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# taz.de -- Prozess gegen Strauss-Kahn: „66 Millionen Voyeure“
> Böse Orgien und ein armer mächtiger Mann: Wie die Franzosen den
> Gerichtsprozess gegen Dominique Strauss-Kahn goutierten.
Bild: Dominique Strauss-Kahn ist nichts nachzuweisen
PARIS taz | Er war Finanzminister, Direktor des Internationalen
Währungsfonds, und er galt als Frankreichs bester Ökonom – und der will
nicht gewusst haben, dass für solche Praktiken bei Sexpartys nur bezahlte
Callgirls zu finden sind? – Noch vor dem Beginn des Zuhälterprozesses gegen
Dominique Strauss-Kahn alias DSK hatte die Jury der öffentlichen Meinung
ihr Urteil gefällt. Zumindest in moralischer Hinsicht hielten ihn die
meisten in Frankreich für schuldig und erledigt.
Das Verfahren hat das Land während dreier Wochen in Atem gehalten. Alle
wollten alles wissen. Am meisten Ansturm gab es vor dem Gerichtssaal von
Lille, als die ehemaligen Prostituierten gegen DSK aussagten und sich im
Nachhinein unter Tränen über seine Verachtung und brutalen Sexpraktiken
beklagten. Kein Detail der Positionen und Penetrationen wurde der
Wahrheitsfindung zuliebe ausgelassen. Der Prozess lieferte Gesprächsstoff
für hämische Kommentare vor den Kaffeeautomaten in den Büros.
Fast täglich prangte das Bild des wegen Zuhälterei bei der Organisation von
Hotel-Sexpartys beschuldigten „Unholds“ auf den Titelseiten der Zeitungen.
Es ging um Sex, Geld und Macht. So oder so hatte jeder und jede seine
eigene Expertenansicht: War DSK bloß Konsument? Oder war er eben doch
heimlicher Organisator eines Callgirlrings, dessen Rolle nach französischem
Strafrecht unter den Paragrafen der Zuhälterei fallen könnte?
Damit entflammte eine mit viel Heuchelei verdrängte Grundsatzdebatte über
die Prostitution. DSKs Verteidiger beschwerten sich. Schon in den
Ermittlungen gegen DSK und seine 13 Mitangeklagten sei das
Untersuchungsgeheimnis systematisch und vorsätzlich verletzt worden. Die
Nation sei in „66 Millionen Voyeure“ verwandelt worden, beklagte sich
Richard Malka, einer der drei Anwälte von DSK. Innnerhalb von drei Jahren
habe man „in der Öffentlichkeit ausgebreitet, was zum Intimsten und
Geheimnisvollsten im Leben eines Mannes“ gehöre. Entrüstet forderte Maître
Malka eine Rehabilitierung nicht nur vor Gericht, sondern auch in der
Öffentlichkeit.
## Das Publikum staunt und soll Erbarmen zeigen
Am Tag zuvor hatte die Staatsanwaltschaft mangels Beweisen einen Freispruch
für den Hauptangeklagten verlangt, nachdem die zivilen Nebenkläger ihre
Strafvorwürfe gegen DSK resigniert fallen lassen mussten, weil man ihm
nichts nachweisen konnte. Mit diesem coup de théâtre ist dann der Prozess
zum Erstaunen des Publikum umgekippt: Der Staatsanwalt plädierte auf
unschuldig. Die Verteidiger erhoben sich zu Anklägern gegen die
Untersuchungsrichter, die es gewagt hatten, DSK vor Gericht zu stellen, und
verurteilten die angebliche „Schlammschlacht“ der Medien gegen ihren
Mandanten.
Und voilà: Derselbe Mann, der laut Anklage per SMS „Material“ für seine
Orgien bestellte und vor Gericht peinliche Dinge über seine Vorlieben
zugeben musste, verdient laut Staatsanwalt geradezu das Erbarmen der
Nation, weil er mehr als alle anderen bloßgestellt worden ist. Impliziert
soll nun dieses „Volk von Voyeuren“ an allem schuld sein!
Spricht dieser nachsichtige Staatsanwalt vom selben Prominenten, der um
Haaresbreite Staatschef geworden wäre, dann aber in New York nur dank eines
finanziellen Vergleichs mit einer Hotelangestellten einem Prozess wegen
Vergewaltigung entging? Gegen den ein Verfahren wegen sexueller Aggression
in Paris bloß wegen Verjährung eingestellt worden war? Was eigentlich eher
gegen den Angeklagten sprechen müsste, wird erneut ins Gegenteil verkehrt:
Nur weil er Macht gahabt habe, sei DSK noch lange nicht schuldig, plädierte
der Staatsanwalt. Das war im ursprünglichen Drehbuch nicht vorgesehen.
Vielleicht, so mutmaßen jetzt die Leute, gilt in der Justiz halt doch eher
die Volksweisheit: Die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man laufen.
Weil ganz Frankreich via Zeugenstand durchs Schlüsselloch in die
Hotelzimmer mit den DSK-Orgien schauen konnten, war diese Realityshow aus
dem Gerichtssaal ein voller Publikumserfolg. Nach (fast) einhelliger
Meinung hätte der Hauptdarsteller DSK eine Fortsetzung verdient. Wer ihn
nicht doch lieber vor Gericht sehen will, kann bereits über ein Comeback
als Politiker spekulieren.
21 Feb 2015
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt Frankreich
Prostitution
Dominique Strauss-Kahn
Kolumne Stadtgespräch
Schwerpunkt Frankreich
Prostitution
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