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# taz.de -- Nachruf Udo Jürgens: Seit jeher eine Legende
> Gerade erst hatte er seinen 80. Geburtstag gefeiert. Nun ist der
> österreichische Sänger und Entertainer an akutem Herzversagen gestorben.
Bild: Ein Leben auf der Bühne: Udo Jürgens.
Noch vor Kurzem feierte man seinen 80. Geburtstag, flocht ihm Kränze, dem
populärsten deutschsprachigen Entertainer der Nachkriegszeit. Die innigen
Elogen mussten so intoniert sein: Udo Jürgens war ja längst Legende.
Ein Mann, 1934 in Klagenfurt in eine großbürgerliche Familie hineingeboren,
für den nichts mehr zählte als die Musik, dem das Komponieren, das Sitzen
am Flügel, das ganze rampensäuische Leben auf Tourneebühnen ein
„Lebenselixier“ war, wie seine 47-jährige Tochter Jenny sagte.
Müsste man die Aura ihres verstorbenen Vaters beschreiben, wäre dies eine
Skizze: Lieber größer als kleiner, bloß nicht geizig, eng oder spießig –
nichts Pfäffisches oder Kommisshaftes waren ihm lieb, er hasste die
Prediger des besseren Jenseits und verachtete jedes Militär.
Udo Jürgens war seit fast 50 Jahren in Deutschland, Österreich und der
Schweiz ein Star, ein Chansonnier mit Sexappeal, Gewinner des Bronzenen wie
Silbern Bravo-„Otto“ 1968 und 1969, vergleichbar mit keinem anderen
deutschsprachigen Entertainer, der in der gleichen Liga sang wie – in ihren
Ländern – Charles Aznavour, Gilbert Bécaud oder Adriano Celentano.
Mit Liedern wie „Ein ehrenwertes Haus“, „Griechischer Wein“, „Mit 66
Jahren“, „Lieb Vaterland“, „Paris, einfach nur so zum Spaß“ oder „…
noch niemals in New York“ fräste er sich in die Gemüter derer, die wie er
selbst Idealen wie Großherzigkeit, Antispießertum und Antipingeligkeit
fröhnten.
## Geschichten aus dem Leben
Im Münchner Medienmanager Hans R. Beierlein fand der Musiker, der schon in
den frühen 1950ern, ausgerüstet mit einer profunden musikalischen
Ausbildung, auf Bühnen stand, jedoch als Kopist von US-Tonwaren im
Wirtschaftswunderdeutschland nicht reüssierte, den wichtigsten Mentor und
Antreiber. Der konservative Liberale erkannte in Jürgens den Mann, der
nachgerade undeutsch performen sollte: am Klavier, eher französisches oder
italienisches Flair verbreitend, sitzend, Liebeslieder singend, Geschichten
aus dem Leben erzählend, mitreißend, melancholisch und frisch. Niemand im
Popunterhaltungsgewerbe war so nichtdeutsch wie dieser Österreicher – kein
Humtata, kein halbdelirierendes Mitklatschertum, keine Lügen im
ästhetischen Entwurf.
Den entscheidenden Schub erhielt Jürgens’ Karriere mit der dreifachen
Teilnahme am Grand Prix Eurovision de la Chanson. „Warum nur, warum?“, „S…
ihr, ich lass sie grüßen“ und „Merci, Chérie“ waren für den internati…
Markt geschrieben. Mit letzterem Titel gewann er 1966 in Luxemburg, gegen
die Lästerei der Bild-Zeitung, haushoch für Österreich. Aus der
Bundesrepublik, nur nebenbei, gab es damals keinen einzigen Punkt.
Trotz respektabler Auftritte in Frankreich, Italien, Japan und Belgien
blieb Jürgens ein deutschsprachiger Künstler. Ende der 1960er zählte er zur
absoluten A-Liga der hiesigen Promis – gleichrangig mit ebenfalls
international erfahrenen Stars wie Romy Schneider oder Hildegard Knef:
Künstlertrümpfe im sozialliberalen Zeitgeist allesamt. Ästhetische
Imaginationsflächen, die nicht die picobello Akkuratesse von
Schrebergärtenhecken und Bohnerwachsflächen verströmten, sondern ein Air
von Eleganz und Dezenz.
## Über den Tellerrand hinaus
Jürgens, verheiratet und geschieden, zwei Kinder aus seiner Ehe, zwei
weitere aus anderen Beziehungen, zahllose Liebschaften an jedem Tourneeort,
ob nun als One-Night-Stand oder dauerhafter über die Jahre: Er hatte dieses
gewisse Etwas, das die Botschaft trug, über den eigenen deutschen
Tellerrand öfter schon hinausgeschaut zu haben.
In den 1970er Jahren war er sozusagen fertig profiliert: einer, der in
diskreter Weise als linkslibertär zu gelten hatte, ein Anti-Heino, ein
Anti-Landser und Anti-Lagerfeuermann. Kohldampf und Bierlachengemütlichkeit
waren ihm zuwider. In ihm erkannte sich das Publikum gern wieder. Hätte die
Linke hierzulande zu Volkstümlichkeit ein Verhältnis im Sinne italienischer
Theoretiker wie Antonio Gramsci – und nicht wie Theodor W. Adorno –, sie
hätte einen wie ihn für sich zu gewinnen versucht: Udo Jürgens, Hegemon im
Entertainment vom besseren Leben.
## Auch Abgründe
Aber auch das Abgründige darf nicht übergangen werden. 1978 war sich
Jürgens nicht zu schade, mit der DFB-Nationalmannschaft ein Album zur WM in
Argentinien aufzunehmen: ein schunkelsentimentaler Albtraum in Noten, der
das bundesdeutsche Publikum in Frieden ließ mit Hinweisen auf die blutige
Militärdiktatur, in die man da reiste. Udo Jürgens – ein Komplize der alten
Kameraden, der den Überblick über das politisch Angemessene verloren hatte?
Vielleicht – denn auch vor sechs Jahren, 2008, war er es, der in einem
Bild-Interview angelegentlich eines von diesem Blatt aufgeheizten Überfalls
von Jugendlichen auf einen Rentner bellte, „wenn ein 78-jähriger Mann am
Bahnhof grundlos zusammengeschlagen wird, hinterher noch gebrüllt wird
’Scheiß Deutscher‘, da wird eine Gesinnung ausgedrückt, wo man nur sagen
kann (?): Du hast in diesem Land nichts verloren.“ Das war nicht mehr
volkstümlich, sondern rechtspopulistisch.
In den letzten Jahren verfehlte Jürgens öfter das Gespür für sein Publikum.
Als in Österreich vor gut einem Jahr die Drag Queen Conchita Wurst für den
Eurovision Song Contest nominiert wurde, ließ er sich über sie abträglich
vernehmen – aber als sie gewonnen hatte, lobte er sie.
Es möge ihm alles verziehen sein: fehlerfrei leben nur Heilige.
## Ewigkeit und Endlichkeit
Die Hälfte der Konzerte zur CD „Mitten im Leben“ war absolviert, die
nächste Tournee geplant, die Kartenvorverkäufe hatten begonnen. Jürgens
wusste immer, dass man in neuen Liedern so tun muss, als lebte man ewig –
obwohl die Ewigkeit allzu rasch ein Ende haben kann. Eigentlich muss man
ihn sich als Punk vor der Zeit vorstellen. „Verschwende deine Jugend“, das
war auch seine Haltung. Nur trug er dazu bessere Klamotten.
Am Sonntag hörte Udo Jürgens Herz in Gottlieben, Schweiz, einfach auf zu
schlagen. Den sozialen Medien ist zu entnehmen, dass viele Menschen seinen
Tod empfinden, als sei ihnen ein eherner Begleiter genommen. Unsere
ehemalige taz-Kollegin, Yonca Tül, schrieb nach der Todesnachricht:
„Auweia, wie soll ich das nur meiner Mama erzählen, dem größten Jürgens-F…
ever?!“ Die ersten GastarbeiterInnen-Generationen sind gern mit Udo Jürgens
groß geworden. Die Zeit-Journalistin Özlem Topçu twitterte vor vier Wochen:
„Meine Mutter is’ übrigens besser integriert als ich. Sie war aufm Konzert
von Udo Jürgens. Und konnte alles mitsingen.“
Vermutlich muss man sich Udo Jürgens Leben als vollendetes vorstellen. Er
war ein Großer.
Update 22.12.2014: Es handelt sich bei diesem Beitrag um eine erweiterte
und leicht überarbeitete Version des an dieser Stelle am 21.12.
veröffentlichten Nachrufs.
21 Dec 2014
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Udo Jürgens
Udo Jürgens
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