# taz.de -- Ausstellung „Other Shots“: Abseits in Braunschweig | |
> Vier Braunschweiger Kunststudenten haben die Galerie Flur 11 für junge | |
> Kunst und Fotografie gegründet. Derzeit ist dort die Ausstellung „Other | |
> Shots“ zu sehen. | |
Bild: Gesammelte Selbstporträts: aus einer Serie von Kontaktabzügen des Braun… | |
BRAUNSCHWEIG taz | Wer sagt es denn: Nicht alle Studierenden der | |
Kunsthochschule Braunschweig fliehen aus dieser Stadt! Für viele gehört es | |
zum Selbstmarketing, spätestens nach dem Grundstudium den Lebensmittelpunkt | |
nach Berlin zu verlegen und wie die Professoren nur noch punktuell zu | |
Pflichtveranstaltungen einzuschweben. | |
Die Kunstwissenschaftsstudenten Felix Koberstein und Arne Schmidt sowie der | |
Student der freien Kunst Ole Blank haben sich dagegen ganz bewusst für | |
Braunschweig entschieden. Zusammen mit dem Kommunikationsdesigner Max | |
Weinland riefen sie 2013 den Projektraum Flur 11 ins Leben, um einer | |
jungen, nicht nur lokale Kunstszene aus Studierenden und Absolventen eine | |
Plattform zu bieten. | |
Die Braunschweiger Aktivisten lieben es alternativ. Die Westtangente ist | |
malerischer Hintergrund und akustische Grundkulisse der zwei | |
Erdgeschosswohnungen, die die Ausstellungsräume des Projektraumes Flur 11 | |
bilden. Um die Ecke ist eine Großbäckerei, gegenüber werden gerade einige | |
Gründerzeithäuser renoviert. | |
Die Mischung aus Gewerbe und stadträumlich abgehängtem Wohnen ist jedoch | |
nicht jedermanns Sache. Manches in der Straße scheint schon länger leer zu | |
stehen und ist heruntergekommen, anderes mit Kunst-WGs bevölkert. So wie | |
bis ins letzte Jahr hinein auch die Ausstellungsräume. Sie wurden von der | |
Baugenossenschaft, die derweil gegenüber saniert, bis zum Jahresende | |
kostenfrei zur Verfügung gestellt. Aber auch die Stadt Braunschweig ließ | |
sich nicht lumpen und ko-finanziert den Trägerverein des Projektraums, | |
ebenso wie die Kunsthochschule und ihr Förderkreis. | |
Zur Realisierung der aktuellen Gruppenausstellung „Other Shots“ haben die | |
vier drei befreundete Kuratorinnen eingeladen: Jasmin Meinold studiert noch | |
Kunstwissenschaften in Braunschweig, ist aber seit Längerem als freie | |
kuratorische Mitarbeiterin tätig. Lena Reisner und Kristina Thrien sind | |
Kulturwissenschaftlerinnen mit Diplom der Uni Hildesheim. Auch sie | |
finanzieren sich über Projektarbeiten, Thrien ist derzeit als Volontärin am | |
Museum für Photographie. | |
So verwundert es nicht, dass die neun gezeigten Positionen sich mit | |
Fotografie, auch in abwegig technischer Auslegung, beschäftigen. Gleich im | |
Flur der ersten Wohnung stellt die gebürtige Berlinerin und Braunschweiger | |
Absolventin Alex Heide die Konventionen der Bildbetrachtung infrage. Ihr | |
weiblicher Akt liegt als extrem vergrößerte Fotografie auf dem Boden – es | |
wird sich erweisen, wie zartfühlend die Besucher ihn betreten. Das Resultat | |
will Heide dann weiterverwenden. | |
Eric Arcadi Seth, noch Student der Freien Kunst in Braunschweig, hat | |
Selbstporträts gesammelt, die Kunden auf ausgestellten Kameras und Tablets | |
in Fachgeschäften zurückgelassen haben. Er hat sie auf sein Smartphone | |
geladen und dessen Display für analoge Kontakt-Belichtungen auf Fotopapier | |
eingesetzt. Die Resultate spielen mit einer archaisch daherkommenden | |
Bildästhetik, den unbedachten Selbstentäußerungen wird Anonymität | |
zurückgegeben. | |
Auch Francisco Vogel aus Hildesheim greift zur fotografischen Verunklärung. | |
Seine klassisch schwarz-weißen Innenraumfotos versieht er mit einem | |
exakten, zentral positionierten Quadrat aus hineinbelichteten | |
Staubformationen. | |
Ganz anders arbeitet die Kölnerin Linn Phyllis Seeger. Sie hat in Italien | |
Urlaubsorte besucht und ihre so gar nicht idyllischen Seiten entdeckt. Die | |
fotografischen Studien zeigen architektonische Grotesken und eine | |
verzweifelte Benutzung durch vereinzelte Menschen. Ein Postkartenständer | |
der Motive lädt zur Mitnahme ein. | |
Der indonesische Meisterschüler der Klasse Candice Breitz in Braunschweig, | |
Rizki Resa Utama, wiederum setzt das klassische Familienporträt per Video | |
in Szene. Ein Fotograf gibt Anweisungen, wie Vater, Mutter und Kind jeweils | |
zu lächeln hätten, damit sie wie eine wirklich glückliche Familie | |
erscheinen. Selbst wenn sie auf neuerliche Anweisung ihre Position ändern, | |
bleibt die Rolle an den Standort gebunden: Die Frau etwa muss dann die | |
Rolle des Vaters übernehmen und entsprechend agieren, immer auf der Suche | |
nach der perfekten Bildaussage. | |
Der Kurzschluss zwischen Kunst und Leben, Privatem und Öffentlichem ist | |
ganz im Sinne der Organisatoren. Rund um ihren Projektraum sprießt derzeit | |
im Substrat aus preiswertem Wohnen und Gewerbe ein Mikrokosmos der Kunst: | |
Ein weiterer alternativer Kunstverein ist ein paar Häuser entfernt, eine | |
private Galerie in der Nebenstraße. Man setzt auf die Multiplikation durch | |
Mundpropaganda und erreicht so immerhin über 150 Leute zu dem Vernissagen. | |
Als kleiner Wermutstropfen bleibt, dass die Räume zum Jahresende dann | |
aufgeben werden müssen. Was andernorts als beginnende Gentrifizierung | |
diagnostiziert würde, nimmt man hier aber noch mit der gelassenen Haltung | |
der Provinz. | |
## „Other Shots“: Flur 11, Jahnstraße 11, Braunschweig; bis zum 19.10. | |
7 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
## TAGS | |
Braunschweig | |
Fotografie | |
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