# taz.de -- Wand-Kunst vor Villa: Ein Riss im Dreidimensionalen | |
> Dies ist kein Bauzaun: Weil der Denkmalschutz die ganz großen Eingriffe | |
> verwehrte, hat Künstler Jan Köchermann eine Delmenhorster Bürgervilla | |
> umbaut. | |
Bild: Eine Konstruktion wahrt ihr Geheimnis: Jan Köchermanns "Wand" rund um da… | |
DELMENHORTST taz | Vor allem älteren Menschen ist das Haus noch von | |
Arztbesuchen vertraut: Das Haus Coburg in Delmenhorst, 1905 vom Bremer | |
Architekten Heinz Stoffregen für den kunstsinnigen Mediziner Hermann Coburg | |
erbaut, ist seit 1974 die Adresse der Städtischen Galerie. Die | |
Mediziner-Dynastie Coburg hat Jahrzehnte lang die sozial engagierten | |
Werksärzte der lokalen Jute- und Wollfabriken gestellt, die Bremer | |
Industrielle im späten 19. Jahrhundert hier gründeten. Mit dem Untergang | |
dieser Gewerbe im ausgehenden 20. Jahrhundert entstand dann ein Mythos rund | |
um die Familie. | |
Nach genau 305 Ausstellungen in der umgenutzten Arztvilla fand Annett | |
Reckert, seit vier Jahren Leiterin der Städtischen Galerie, es sei nun mal | |
an der Zeit, sich mit dem Gebäude als Ganzem zu befassen, mit seiner | |
Präsenz im Stadtbild und der nach wie vor vom Geist des Dr. Coburg senior | |
umflorten Architektur. Dazu lud sie den Hamburger Künstler Jan Köchermann | |
ein. Er hat 2012 schon einmal in der Gruppenausstellung „Ab in die Ecke!“ | |
eine Kammer des Hauses auf dem Treppenabsatz markiert, mit Sperrmüll, wie | |
er es nennt. | |
## Enge und Isoliertheit | |
Einen langen Werkabschnitt des 1967 in Lüdenscheid in eine Künstlerfamilie | |
geborenen Köchermann stellen seine Schächte dar: schmale, meist in Gebäude | |
implantierte Tunnel oder Brücken, die mit Momenten der Enge, Isoliertheit | |
und auch gewagter räumlicher Exposition operieren. Am vielleicht | |
herausforderndsten: Schacht 6 im Kaispeicher A im Hamburger Hafen. 2002, | |
noch bevor die Pläne diesen Speicher zum Sockel des Jahrhundertprojekts | |
Elbphilharmonie degradierten, ließ Köchermann eine sieben Meter lange | |
Holzkonstruktion knapp vier Meter aus einer Ladeluke auskragen – gut acht | |
Meter über der Wasserlinie, ohne jegliche Sicherung der Öffnung. | |
Nun verbaten in Delmenhorst der Denkmalstatus der Villa wie auch der knappe | |
Ausstellungsetat derartige bauliche Eingriffe. Was soll ich hier machen?, | |
fragte sich Köchermann, zurück am Hamburger Arbeitstisch, nachdem er vor | |
Ort Fotos gemacht hatte. Ein weißes Blatt Papier schob sich dabei über eine | |
Eckansicht des Hauses – es entstand die Intervention „Wand“: ein Riss in | |
der dreidimensionalen Wahrnehmung, seit Mitte September in Delmenhorst zu | |
sehen. Eine 105 Meter lange weiße Wand umfährt in knappem Abstand Haus und | |
Nebengebäude, ihre exakt horizontale Kontur blendet ganz kühl das | |
Erdgeschoss dahinter aus. Wie ein plastischer Monolith scheint sie aus dem | |
Boden gewachsen zu sein, ihre Höhe, die Präzision und der skulpturale | |
Auftritt lassen keine Assoziation zu einem Bauzaun aufkommen. Nein, die | |
Wand wird als künstlerisch erkannt, sei, so Köchermann, in sich subversiv | |
genug. Sie verhindert visuelle Erfahrung und Zutritt, die Galerie ist | |
geschlossen, weggenommen. | |
Lediglich eine unscheinbare Hintertür gewährt bei Interesse Einlass: in | |
eine dunkle Wunderkammer mit einem kleinen Aquarium und filmischen Repliken | |
unterschiedlich technischer Perfektion. Dazu laufen Tiefseegeräusche, für | |
ein paar Dollar im Internet erstanden. Man erfährt also auch hier nichts | |
über die Machart der Wand, die Konstruktion wahrt ihr Geheimnis. | |
## Gebot der Schlichtheit | |
Die Reduktion in der Kunst, ihr „Schlichtheitsgebot“, wie Köchermann es | |
ausdrückt, interessiert ihn seit Langem. Wie fein kann eine Andeutung sein, | |
wie einfach läuft die Wahrnehmung? Köchermann hat Grafikdesign studiert, | |
zwischen 1994 und 1998 dann Bildhauerei in Hamburg bei Bogomir Ecker. | |
Dieser ließ den Studierenden große Freiheit, ermutigte zu handfester | |
Erfindung – und war unerbittlich, wo es um das Funktionieren einer | |
räumlichen Idee geht. | |
Seit einigen Jahren lehrt Jan Köchermann nun selbst, in Hamburg und an der | |
Kunstuniversität Linz, unter anderem zur Kunst im öffentlichen Raum. Seine | |
Studenten sollen aber erstmal gar keine Kunst machen, sondern sich von | |
Klischees und Erwartungen befreien und nur für sich selbst arbeiten. Einer | |
geschmeidig vorschnellen Marktgängigkeit setzt er die persönlich gefestigte | |
Position entgegen: Was mache ich da eigentlich? | |
Köchermanns Wagnis in Delmenhorst scheint aufgegangen zu sein. Annett | |
Reckert erzählt, dass die weiße Wand bereits stadtbekannt ist, auch bei | |
Menschen, die ansonsten das Haus Coburg und die Städtische Galerie nicht | |
kennen. Als kleiner Satellit für deren Dienste ist derzeit ein mobiler | |
Strandkiosk unterwegs: Köchermanns entschiedene Verhinderungsarchitektur, | |
ergänzt um eine flüchtige, einladende Geste. | |
## „Wand“: bis 16. November, Städtische Galerie Delmenhorst. Auf sowie | |
finden sich die Stationen des Kunstkiosks | |
16 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
## TAGS | |
Delmenhorst | |
Delmenhorst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Georg Winter-Ausstellung in Delmenhorst: Die Kunst der Stadtverschafung | |
Straßenkunst ist für Georg Winter nicht bloß Attitüde: Um die Städte | |
kennenzulernen, in denen er ausstellt, schläft er ein paar Nächte in einer | |
Holzkiste draußen. |