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# taz.de -- Polizeigewalt in Jamaika: Die Bewacher der Wächter
> Jährlich werden in Jamaika rund 200 Menschen von der Polizei erschossen.
> 2014 sind es weniger – weil eine neue Behörde bei Polizeigewalt
> ermittelt.
Bild: Heutzutage auch mal gern gesehen: Polizisten in Kingston 2010.
KINGSTON ap | Polizisten in Jamaika standen lange Zeit im Ruf, dass ihre
Hände locker am Abzug sitzen. Routinemäßig wurden sie beschuldigt, ihre
Waffen im Kampf gegen die hohe Zahl von Gewaltverbrechen unzimperlich
einzusetzen, Verdächtige bewusst zu töten. Aber jetzt zeichnet sich eine
Besserung ab. Die Zahl der Gewaltverbrechen ist insgesamt zurückgegangen,
und der Karibikstaat hat in diesem Jahr so wenige Tötungen durch die
Polizei erlebt wie seit langem nicht mehr. Es gibt mittlerweile sogar
vorsichtiges Lob von Menschenrechtlern.
Die Zahl von Bürgern, die von Polizeihand starben, dürfte zum Jahresende
knapp über 100 liegen. Im vergangenen Jahr waren dagegen noch 258 Fälle
gezählt worden. Zuletzt hatte die Zahl vor zehn Jahren unter der 200-Marke
gelegen. „Es war üblich, dass die Polizei mit gespannten Hähnen kam, aber
viele von ihnen sind jetzt ruhiger geworden und legen ein besseres
Verhalten an den Tag“, meint Susan Ramsay, eine Mutter von drei Kindern, in
der Hauptstadt Kingston.
Sie lebt im Stadtteil Rockfort, in dem es rau zugeht. Aber die Polizei war
bislang bei den Einwohnern trotzdem herzlich unwillkommen. Das scheint sich
jetzt zu ändern. So sagt Ramsay: „Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem
ich es vorziehe, die Polizei hier zu sehen anstatt sie nicht zu sehen.“
Es scheint mehrere Gründe für die positive Entwicklung zu geben. Dazu zählt
der Abwärtstrend bei den Gewaltverbrechen, auch wenn die Zahl immer noch
sehr hoch ist: Den UN zufolge liegt Jamaika bei der Mord- und
Totschlagsrate weltweit auf Platz sechs. Aber immerhin: 2013 verzeichnete
das von illegalen Waffen überschwemmte Land 1197 Fälle von Tötungen durch
Bürger, während es 2009 noch eine Rekordzahl von 1680 gab.
## Ermittlungen gegen Uniformierte
Vielleicht liegt es aber hauptsächlich an einem anderen Faktor, dass sich
die Polizei jetzt stärker zurückhält: Unter den Beamten herrscht zunehmend
die Furcht, gerichtlich belangt zu werden. Denn in Jamaika gibt es seit
2010 eine neue Behörde, die eigens Vorwürfen gegen die Polizei nachgeht.
Diese sogenannte Unabhängige Kommission für Ermittlungen wurde eingesetzt,
nachdem Uniformierte in Kingston bei einem Einsatz zur Festnahme eines
Bandenführers [1][70 Zivilisten getötet] hatten. Die Polizei hatten ihr die
Befugnis zur Strafverfolgung abgesprochen, aber Gerichte bekräftigten im
vergangenen Jahr das Recht der Einrichtung, Polizisten festzunehmen und
anzuklagen. Zuvor war das die Aufgabe der Staatsanwaltschaft und einer
internen Polizeiabteilung.
Die Kommission ermittelt jetzt immer häufiger gegen Uniformierte. So ging
sie gegen elf Beamte einer einzelnen Polizeiabteilung in Clarendon vor. Sie
wurden dieses Jahr wegen Mordes angeklagt, und als Folge ging die Zahl der
Tötungen durch Polizisten in allen Teilen Jamaikas zurück. Es kam auch zu
zwei Verurteilungen von Beamten wegen mangelnder Zusammenarbeit mit der
Kommission.
Nach Angaben des stellvertretenden Kommissionschefs Hamish Campbell hat ein
deutlicher Rückgang von frühmorgendlichen Razzien dazu beigetragen,
tödliche Polizeischüsse zu verringern. Schwer bewaffnete und vielfach auch
maskierte Beamten hatten zuvor häufig vor dem Morgengrauen Operationen in
Armenvierteln durchgeführt, oft floss dabei viel Blut, aber die Polizisten
blieben unversehrt. „Die Taktik war nicht zu verteidigen, und die Mehrheit
der Öffentlichkeit erkannte sie als das, was sie wirklich war“, sagt
Campbell.
## Weniger Gegenwehr
Menschenrechtler sind jetzt zumindest vorsichtig optimistisch, dass ein
Wandel einsetzen könnte. Aber die Gesamtzahl der Tötungen durch Polizisten
sei immer noch zu hoch, meint die prominenteste Bürgerrechtsgruppe auf der
Insel, Jamaicans for Justice. Zum Vergleich: Polizeibeamte in Chicago haben
im vergangenen Jahr 13 Menschen erschossen, und die US-Stadt hat mit 2,7
Millionen etwa so viele Einwohner wie Jamaika.
Die etwa 11.000 Mitglieder starke Polizeistreitmacht des karibischen
Inselstaates führt den Rückgang der Tötungsfälle auf Verbesserungen beim
Management und der Ausbildung der Polizisten in Sachen Gewaltanwendung und
Achtung der Menschenrechte zurück. Auch das Verhalten der Tatverdächtigen
spiele eine Rolle: Sie ergäben sich häufiger als früher ohne Gegenwehr.
Ein weiterer Schlüssel dafür, den Abwärtstrend am Laufen zu halten, ist ein
Justizsystem, das sich nicht vor Prozessen gegen Polizisten scheut. Beamte
in Jamaika haben im Laufe des vergangenen Jahrzehnts mehr als 2000 Menschen
erschossen, aber nur ein paar dieser Fälle landeten vor Gericht, und nur
einige wenige der Verfahren endeten mit Verurteilungen. Fast alle der
Getöteten wurden seinerzeit als bewaffnete Kriminelle registriert, die bei
Schießereien mit der Polizei ums Leben gekommen seien – mochten auch noch
so viele Augenzeugen berichten, dass die Beamten gezielt schossen, um zu
töten.
Jetzt sagt die Polizei, dass sie Herzen und Ansichten wandeln wolle. Ihre
Führung versichert, sie sei entschlossen, widerrechtliche Gewalttäter in
Uniform zu bestrafen und das Verhältnis zu den Bürgern zu verbessern. „Wir
tun unser Bestes. Wir wissen, dass die Polizei und die Gemeinde gute
Beziehungen haben müssen“, sagte kürzlich auch der Beamte Wickham Campbell
– nach einer freundlichen Plauderei mit Männern an einer Straßenecke in
einem Armenviertel von Kingston.
9 Dec 2014
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## AUTOREN
David McFadden
## TAGS
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Haiti
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