# taz.de -- Landesväter: Ein Amt mit Aussicht | |
> Wowereit stand wie kein anderer für das weltoffene Berlin. Sollte sein | |
> Nachfolger wieder mehr nach innen wirken? Ein Rück- und Ausblick. | |
Bild: Wartet lässig auf seine Nachfolge: Klaus Wowereit | |
Wer jetzt schon am Format eines der drei Nachfolgekandidaten von Klaus | |
Wowereit zweifelt, sollte einen Moment innehalten – und an Eberhard Diepgen | |
denken. 42 Jahre alt war der Weddinger, als er am 9. Februar 1984 zum | |
Regierenden Bürgermeister gewählt wurde. In seiner Antrittsrede sagte er: | |
„Ein Regierender Bürgermeister muss den Berlinern Zuversicht in die Zukunft | |
geben.“ Das klang zwar nicht falsch, aber so richtig gezündet hat es auch | |
nicht. Bald bekam Diepgen den Spitznamen „der blasse Eberhard“. Bernd | |
Matthies, die graue Legende des Tagesspiegels, nannte ihn einmal einen | |
„immergrauen Berliner Besitzstandswahrer“. | |
Da wurde also ein kleiner Kulturschock aufgeführt auf der politischen Bühne | |
Westberlins. Hier der glamouröse Richard von Weizsäcker, von Kohl in die | |
Frontstadt beordert, um sie der SPD abzunehmen, aber als Regierender | |
Bürgermeister von 1981 bis 1984 immer über den Dingen schwebend; ein | |
honorabler Intellektueller, der ein wenig vom Glanz, der ihn umgab, auch | |
der fahlen, grauen Halbstadt verlieh. Dort der blasse Eberhard, der nicht | |
strahlen konnte, weil er eben in diesem fahlen Grau aufgewachsen war. | |
Plötzlich war Westberlin wieder, was es vor von Weizsäcker war – eine | |
hübsche Provinz, in der es sich lustig leben ließ, die aber vom Rest der | |
Welt kaum beachtet wurde. | |
Wir wissen nicht, ob Raed Saleh, Jan Stöß und Michael Müller an Diepgen und | |
Weizsäcker gedacht haben, als sie nach Wowereits überraschender Demission | |
mit den Fingern geschnalzt haben. Blass, das war auch die Eigenschaft, mit | |
der Müller oft bedacht wurde. Von Saleh hieß es, er stamme aus bescheidenen | |
migrantischen und überdies Spandauer Verhältnissen. Am ehesten schien noch | |
Jan Stöß in die Stiefel von Klaus zu passen. Doch auch der smarte, schwule | |
Hüne bewegte sich bis jetzt nur auf sozialdemokratischem Parkett. Die | |
Weltbühne ist ihm bislang fremd – für Wowereit war sie ein Laufsteg. | |
Die Stiefel von Klaus, sie wären nicht so wichtig, wenn Klaus Wowereit in | |
den 13 Jahren, in denen er Berlin regierte, nicht auch der erste | |
Botschafter der Stadt gewesen wäre. Wowereits verschmitztes Grinsen, seine | |
Sprüche und Tanzeinlagen waren bald zur Marke geworden. Ein Regierungschef | |
wurde zum Gesicht einer Stadt, die jährlich alle Touristenrekorde brach und | |
zur Partyzone Barcelonas, Roms, Warschaus und Schanghais avancierte. So wie | |
Richard von Weizsäcker der halbvergessenen (und von sozialdemokratischen | |
Skandalen gebeutelten) Teilstadt wieder ein Stück Würde zurückgab, | |
verkörperte Klaus Wowereit die Erfolgsgeschichte des weltoffenen und | |
kreativen Berlin. Dass dieses Berlin immer auch etwas limitiert war – | |
geschenkt. Berlin war Wowi, Wowi war Berlin, und das war auch gut so. | |
Muss das auch für seinen Nachfolger gelten? Aus der Umgebung von Wowereit | |
war in letzer Zeit mehrfach zu hören, dass nach der Phase des Aufbruchs nun | |
Jahre der Konsolidierung folgen könnten. Das ist aber nur die halbe | |
Wahrheit. Nun, da Berlin seinen unverrückbaren Markenkern hat, ist die | |
Außenwirkung nicht mehr entscheidend. Viel wichtiger ist die Botschaft nach | |
innen. So muss es ein neuer Regierender Bürgermeister schaffen, die | |
wachsende soziale Spaltung der Stadt zur Chefsache zu machen. Wenn erst die | |
AfD in Truppenstärke ins Abgeordnetenhaus zieht, dann ist es womöglich zu | |
spät – und überdies ein fatales Signal an die Touristen. | |
Der soziale Zusammenhalt hat Klaus Wowereit, obschon er aus | |
kleinbürgerlichen Verhältnissen stammt, nie interessiert. Die steigenden | |
Mieten, so sagte er einmal, seien eher ein Zeichen des wirtschaftlichen | |
Erfolgs. Michael Müller, und auch Raed Saleh, stehen für das Gegenteil. Mit | |
ihrer Politik gegen Spekulation und für eine Rekommunalisierung haben sie | |
erste politische Zeichen gesetzt. | |
Und noch etwas muss ein neuer Regierender Bürgermeister können: einen | |
politischen Wechsel glaubhaft verkörpern. Als Richard von Weizsäcker 1981 | |
antrat, war die Stadt heruntergewirtschaftet. Ein Aufbruch aber ging von | |
der CDU-FDP-Koalition, die der langen sozialdemokratischen Alleinherrschaft | |
folgte, nicht aus. Im Gegenteil: Die sechzehn Jahre, in denen dann Eberhard | |
Diepgen – mit Unterbrechung des rot-grünen Senats zur Wendezeit – regierte, | |
sind als bleierne Zeit in die Geschichte eingegangen. Eine Zeit, in der | |
eigentlich Mut und Beherztheit gefordert gewesen wären. | |
So kam es, dass Berlin einen ungedeckten Wechsel nach dem anderen auf die | |
Zukunft einlöste und am Ende in die Bankenkrise schlitterte, | |
Rekordschuldenstand inbegriffen. Einen politischen Wechsel hat erst Klaus | |
Wowereit mit seiner rot-roten Koalition geschafft. „Mentalitätswechsel“ | |
nannte er den Abschied vom politischen System des alten Westberlin. Er | |
gelang. Das ist Wowereits bleibendes Verdienst. | |
Was aber wäre ein mentaler oder politischer Wechsel, den Saleh, Stöß oder | |
Müller einläuten könnten? Zunächst gehörte das Eingeständnis dazu, dass | |
Rot-Schwarz abgewirtschaftet hat. Doch ein Wechsel zu Rot-Rot-Grün schafft | |
noch keinen neuen Aufbruch. Der kann nur gelingen, wenn man versuchte, den | |
sozialen Zusammenhalt wiederherzustellen, ohne dabei auf überkommenen | |
sozialdemokratischen Etatismus zu setzen. Der neue Zusammenhalt wird | |
niemandem geschenkt, er muss auch gewollt und erarbeitet werden. Deshalb | |
müssen die Grünen mit ihrer neuen Bürgerlichkeit ins Boot. Käme es dagegen | |
zu Schwarz-Grün – unbestritten auch ein politischer Wechsel – , dann würde | |
die neue Botschaft lauten: Die Mitte schottet sich ab von den Rändern. | |
Vermutlich würden alle drei Wowereit-Nachfolgekandidaten dies | |
unterschreiben. Allerdings haftet Müller als Stadtentwicklungssenator und | |
Saleh als Fraktionsvorsitzendem, der sich gut mit dem CDU-Kollegen Graf | |
versteht, auch ein gewisser Stallgeruch des „Weiter so“ an. Stöß’ Weste… | |
diesbezüglich rein. Aber jedes Blütenweiße ist auch ein unbeschriebenes | |
Blatt. | |
Eberhard Diepgen hat übrigens in den sechzehn langen Jahren seines | |
Regierens nie den Versuch unternommen, das Image des blassen Eberhard | |
abzustreifen. Im Gegenteil: Je mehr ihn das Publikum unterschätzte, desto | |
besser fuhr er damit. Doch das war noch, bevor die Völker der Welt wieder | |
auf Berlin schauten. Sosehr ein neuer Regierender Bürgermeister auch nach | |
innen wirken sollte: Auf den Brettern, die Berlin die Welt bedeuten, sollte | |
er nicht ausrutschen. | |
22 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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