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# taz.de -- Friedrichshain-Kreuzberg: Flüchtlinge als Sündenböcke
> Wer ist Schuld, dass Vereine und Jugendzentren sparen müssen? Wenn man
> den Medien glaubt: die Flüchtlinge. So einfach ist es allerdings nicht.
Bild: Flüchtling vor der Kreuzberger Gerhart-Hauptmann-Schule.
Die vor zwei Monaten verhängte Haushaltssperre im Berliner Bezirk
Friedrichshain-Kreuzberg sorgt für Aufsehen in den Medien. „Geldnot wegen
Flüchtlingen“ [1][schrieb] der Tagesspiegel. „Flüchtlinge treiben Berliner
Bezirk in die Pleite“, lautete die Überschrift in der Jungen Freiheit. Noch
härter [2][formulierte es] der Kurier: „Der Umgang des Bezirks mit den
Flüchtlingen in der Gerhart-Hauptmann-Schule hat Friedrichshain-Kreuzberg
finanziell das Genick gebrochen.“
Jede Kürzung im Bezirk, auch jeder nicht erfüllte finanzielle Wunsch wird
seither mit den Zahlungen wegen der Flüchtlinge in der besetzten Schule in
Verbindung gebracht. Die Morgenpost [3][schlagzeilte]: „Bezirk streicht
nach Flüchtlingschaos Geld für Jugendzentren“. Der Tagesspiegel
[4][wieder]: „Der Bezirk leidet unter einer Haushaltssperre, vor allem
wegen der Ausgaben für die besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule. Vereine und
Schulen spüren die Geldnot. Auch Bauarbeiten auf Spielplätzen müssen
warten.“ Die taz [5][schrieb]: "Rund 40 Besetzer sind noch im Gebäude, das
rund um die Uhr von einem Sicherheitsdienst bewacht wird. Der ohnehin
klamme Bezirk geht an diesen Kosten fast zugrunde". Und der Kurier
[6][schrieb] über die Grünen, die die Hilfen für die Flüchtlinge
beschlossen hatten: „Sie spielen die Guten, wir müssen bluten.“
Diese Berichterstattung ist aus vier Gründen einseitig und grob
irreführend:
## 1. Andere Bezirke
Friedrichshain-Kreuzberg hat seine Haushaltssperre am 3. September
[7][verkündet], Charlottenburg-Wilmersdorf [8][am 17. September] und
Marzahn-Hellersdorf [9][Anfang Oktober]. Die Medien berichteten darüber in
den letzten zwei Monaten wie folgt:
B.Z: 7 Artikel mit den Worten "Haushaltssperre" und
"Friedrichshain-Kreuzberg"mit insgesamt 1462 Wörtern, 1 Kurzmeldung mit 74
Wörtern über Charlottenburg-Wilmersdorf, 1 Kurzmeldung mit 36 Wörtern über
Marzahn-Hellersdorf.
Berliner Kurier: 3 Artikel mit 750 Wörtern über die Haushaltssperre in
Friedrichshain-Kreuzberg, 0 über Charlottenburg-Wilmersdorf, 0 über
Marzahn-Hellersdorf
Berliner Zeitung: 4 Artikel mit 1.751 Wörtern über
Friedrichshain-Kreuzberg, 0 über Marzahn-Hellersdorf, 0 über
Charlottenburg-Wilmersdorf
Morgenpost: 8 Artikel über Friedrichshain-Kreuzberg mit insgesamt 3.813
Wörtern, 2 Artikel mit 938 Wörtern über Charlottenburg-Wilmersdorf und
[10][1 Kurzmeldung mit 45 Wörtern] über Marzahn-Hellersdorf.
Tagesspiegel: 7 Artikel mit insgesamt 3.188 Wörtern über
Friedrichshain-Kreuzberg, 0 über Charlottenburg-Wilmersdorf und 0 über
Marzahn-Hellersdorf.
taz: 7 Artikel mit 5.084 Wörtern über Friedrichshain-Kreuzberg, 0 über
Charlottenburg-Wilmersdorf, 0 über Marzahn-Hellersdorf.
Es gibt also eine massive mediale Fixierung auf Friedrichshain-Kreuzberg.
Über die identische Maßnahme in anderen Bezirken wird wesentlich weniger
berichtet - wenn überhaupt. Ein objektiver Grund dafür ist nicht erkennbar.
## 2. Frühere Jahre
Zweitens bleibt in den Medien unerwähnt, dass es in
Friedrichshain-Kreuzberg in den letzten fünf Jahren viermal eine
Haushaltssperre gab. Es handelt sich also um ein Standardinstrument, dass
im Bezirk auch in Jahren ohne Extrakosten für Flüchtlinge regelmäßig
angewendet wird. Als im Jahr 2011 der damalige Finanzstadtrat Jan Stöß
(SPD) eine Haushaltssperre verhängte, [11][gab er dafür] „insbesondere
Energiekosten und Kosten für den Winterdienst“ an. Anschließend erschienen
in den Medien übrigens keine Artikel darüber, dass die Energiekonzerne eine
Mitschuld an den Sparmaßnahmen im Bezirk tragen.
## 3. Weitere Verantworltiche
Drittens sind die Flüchtlinge nur der Grund für einen Teil der ungeplanten
Mehrausgaben – nämlich für zwei der vier Millionen Euro. Laut
Finanzstadtätin Jana Borkamp (Grüne) bedeutet das: „Auch ohne die
Flüchtlinge hätten wir im September eine Haushaltssperre verhängen müssen.�…
Die anderen Mehrkosten entstanden etwa durch Pfusch am Bau und die
Reinigung von Schulen. Trotzdem werden immer nur die Flüchtlinge als
Schuldige benannt, nicht auch die Baupfuscher und Schulputzer.
## 4. Andere Ebenen
Viertens wird die Größe des Haushaltslochs in Friedrichshain-Kreuzberg nie
in Relation zu anderen Haushaltslöchern gesehen. Wenn dem Bezirk bei einem
Haushalt von über 600 Millionen Euro ein Defizit von 4 Millionen droht,
sind das 0,6 Prozent. Im Bund lag die Neuverschuldung im vergangenen Jahr
bei 7,4 Prozent des Haushalts.
Die mediale Fixierung auf Friedrichshain-Kreuzberg hat offenbar keinen
anderen Grund, als dass es hier mit den Flüchtlingen eine Gruppe gibt, der
der Schwarze Peter zugeschoben werden kann/soll.
28 Oct 2014
## LINKS
[1] http://www.tagesspiegel.de/berlin/geldnot-wegen-fluechtlingen-bezirk-friedr…
[2] http://www.berliner-kurier.de/kiez-stadt/haushaltssperre-wegen-teuer-fluech…
[3] http://www.morgenpost.de/berlin/article132484631/Bezirk-streicht-nach-Fluec…
[4] http://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/kreuzberg-blog/haushaltssperre-in…
[5] /1/archiv/
[6] http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&am…
[7] http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/aktuelles/pressemitteilung…
[8] http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/aktuelles/pressemitteilu…
[9] http://twitter.com/rbbabendschau/status/519849728688021504
[10] http://www.morgenpost.de/printarchiv/berlin/article133524001/Aus-den-Bezir…
[11] http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/aktuelles/pressemitteilun…
## AUTOREN
Sebastian Heiser
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