# taz.de -- Dokumentarfilm über Nick Cave: Episoden eines Egomanen | |
> „20.000 Days on Earth“ gewährt einen Tagesauszug aus Nick Caves Leben. | |
> Seine Geschichten erzählt der australische Rockstar selbst. | |
Bild: Ein Besuch bei Nick Cave zu seinem 20.000 Tag auf Erden. | |
Das Schöne an einer Person wie Nick Cave ist, dass man ewig um sie | |
herumgleiten kann. Hält man dann an einem Punkt inne und mustert die Figur, | |
dann ist Cave zwar immer klar auszumachen, aber die Geschichte um dieses | |
Bild geht doch irgendwie ganz anders als jene, die sich 12 Grad weiter | |
aufgabeln ließe. Das Besondere an einer Person wie Nick Cave ist zugleich, | |
dass sie ewig um sich herumgleiten und sich dabei auch noch selbst erzählen | |
kann. Nick Cave ist sein eigener Storymat. | |
Wahrscheinlich gibt es ein Gelenk in diesem Hirn, das dies möglich macht. | |
Deswegen haben die beiden Regisseure Iain Forsyth und Jane Pollard (die vor | |
allem etablierte Künstler sind) sich wohl darauf verständigt, ein einzelner | |
Tag im Leben dieses Nick Cave sei vollkommen ausreichend für „20.000 Days | |
on Earth“. Es ist ein Film, der irgendwo zwischen Dokumentarfilm, Biopic, | |
Konzert- und Footagefilm anzusiedeln wäre, wollte man sich die Mühe machen, | |
ihn an einen Ort zu sortieren. | |
Natürlich ist ein Tag im Leben von Nick Cave kein gewöhnlicher Tag. Was | |
vielleicht auch daran liegen mag, dass es sein 20.000. ist. Doch trotz | |
aller Ausschläge, die sich in den kommenden Stunden für Cave einstellen | |
sollen, fängt dieser Tag doch an wie wohl für die meisten anderen Menschen | |
auch, nämlich am Morgen. Man sieht also Nick Cave aus weißen Laken steigen, | |
zum Fenster schreiten, Vorhänge zur Seite ziehen und sagen: „This is my | |
20,000th day on earth.“ | |
Das klingt schon ein bisschen monumental, obwohl es eigentlich nur | |
bedeutet, dass Cave gerade in seinen Fünfzigern steckt. Aber wie er das | |
sagt – man wird direkt ehrfürchtig und denkt: Da ist ein Wesen, das ist so | |
alt wie die Menschheit selbst, oder sogar noch älter. Trotzdem unternimmt | |
Cave erst mal nichts Außergewöhnliches. Er setzt sich in sein Arbeitszimmer | |
in seinem Haus in Brighton und arbeitet. | |
## Regelrechter Kult | |
Seine Hände gleiten über eine Schreibmaschine, deren Knöpfe Forsyth und | |
Pollard alsbald in die Tasten eines Klavieres morphen. Message verstanden. | |
Nick Cave hat zwei Romane verfasst und ein paar Drehbücher | |
(interessanterweise auch das für diesen Film), ist ein emsiger | |
Tagebuchschreiber und zelebriert einen regelrechten Kult um den | |
Geburtsvorgang seiner Songs. | |
Zum letzten Album der Bad Seeds, „Push the Sky Away“, erschien etwa ein | |
Buch, das den Entstehungsprozess der einzelnen Texte dokumentiert. Und das | |
Originalbuch ist seinerseits eine Spezialanfertigung einer Freundin aus | |
Australien. Die fertigen Songtexte hält Cave auf der Rückseite alter | |
Buchseiten fest, die er sorgfältig aus diversen Exemplaren herausgetrennt | |
hat, und versieht das Ganze mit ein paar Ziffern, die von einem deutschen | |
Datumsstempel stammen. | |
Einige dieser vergilbten Blätter kann man in „20.000 Days on Earth“ | |
bewundern, denn in nicht wenigen Einstellungen liegen sie direkt vor Cave. | |
Einem Cave, der weniger im Schreibprozess begriffen ist als in der | |
Aufnahme. Eingespielt wird natürlich „Push the Sky Away“. Gemeinsam mit dem | |
abendlichen Konzert, in denen die Songs dann einem Publikum gereicht | |
werden, bilden diese Blöcke den musikalischen Grundstock des Films. | |
## Prominente Fahrgäste | |
Damit ist es jedoch lange nicht getan. Cave sitzt zwischen verschiedenen | |
Stationen (einem Besuch im Nick-Cave-Archiv folgt ein Besuch bei Bad Seed | |
Warren Ellis, der gerade gekocht hat) in seinem Auto, er reflektiert über | |
die Küste und das Wetter und nimmt Fahrgäste auf. Kylie Minogue etwa, oder | |
Blixa Bargeld. | |
Bevor sie verschwinden, tippen sie bestimmte Episoden seiner Geschichte an. | |
Bei Kylie ist diese kurz und schrill, während sich bei der Begegnung mit | |
Blixa Bargeld ein Erinnerungsraum öffnet, der im Film zwar erspürt werden | |
kann, aber viel zu weit ist, um ihn ernsthaft zu beschreiten. Was man | |
Forsyth und Pollard zugutehalten muss, ist, dass sie es schaffen, diese | |
sonderliche Schwingung zwischen den beiden Männern trotzdem zu | |
transportieren. | |
Anders könnte ein Film wie „20.000 Days on Earth“ kaum funktionieren. Wie | |
sonst wäre an diesem Tag noch Platz für Familienleben (Pizza und irgendein | |
Schocker mit den beiden Söhnen auf der Couch), für eine poetische Rückschau | |
auf die ganzheitliche Eruption, die ihn erfasste, als er auf seine | |
zukünftige Frau stieß oder all die Geschichten, die er erzählt. Die Nick | |
Cave sich selbst erzählt und die er teilt. Und von der man keine missen | |
möchte. | |
16 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Carolin Weidner | |
## TAGS | |
Dokumentarfilm | |
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