
gezahlt wurde. Denn die bisherigen Vermieter*innen der alten Wohnung sind
nicht verpflichtet, so eine Bescheinigung auszustellen – und deshalb dürfen
die neuen Vermieter*innen das auch nicht verlangen.
Verboten sind auch die Fragen nach Nationalität, Religion, ethnischer
Herkunft, Vorstrafen, Familienstand, Kinderwünschen, Heiratsabsichten oder
Mitgliedschaft im Mieter*innenverein. Die Vermieter*innen dürfen fragen,
wie viele Personen einziehen wollen und wie viele davon Kinder sind. Sonst
dürfen die Vermieter*innen dazu nichts erfragen – weder die Namen noch ob
es sich um Partner*innen oder oder WG-Mitbewohner*innen handelt.
## Der Vertrag
Erst zu dem Zeitpunkt, zu dem die Vermieter*innen eine Person ausgewählt
haben, dürfen sie Belege über deren Einkommen verlangen. Außerdem können
die Vermieter*innen eine Schufa-Auskunft einholen, bei der aber unbezahlte
Rechnungen nur aufgeführt sein dürfen, wenn sie zusammen über der
Bagatellgrenze von 1.500 Euro liegen. Die Vermieter*innen dürfen von ihren
potenziellen Mieter*innen keine Schufa-Auskunft mit zusätzlichen Daten
verlangen.
Die Vermieter*innen können sich nicht damit herausreden, dass das alles
freiwillig sei und niemand ihre Fragen beantworten müsse. Denn aus dem
Gesetz ergibt sich etwas anderes: „Grundsätzlich sind bereits die Fragen
eines Vermieters unzulässig“, erläutert Alexander Dix, der Berliner
Datenschutzbeauftragte. „Aber es gibt erhebliche Unkenntnis bei Mietern wie
auch bei Vermietern. Wir bekommen relativ wenig Beschwerden in diesem
Bereich.“ Dabei hat Dix durchaus eine wirkungsvolle Waffe: Bei Verstößen
kann er Geldbußen bis zu 300.000 Euro gegen die Unternehmen verhängen.
Dix ist daher von sich aus aktiv geworden. Er hat sich die Formulare der
Wohnungsbaugesellschaften vorlegen lassen, um sie zu prüfen. Er hatte kaum
eine Beanstandung. Denn mehrere landeseigene Wohnungsbaugesellschaften
verwenden einen Trick, um das Gesetz auszuhebeln: Auf den Formularen steht,
dass Unterlagen wie zum Beispiel der Einkommensnachweis erst bei Abschluss
des Mietvertrages vorzulegen sind – so wie es erlaubt ist. In der Realität
sagen die Mitarbeiter*innen der Unternehmen aber den Interessierten, dass
sie die Unterlagen bereits bei der Bewerbung vorzulegen haben (siehe Text
unten).
Aus Sicht der Unternehmen ist es natürlich praktisch, wenn sie von allen
Wohnungsbewerber*innen sofort die Gehaltsnachweise verlangen – dann sparen
sie sich den Schritt, die Unterlagen später von der einen ausgewählten
Person einzuholen. Für die Wohnungssuchenden führt das allerdings zu der
Situation, dass sie gegenüber vielen Hausbesitzer*innen einen Haufen
privatester Daten abgeben – es entsteht das Gefühl, sich immer und immer
wieder nackig machen zu müssen.
Dass die Vorgaben des Gesetzes flächendeckend ignoriert werden, weiß jeder,
der in den letzten Jahren in Berlin eine Wohnung gesucht hat.
Vermieter*innen sitzen angesichts eines angespannten Wohnungsmarktes in
Berlin am längeren Hebel – und sie nutzen diese Machtposition aus. Mieter
können die Antwort zwar verweigern – bekommen dann aber die Wohnung nicht.
Der Landesdatenschutzbeauftragte Dix bittet daher Mietinteressierte darum,
ihm die Formulare von Vermietern zur Verfügung zu stellen: Er werde jedem
einzelnen Fall nachgehen, verspricht er.
Gerade bei den sechs Wohnungsbaugesellschaften, die dem Land Berlin
gehören, wäre eine Änderung ihrer Geschäftspolitik besonders wichtig.
Einerseits, weil niemand sonst in der Stadt so viele Wohnungen vermietet.
Aber auch wegen der Signalwirkung: Wenn sich nicht einmal die Unternehmen
im Staatsbesitz an die Gesetze des Staates halten, warum sollten es dann
private Vermieter*innen?
## Die Testergebnisse im Detail
Für unsere Stichprobe suchen wir im Internet nach einer passenden Wohnung
und kontaktieren dann die Wohnungsbaugesellschaften. Uns interessiert,
welche Daten die Unternehmen von Leuten verlangen, die eine Wohnung mieten
wollen. Bei manchen Gesellschaften bekommen wir die Liste direkt, bei
anderen erst nach einer Wohnungsbesichtigung. Getestet haben wir dabei die
sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die zusammen rund 300.000
Wohnungen in Berlin besitzen.
Gewobag: Auf dem Formular steht, die Gewobag brauche noch einige Unterlagen
"vor Abschluss eines Mietvertrages". Wir bekommen [1][das Formular] aber
schon viel früher - direkt nach der Besichtigung der
200-Quadratmeter-Wohnung in Alt-Hohenschönhausen. "Hier hinten steht, was
wir an Unterlagen benötigen", sagt der Herr von der Gewobag:
Mietschuldenfreiheitsbescheinigung, Einkommensnachweise, Schufa-Auskunft.
Die Gewobag kommt damit auf drei Gesetzesverstöße.
Degewo: Wir suchen uns eine 100 Quadratmeter große Vier-Zimmer-Wohnung in
Reinickendorf heraus. Zur Besichtigung kommt es aber gar nicht, denn die
Degewo teilt uns schon [2][per Mail mit, welche Unterlagen sie braucht].
Wir werden gebeten, Mietzahlungsnachweisbescheinigung, Einkommensnachweise
und Personalausweis "direkt nach dem Besichtigungstermin in unserem
Kundenzentrum Nord abzugeben". Drei Informationen, dreimal verboten.
WBM: Das malerische Gässchen im historischen Nikolaiviertel in Mitte macht
den Eindruck einer für Tourist*innen aufgestellten Theaterkulisse. Über den
Innenhof geht es in den Plattenbau mit weitläufigem Wohnzimmer und Blick
auf die Nikolaikirche. Die WBM teilt auf [3][ihrem Formular] ganz offen
mit, dass sie die Unterlagen "zur Bewerbung auf eine Wohnung" benötigt. Und
dann kommt das volle Programm: Einkommensnachweise der letzten drei Monate,
eine Schufa-Verbraucherauskunft, eine Kündigungsbestätigung der jetzigen
Wohnung, die Mietschuldenfreiheitsbescheinigung und eine Ausweiskopie. Die
WBM ist damit einer der Spitzenreiter: Fünf Gesetzesverstöße auf einmal -
ein Spitzenwert!
Gesobau: Zwischen den heruntergekommenen grauen Gebäuden mit zwei
Stockwerken in Hellersdorf pendeln Wäscheleinen. Der Hausflur stinkt nach
altem Gebäude. In der Wohnung wird noch mit Kohlen geheizt, in den Zimmern
stehen Kachelöfen. Wer eine wirklich günstige Wohnung sucht: Hier ist noch
was frei. "Wenn man sich bewerben will, welche Unterlagen benötigen Sie
dann?", fragen wir beim Besichtigungstermin. "Dann benötigen wir einen
Interessentenbogen ausgefüllt, von Ihnen beiden die Schufa - die ziehen wir
uns immer selber, dann haben Sie keine Kosten - dann brauchen wir die
letzten drei Gehaltsnachweise und eine aktuelle Mietschuldenfreiheit."
[4][Auf dem Formular] wird verbotenerweise auch noch nach der Nationalität
gefragt, somit kommt die Gesobau auf insgesamt vier Gesetzesverstöße.
Howoge: Um das Exposé der 4-Zimmer-Wohnung in Lichtenberg zu bekommen und
einen Besichtigungstermin vereinbaren zu können, ist ein Besuch im
Kundenzentrum in Neu-Hohenschönhausen notwendig. Per Mail gibt es dann auch
die [5][Liste der erforderlichen Bewerbungsunterlagen]: Personalausweis,
Einkommensnachweise, Bestätigung der Mietschuldenfreiheit, Zustimmung zur
Schufa-Auskunft und Kontoverbindung. Mit fünf illegalen Abfragen ist die
Howoge damit in der Spitzengruppe.
Stadt und Land: Hellersdorfer Platte, vom Balkon der Ausblick auf eine
trostlose Brache, in den niedrigen Räumen steht der Geruch nach neuem
Laminat. Die Vermieterin [6][verlangt] Einkommensnachweise,
Mietschuldenfreiheitsbescheinigung und Personalausweis - dreimal nicht
erlaubt. (Mitarbeit: Sebastian Heiser)
## Was tun bei illegalen Fragen des Vermieters?
Lügen: Verbotene Fragen muss niemand wahrheitsgemäß beantworten. Fragt der
Vermieter zum Beispiel, ob Nachwuchs geplant und Kinderlärm im Haus zu
befürchten ist, darf man das verneinen. Wenn ein paar Monate später das
Baby zur Welt kommt wird, darf der Vermieter nicht kündigen.
Petzen: Wenn der Vermieter Einkommensnachweise oder eine Schufa-Auskunft
verlangt, dann klappt lügen nicht. Wer die Wohnung will, muss sich beugen -
und kann hinterher die Formulare der Vermieter mit den illegalen Fragen an
den Datenschutzbeauftragten Alexander Dix schicken - egal ob man die
Wohnung bekommen hat oder nicht. Dix kann empfindliche Bußgelder verhängen:
Landesdatenschutzbeauftragter, An der Urania 4-10, 10787 Berlin,
[7][www.datenschutz-berlin.de]
Presse einschalten: Alternativ - oder zusätzlich - kann man sich auch an
die taz wenden. Dazu reicht ein Foto des Formulars an [email protected] oder
per Post: taz, Sebastian Heiser, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin.
3 Sep 2014
## LINKS
[1] http://www.documentcloud.org/documents/1283105
[2] http://www.documentcloud.org/documents/1283118
[3] http://www.documentcloud.org/documents/1283113
[4] http://www.documentcloud.org/documents/1283102
[5] http://www.documentcloud.org/documents/1283121
[6] http://www.documentcloud.org/documents/1283119
[7] http://www.datenschutz-berlin.de/
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Lou Zucker
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Miete
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