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# taz.de -- Freispruch für Aktivistin: Der Schrecken des Flatterbandes
> Das Amtsgericht in Brake spricht eine Aktivistin vom Vorwurf der Nötigung
> frei. Sie hatte vor einem Palmöl-Zulieferer demonstriert, ein Metallbauer
> fühlte sich blockiert.
Bild: Brandrodung: Aktivistin Sara L. engagiert sich für Palmöl-Vertriebene, …
BRAKE taz | Gerechtigkeit ist zu groß. Für Gerechtigkeit kann das
Amtsgericht in Brake nicht sorgen in der Sache der Menschenrechts- und
Umweltschutz-AktivistInnen gegen die Wilmar International Ltd.: Der Konzern
gilt als einer der größten Palmöl-Produzent weltweit.
Er ist Zulieferer von Nestlé, Unilever, Cargill, und den Rohstoff erntet
man in Indonesien, Sumatra, Uganda und in Nigeria. Überall betreibt Wilmar,
oft über Firmentöchter, gigantische Plantagen, dort wo noch vor Kurzem
Regenwald wuchs. Wilmar nennt sich selbst ein Unternehmen mit „an expanding
global Footprint“.
Aber Amtsrichterin Patrizia Pauli kann für Recht sorgen. Und das tut die
Vorsitzende mit großer Bestimmtheit im Fall der Aktivistin Sara L. Die
hatte am 17. September 2012, vor mehr als zwei Jahren, vor der Braker
Fettraffinerie demonstriert, der Wilmar Edible Oil GmbH.
Seither verfolgt die Staatsanwaltschaft Oldenburg sie und acht weitere
Beschuldigte. Nötigung, lautet der Vorwurf. Die begeht, wer einen Menschen
mit Gewalt oder Drohung zu etwas zwingt. Rechtswidrig ist das, falls die
ausgeübte Gewalt „als verwerflich anzusehen“ war, so das Strafgesetzbuch.
Strafbefehle waren erlassen aber nicht akzeptiert worden: zu Recht. Der
gegen Sara L. ist nun aufgehoben, vorläufig: Freizusprechen sei die
Beschuldigte im Namen des Volkes, so urteilt Pauli am fortgeschrittenen
Mittwochnachmittag und, „die Kosten trägt die Staatskasse“.
Dann rüffelt die Richterin energisch die ZuschauerInnen, die klatschen.
„Zum letzten Mal“, sagt sie streng, sie werde „keine Beifallsäußerung m…
dulden“, und das wirkt: Keiner will sich jetzt, nach siebenstündiger
Verhandlung, nach zwei Jahren Verfolgungsdruck, das gute Ende entgehen
lassen. Wenn es das ist: Eine Woche noch, dann ist das Urteil
rechtskräftig. Und noch stehen ja die acht übrigen Strafbefehle im Raum.
Die Staatsanwaltschaft hatte in dem Fall mit einem überraschenden Mix von
Eifer und Schlamperei agiert: Immer wieder muss der Sitzungsvertreterin der
Anklagebehörde in der mündlichen Verhandlung aufgehen, dass sie jetzt
gerade dumm da steht, weil der ermittelnde Dezernent ihr eine
unvollständige Akte anvertraut hat: Einige Protokolle sind erst ab Seite 10
eingespeist. Die Herkunft mancher Blätter bleibt unklar.
Martin Lemke, altgedienter Hamburger Robin Wood-Anwalt, und der Kriminologe
Ben Bartholdy aus Westerstede, zerpflücken das Konvolut mit fast grausamem
Humor: Nicht einmal das hat der Ermittler notiert, dass er den
Hauptbelastungszeugen, Einsatzleiter Polizeihauptkommissar Matthias A.,
nach dessen unentschuldigten Fehlen beim ersten Verhandlungstermin am 30.
Oktober 2013 zu sich nach Oldenburg einbestellt und eine halbe Stunde lang
heißluftgeföhnt hat. Und dann auch noch diese Zeugenaussagen!
Denn direkt vor der Aussage des vermeintlichen Geschädigten, eines
Metallbauers von einem ortsansässigen Unternehmen, der am
Demonstrations-Tag in der Raffinerie was zu montieren hatte, sagt nach
einer persönlichen Erklärung Aktivistin Sara L. aus.
Sie hatte von Todesfällen auf Sumatra berichtet, dass dort, gerade erst im
März dieses Jahres, ein 34-jähriger Familienvater stirbt, geknebelt, und an
Armen und Beinen gefesselt, in den Händen der Werkschutz-Milizen eines aus
Wilmar herausgelösten Plantagen-Betreibers: Puji, so hieß der Mann, hatte
nach dem Verbleib eines Nachbarn gefragt, der verschollen war, seit jene
Firma im Dezember 2013 mithilfe von Soldaten das gemeinsame Dorf geräumt
hatte.
Drei Jahre zuvor war Sara L. in Indonesien gewesen. Im August 2011
beseitigt Wilmar International dort die Siedlung Sungai Beruang: „Schreie,
Schüsse, ein ohrenbetäubender Lärm von Bulldozern“, so nähert sich die
agroindustrielle Truppe den Hütten des Dorfes: Schon im Oktober steht dort
ein Ölpalmenfeld. Nur in der Mitte finde sich noch eine kleine Hütte mit
„Wachpersonal, das mit geladenen Gewehren Tag und Nacht bewacht, was es
nicht mehr gibt“.
Und dann tritt Metallbauer Alexander S. in den Zeugenstand. Das
Nötigungsopfer. Mehrere Stunden länger als geplant hat er in seinem Auto
auf dem Raffinerie-Gelände ausgeharrt. Blockiert habe er sich gefühlt,
weil: Die DemonstrantInnen hatten rotweißes Flatterband gespannt,
rotbemalte Wendland-Pyramiden auf die Straße gestellt, also Betonklötze, in
die sich AktivistInnen mit Ketten verankert hatten – und Tripods aufgebaut.
Als der Metallbauer die Polizei darum bittet, lotst die ihn daran vorbei.
Er muss mit seinem Caddy etwas auf den Randstreifen, übers Gras. „Warum“,
fragt ihn Richterin Pauli, „haben Sie nicht vorher versucht,
vorbeizufahren?“ Der Zeuge blickt vor sich auf den Tisch, „ich habe es“,
sagt er, „nicht probiert“. Und jemanden gefragt? Nein, habe er nicht, er
schüttelt den Kopf, „da war halt dieses Flatterband“. Und „Flatterband�…
sagt er, „heißt für mich: Hier nicht weiter.“
Wilmar, das ist klar, wird sich von Flatterband nicht nötigen lassen. Der
Absatz ist reißend, im Jahr soll der Konzern über 34 Milliarden Euro Umsatz
machen. Klar pflegt man das Image, betreibt soziale Projekte und hat sich,
2013, einen Nachhaltigkeits-Kodex auferlegt. Doch diese „No
Deforestation-Policy“ ist, das belegt eine im Juni von Greenomics Indonesia
publizierte Studie, vor allem heiße Luft. Treibhausluft, CO2-gesättigt.
9 Oct 2014
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Aktivismus
Palmöl
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