# taz.de -- Geschichte eines Getränks: Wie Mutter zur Cola kam | |
> Bei den 68ern war sie als amerikanische Imperialisten-Brause verpönt. | |
> Heute kann Cola-Trinken als Akt des Widerstandes gelten. | |
Bild: War man politisch, trank man keine Cola. Man trank Tee oder Kaffee, aber … | |
HAMBURG taz | Bei uns zu Hause gab es keine Coca-Cola. Auch nicht die | |
Bravo. Die las ich bei meiner Freundin Birgit. Deren Mutter war in keiner | |
Partei und Gastwirtin. Über Cola wusste sie Bescheid. Wenn ich nach der | |
Schule zu Birgit ging, freute ich mich, denn das bedeutete, dass wir in der | |
leeren Gaststätte „Alkohol trinken“ spielen, die Bravo oder die Bild lesen | |
und Dinge essen durften wie Schmorrippchen mit Kartoffelbrei in brauner | |
Soße. Und dazu gab es Cola. | |
Meine Erinnerung sagt mir, dass es Pepsi- und nicht Coca-Cola war. Voller | |
Spannung fragte mich Birgit, ob ich wüsste, was passiert, wenn man über | |
Nacht ein Stück Fleisch in eine Schale mit Cola legen würde. Woher sollte | |
ich das wissen? Zu Hause sprachen meine Eltern über Ulrike Meinhof, den | |
Vietnamkrieg und Willy Brandt, aber nicht über Cola. Am nächsten Morgen sei | |
das Stück Fleisch weg, behauptete Birgit. Wir probierten es aus. Nach drei | |
Tagen lag das Fleischstück immer noch da und hatte eine bräunliche Färbung | |
angenommen. | |
Das Unpolitische war das Böse | |
Meine Eltern lasen die Frankfurter Rundschau und waren in der SPD. Die | |
Grünen gab es noch nicht. Ich habe mich nicht gefragt, warum es bei uns | |
keine Cola gab. Es gab sie einfach nicht. Es gab auch nicht Mars oder | |
Snickers. Ich wusste, dass das nichts mit Gesundheit zu tun hatte. | |
Gesundheit war kein Wert, ganz zu schweigen von Sport, der einen schlechten | |
Ruf genoss, „Trimm dich“ oder „Turnen“ hieß. „Sport ist Mord“, ver… | |
meine Mutter, Churchill hätte das auch so ähnlich gesagt. Meine Mutter | |
rauchte „Kim“, mein Vater „Rothändle“ oder „Reval“. Ich von eins b… | |
alle Marken „passiv“, ab 14 dann „Schwarzer Krauser“ aktiv. 20 am Tag. | |
Ich hatte ein komisches Gefühl, wenn ich unter Leuten war, die Cola | |
tranken. Sie schienen mir ungebildet und unpolitisch. War man politisch, | |
trank man keine Cola. Man trank Tee oder Kaffee, aber keine Cola, | |
jedenfalls nicht pur. Cola Whisky war ganz verpönt, Cuba Libre dagegen | |
ging. Wobei ich mich heute frage, ob sich das „libre“ auf die Freiheit | |
durch oder von den USA bezog. | |
Das Unpolitische war das Böse, das Verachtenswerte. Unpolitisch war man | |
immer zugunsten der Rechten, das sog ich mit der (von Nikotin und Rotwein | |
durchzogenen) Muttermilch auf. | |
Unpolitisch war auch die Tierliebe. Noch schlimmer der Tierschutz. | |
Tierschutz hatte einen sehr unpolitischen Geruch. Dennoch sahen meine | |
Mutter und ich uns die Unterwasserfilme von Jacques Cousteau an. | |
Möglicherweise, weil Unterwassertiere damals aus irgendeinem, mir noch | |
nicht klarem Grund weniger Tierliebe provozierten. Die Tierliebe muss – wie | |
das Unpolitische – inzwischen stark zugenommen haben, dachte ich, als ich | |
kürzlich wieder einen Cousteau-Film sah. Darin tötet Cousteau einen Wal. | |
Einfach so. Ohne großen Kommentar. | |
Verächtliches Lachen für neue Ernährung | |
Meine Mutter zog ihre Energie daraus, nicht mit der Zeit zu gehen. | |
Vielleicht entstand auf diese Weise ihre späte Sympathie für Coca-Cola. Ihr | |
verteertes, verächtliches Lachen für all die Neuerungen in Sachen Ernährung | |
ist mir noch gut in den Ohren. Den Kohlehydrate- und Eiweiß-Diskurs | |
verweigerte sie, schwor als alte Dame stattdessen auf einen Ernährungsmix | |
aus Kaffee, Agiolax, Weißmehl, Rotwein und Zigaretten, fuhr gern Auto und | |
qualmte dabei. | |
Im Radio NDR 2, die Lüftung am Anschlag, halb blind und taub verpestete sie | |
mit aufheulendem Motor die Umwelt auf eine Weise, die zeigte, was sie von | |
ihr hielt. Ich glaube, in dieser Zeit fand ich hin und wieder auch eine | |
0,5-Liter-Plastikflasche Cola in ihrem Kühlschrank oder der Handtasche. | |
Daneben ein angebissenes Wienerwürstchen in gewachstem Papier. | |
Es muss auch in dieser Zeit gewesen sein, als sie unserem Sohn eine Fanta | |
anbot. Ich erklärte, dass er lieber Bionade (damals noch nicht vom | |
Großkonzern aufgekauft) trinke. Sie fand uns verwöhnt und in der | |
Getränkewahl spitzfindig. Cola und Fanta wurden hier endgültig zu | |
Verbündeten. | |
Dabei verdankt sich die Ausdifferenzierung der Brausen doch gerade auch | |
einem politischen Bewusstsein. Als in der Grundschule unseres Sohnes | |
Sponsoren für ein Wettrennen der Erst- bis Drittklässler gesucht wurden, | |
schlug eine Mutter auf einer Elternversammlung Fanta und Cola vor. Ja, gute | |
Idee, sagte eine andere Mutter. Geraune im Mehrzweckraum, das ginge gar | |
nicht. Keine Konzerne. Wir sollten die Ansässigen unterstützen. Biozisch. | |
Ich erzählte das meiner Mutter. Aber das verbesserte ihre Beziehung zur | |
Brausenvielfalt nicht. Irgendwas daran fand sie falsch. Was, sagte sie | |
nicht. | |
Ali-Cola, eine Integrationscola | |
Ich glaube, sie hat recht. Aber ich weiß nicht genau, warum. Es ist alles | |
da und alles gut, ja. Nur habe ich kein gutes Gefühl dabei. Erst recht | |
nicht mit unserem Sohn. Aber dann höre ich von der Ali-Cola, die im Nu mein | |
Herz erobert. Das nenne ich eine politische Cola. Eine Integrationscola. | |
Gegen die Sarrazin’sche Vererbungstheorie. Ich würde meiner Mutter zu gern | |
davon erzählen. Aber das geht nicht mehr. Inzwischen ist sie gestorben. | |
Ihre Todesart war in gewisser Weise auch politisch, denke ich, ein | |
Statement gegen die Überbewertung des Lebens. Nach einer Darm-OP bestand | |
sie trotz Warnung auf Kaffee, Zigaretten und Agiolax und kriegte eine | |
Schwester rum. Mit dieser gewissen Haltung, die es albern findet, wenn man | |
der Gesundheit einen Großteil seiner Lebensqualität- und -zeit opfern soll. | |
Was ist schon ein Leben, wenn man nicht mehr darf, was man gern macht? Die | |
OP-Wunde platzte vor lauter Trotz, der wie ein Ausrufungszeichen das Leben | |
meiner Mutter beendete. | |
Sie hatte recht, oder? Ich bin mir nicht sicher, woher mein tiefes, | |
unartikulierbares Verständnis für ihr Denken rührt. Erziehung? Kinderliebe? | |
Oder gibt es an dieser Verachtung für unsere streng vertretene | |
Brausenvielfalt etwas Richtiges? Was könnte falsch sein an dem Guten, den | |
Fritz-Colas, den Mate-Drinks und Biozischs? Dass sie ein richtiges Leben im | |
falschen suggerieren? Die Brausen haben so schöne Namen, ja, hinter ihnen | |
stehen keine Riesenkonzerne, ja, sie sorgen sich um Nachhaltigkeit, ja. | |
Aber was ist mit dem schönen Bösen? Wo ist es geblie-ieben? Ist es das, was | |
meiner Mutter immer mehr fehlte? Und was vielleicht ihre späte Sympathie | |
für die Coca-Cola-Plastikflasche begründete? | |
Was etwa so lange gedauert hat wie die Einführung der Coca-Cola im | |
sowjetischen Raum. Zu Sowjetzeiten war es nur der Pepsi vergönnt, sich | |
dortauszubreiten. Ein Dorn im Fleisch der Coca-Cola-Geschichte. Aber das | |
macht nichts mehr. Coca-Cola gibt es heute weltweit. Nur zwei Länder sind | |
noch stärker als meine Mutter: Nordkorea und Kuba. Hier darf immer noch | |
keine Cola getrunken werden. Aber vielleicht schafft’s der klebrig süße | |
Sprudel ja auch dort, wenn das kapitalistisch Böse so anachronistisch | |
geworden ist, dass man es vermisst. | |
Den ganzen Coca-Cola-Schwerpunkt lesen Sie in der taz.am Wochenende oder | |
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12 Dec 2014 | |
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Sabine Schönfeldt | |
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