# taz.de -- Charles-Manson-Musical: Ein Abend mit dem Bürgerschreck | |
> "Summer of Hate": Das Hamburger Thalia-Theater bringt ein Musical auf die | |
> Bühne - über den Kult-Führer und Mordanstifter Charles Manson. | |
Bild: Sitzt seit 45 Jahren hinter Gittern: Charles Manson, 79. | |
HAMBURG taz | Wer sich bezichtigt, Musicalstadt zu sein, muss dem auch | |
immer neue Taten folgen lassen. Ob Tiere der afrikanischen Steppe, | |
Miezekätzchen, sportive Männlichkeit an der Liane oder im Boxring, ein | |
Opern-Phantom, Typen aus’m Kiezkeller, S-Bahn-Fahrgäste oder Udo Jürgens: | |
Fast alles und beinahe jeder eignet sich als Stoff für das Wohlfühl-Genre. | |
Einzige Bedingung: eine zentrale Bühnenfigur zum Einfühlen, Mitleiden, | |
Co-Jubeln, Identifizieren. Die für irgendetwas Positives steht, das wir | |
Zuschauer auch gern hätten. Oder haben, aber gerade nicht so üppig | |
ausleben. | |
Nun ist das Thalia dran, das gleichzeitig noch seinem Kulturauftrag Zucker | |
gibt, Gewissheiten bloßzustellen, indem sie ad absurdum geführt werden. Und | |
so ist das erste Musical hier nicht Rocky oder Tarzan gewidmet, sondern – | |
Charles Manson: ein dilettierender Kleinkrimineller, | |
Möchtegern-Folkrock-Barde, charismatischer Sektenguru, Autor/Regisseur | |
einer kraus zusammenzitierten Mythologie, Initiator bestialischer Morde, | |
Prediger der Endzeit, Apologet des apokalyptischen Rassenkrieges, der sich | |
als Jesus, Gott und Satan bezeichnet und ein Hakenkreuz-Tattoo über der | |
Nase trägt. Der kleingewachsene Großtuer zitierte die Barbarei zurück in | |
die Zivilisation und interpretierte den überreifen „summer of love“ (1967) | |
neu: als „summer of hate“ (1969), wie das Hamburger Musical nun betitelt | |
ist. | |
Der heute 79-jährige Manson sitzt seit 45 Jahren reuelos hinter Gittern, | |
prangt als Ikone des Bösen auf T-Shirts, wird von seinen Jüngern als | |
Märtyrer verehrt, der den Hass der Bedrückten mit blutrünstiger Energie | |
wider Spießer und Heuchler auszuleben versucht habe. Warum so einem das | |
Forum einer großen Theaterproduktion bieten? | |
„Woher kommt diese vorauseilende Empörung?“, fragt Manson-Darsteller Jörg | |
Pohl zurück. Und antwortet sogleich: „Solange Menschen ein solcher Ausweg | |
aus einer repressiven Welt fasziniert, ist diese falsch eingerichtet.“ | |
Außer dem Reiz der Provokation – was macht Manson zum Musicalstar? „Die | |
Frage hat mir bisher auch noch keiner hier im Team beantworten können“, | |
sagt Pohl. Könnte Mansons wirres Rebellentum dann vielleicht beim | |
widerständigen Denken im Theater helfen? „Beispielsweise indem man | |
hinterfragt, warum er und seine ,Family‘ wie alle anderen kollektiven | |
Befreiungsversuche des Menschen gescheitert sind“, sagt Pohl. | |
Ihn interessiere vor allem „die Dialektik des Phänomens“: einerseits die | |
Unzufriedenheit über unbefriedigte Bedürfnisse und Zwänge einer als | |
verkommen wahrgenommen Gesellschaft – andererseits die tödlich sich | |
entladende Antwort und das Entwerfen einer autoritären Ideologie „mit | |
monströs beschissenem Frauenbild“. Einerseits funktioniere Mansons Leben, | |
vornehmlich in Erziehungsheimen und Gefängnissen, als Symbol „des | |
Knastsystems gesellschaftlicher Zurichtung“ – anderseits sei er halt auch | |
nur ein selbstgerechter Kauz. „Eine Zumutung“, sagt Pohl. | |
Für einen Zeremonienmeister lässiger Pop-Revuen wie Regisseur Stefan Pucher | |
bietet der Stoff reichlich Potenzial: Sex, Drogen, Rock’n’Roll, | |
Gewalt-Horror, esoterische Geisterverwirrung. So geht Unterhaltung heute. | |
Man könnte daraus eine kunterbunte Freakshow machen. Oder man begreift die | |
Darsteller als Monsterversteher: Haben sie an Manson etwas entdeckt zum | |
Einfühlen, Mitleiden, Co-Jubeln, Identifizieren – oder gar Gutfinden? | |
„Er ist als Bürgerschreck ein guter Entertainer“, sagt Pohl. „Wie Richard | |
III. bei Shakespeare ja auch eine fulminant böse Hauptfigur ist, aber eine | |
ungeheuer faszinierende, die rücksichtslos die Verführungskraft des | |
Theaterspielens nutzt. Das reizt mich. Auch wenn man damit so eine Art | |
Führerkult feiert wie Manson.“ Ist der am Ende ein Mephisto? „Auch“, sagt | |
Pohl, „nur plumper – und es fehlt leider ein Faust als Widerpart.“ Um | |
Dialogpartner zu haben, wird Manson vom gesamten achtköpfigen Ensemble | |
gespielt, jeder repräsentiert dabei einen Aspekt: böser Clown etwa, | |
wirkungssicherer Prophet, versponnener Poet … | |
Ausgangspunkt für das Musical war Mansons eigene Musik. Er veröffentlicht | |
immer noch, auf kleinen Labels, war aber nie wirklich erfolgreich. Weshalb | |
die Morde der Manson Family „auch als ideologisch verbrämter Rachefeldzug“ | |
gesehen werden könnten, sagt Darsteller Pohl: Rache dafür, dass da einer | |
nicht Popstar werden durfte. Regisseur Pucher hatte Ende 2013 bereits | |
Sophokles’ „Elektra“ mit Manson-Songs als glamouröse Racheshow inszenier… | |
am Deutschen Theater Berlin. | |
Nun also soll der Songwriter aus seiner Musik heraus entdeckt werden. Kein | |
narrativer Biografie-Abend, eher ein atmosphärisch dichtes Konzert, sagt | |
Pohl: ein „generelles Nachdenken, welche Kraft Musik haben kann“, inwieweit | |
sie dazu tauge, „Menschen zu befreien“. Unter musikalischer Leitung von | |
Christopher Uhe arrangieren die Schauspieler und die Hamburger Band | |
„Trümmer“ die Lieder. „Was darin Gutes angelegt ist, haben wir mächtig | |
aufgepimpt und die noch ungeschliffene musikalische Poesie | |
herausgearbeitet“, sagt Pohl. „Wir geben Neil Young recht, der gesagt hat: | |
Wenn Charles Manson eine so gute Band wie Bob Dylan gehabt hätte, wäre ihm | |
auch eine Karriere als Komponist und Sänger gelungen.“ | |
Zu hören geben soll es nun feinsten Trash und echtes Popgefunkel. | |
Wiederentdecken will man damit auch die Widersprüchlichkeiten in | |
Lebensgefühl und Zeitgeist Ende der 1960er-Jahre. „Auch wenn wir vermitteln | |
können, dass Manson wirklich gute Musik geschrieben hat, wollen wir seine | |
anderen Taten nicht banalisieren“, sagt Pohl. „Ein gefährlicher Spinner | |
bleibt ein gefährlicher Spinner – und wir sind nicht sein Fan-Club.“ | |
Premiere: Fr, 26. 9., 20 Uhr, Thalia Theater. Nächste Aufführungen: So, 28. | |
9.; Fr, 3. 10.; Mo, 6. 10. | |
19 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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