| # taz.de -- Performance-Kunst in Langenhagen: Auf der Showtreppe | |
| > Inszenierungen des Alltags und Bühnenmodelle: Die britische Künstlerin | |
| > Cally Spooner hat ihre erste Einzelausstellung in Deutschland. | |
| Bild: Szene aus Cally Spooners abendfüllendem Spielfilm „Film Off Camera Dia… | |
| Beim Eintritt in den Ausstellungsraum des Kunstvereins Langenhagen muss man | |
| zunächst durch einen schwarzen Vorhang. Dem folgt eine steile Treppe, die | |
| nahezu mit den Wänden und der Decke abschließt. An den Rändern ihrer | |
| schmalen Stufen blenden Glühbirnen. Es handelt sich um eine Art Showtreppe. | |
| Sie wird von einem Gerüst gestützt – wie eine Bühnenrequisite. Die Treppe | |
| ist ganz und gar Show. | |
| Man befindet sich hier bereits mitten in der Ausstellung „The Overall | |
| Ooooh“ der britischen Performance-Künstlerin Cally Spooner. In ihrem Werk | |
| spielen Show und Treppen tatsächlich immer wieder eine große Rolle. Es geht | |
| um Inszenierungen des Alltags und Treppen als klassische Bühnenmodelle. | |
| Im Barock inszenierten sich die Herrschenden auf den Treppen im Inneren | |
| ihrer Schlösser. In Musicals und Revuen befindet sich bis heute oft im | |
| Zentrum der Bühne ein breiter und erleuchteter Treppenaufgang. Die 1983 | |
| geborene Künstlerin arbeitet sich in ihren Videos und Liveperformances an | |
| solcherlei Themen und Motiven ab. | |
| In Langenhagen ist der weitere Weg ins Ausstellungsinnere durch Spooners | |
| Showtreppe fast vollständig versperrt. Was mag sich hinter der | |
| Kulissentreppe verbergen? Vielleicht nur eine weitere Kulisse? | |
| Der darauf folgende Ausstellungssaal ist schmal und ungewöhnlich lang. | |
| Früher war dort eine Bowlingbahn untergebracht. Langenhagen gehört zu der | |
| Art von Kunsthäusern, die sich nicht als universelle Halle zum Hängen von | |
| Bildern eigenen. Es bringt zu viele Eigenheiten mit sich. Am besten, man | |
| entwickelt Ausstellungen individuell für diese Räume. Und genau das ist | |
| hier geschehen. | |
| ## Abendfüllender Spielfilm | |
| Am anderen Ende des Schlauchs wird auf die gegenüberliegende Wand ein Film | |
| projiziert. „Film Off Camera Dialogues“ ist sein Titel. Den Film hat sie in | |
| diesem Jahr produziert. Er ist als Teil eines abendfüllenden Spielfilms | |
| gedacht. Das Setting darin ist absolut minimal. Ein weißer Tisch, darauf | |
| ein Paar bedruckte Seiten in A4, ein Wasserglas, dahinter eine weiße Wand. | |
| Ein Setting gleich einer zur Wand gewordenen Showtreppe. | |
| Anstelle eines Showmasters oder Tänzers erscheint nun ein junger Mann. Er | |
| trägt einen schwarzen Anzug samt Krawatte. Sein Hemd ist weiß. Während er | |
| sich setzt, versucht er sein Jackett zu schließen. Der Knopf geht am | |
| Knopfloch vorbei. Der Versuch misslingt. Das Jackett bleibt geöffnet. Um | |
| solcherlei Kleinigkeiten herum baut Cally Spooner ihre Filme. Durch dieses | |
| Knopfloch erschließt sie uns die Welt von marketinggerechten Sprache und | |
| Selbstinszenierung. | |
| In der weiß leuchtenden Kulisse des Konferenzzimmers treibt Cally Spooner | |
| die Inszenierung zur Implosion. Der junge Mann, der sich eben an den | |
| sterilen Tisch gesetzt hat, beginnt nun einen Text vom Blatt zu lesen. Er | |
| spricht dabei über die besonderen Qualitäten der Firma, für die er | |
| arbeitet. Den Text hat er selbst formuliert. | |
| Sein Gesicht ist nicht zu sehen. Man hört nur seine Stimme und sieht seine | |
| Hände. Eingeübte Formulierungen und Gesten werden vorgetragen – und | |
| scheitern gerade an der Einübung. „In den vergangenen Jahren hat unsere | |
| gesamte Industrie eine Menge dazu gelernt“, sagt er. Eine tiefere ebenfalls | |
| männliche Stimme beginnt ihn zu korrigieren. | |
| Die Worte des vorbereiteten Vortrags werden ausgetauscht, ergänzt und | |
| anders betont. Der junge Mann gibt sich große Mühe, seine Sätze zu | |
| korrigieren. Das gelingt ihm nicht, weil es ihm nicht gelingen kann – und | |
| so kollabiert sein Vortrag immer wieder. | |
| ## Es gibt keinen Namen | |
| An einer Stelle weiß der Sprecher vor lauter Vorformulierung und Korrektur | |
| nicht einmal mehr zu sagen, wie er heißt. Beständig variiert er entlang den | |
| Anweisungen den Satzanfang „My name is?“. Weiter kommt er nicht. Es gibt | |
| keinen Namen. Verliert er seinen Namen oder behält er ihn für sich? Bleibt | |
| er letztlich davor bewahrt, zum automatisierten vokalen Zeichen zu werden? | |
| Seine Finger trippeln dabei nervös auf der weißen Tischplatte. Immer wieder | |
| setzt er an, zu sagen, wie sein Name ist und immer wieder wird er dabei | |
| korrigiert. Dann versucht er es besser zu sagen. So kommt er erst gar nicht | |
| dazu, seinen Namen auszusprechen. Der eingeforderte Verlust der | |
| Subjektivität scheitert, weil das Subjekt an dieser Aufgabe scheitert. Und | |
| somit Subjekt bleibt – wenn auch ein geknechtetes und gebrochenes. | |
| Vollkommen absurd wird die Szenerie, wenn Spooner weiblichen | |
| A-Capella-Geang über die Sprachübungen der beiden Männer legt. Schließlich | |
| stimmen sie in den Gesang mit ein. Den Sprecher zur Wiederholung | |
| anspornend, schleudert die Couchstimme ihm ein erstes „Again“ entgegen. | |
| Dann ein zweites. Schließlich wird es zu einer rhythmisch gesungenen | |
| Struktur. Dem Fragment eines Songs. Womit man wieder auf der Showtreppe | |
| wäre. | |
| Es ist die erste Einzelausstellung von Cally Spooner in Deutschland. Dabei | |
| ist die junge britische Künstlerin seit einer ganzen Weile schon keine | |
| Unbekannte mehr. In den letzten Jahren war sie etwa im Londoner Tate Modern | |
| und dem Stedelijk Museum Amsterdam vertreten. | |
| In Deutschland waren ihre Arbeiten bereits in Gruppenausstellungen der | |
| Kestner Gesellschaft Hannover und dem Münchner Kunstverein zu sehen. Das | |
| kurze Video ist Teil eines größeren Filmvorhabens, das vom Stedelijk | |
| unterstützt wird. Im nächsten Jahr soll er fertig gestellt werden. Auch | |
| darin sollen wieder Treppen eine Rolle spielen. Und malträtierte Worte. | |
| 27 Nov 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Radek Krolczyk | |
| ## TAGS | |
| Ausstellung | |
| Ausstellung | |
| Ausstellung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Nicht gerade einladend: „Wie man in der Öffentlichkeit pisst“ | |
| Mit seiner Ausstellung in Hannover geht es Stefano Calligaro weniger ums | |
| Urinieren als ums Markieren. Wie er sich in der Kunstwelt positioniert, | |
| will er selbst entscheiden. | |
| Ausstellung: Ein leeres Versprechen, das wirkt | |
| Sonnenuntergänge, Palmeninseln, Paare am Strand – der Maler Friedrich | |
| Kunath zeigt in Bremerhaven Bilder, Videos und Installationen zum Thema | |
| „Sehnsucht“. | |
| Ausstellung in Delmenhorst: Stierkampf als künstlerische Steilvorlage | |
| Die Städtische Galerie Delmenhorst zeigt aufgespießte Toreros, tote Stiere | |
| und faszinierte Zuschauer – zum Beispiel Picasso. |