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# taz.de -- Bibliotheksreform: „Die Reform wäre das Ende der ZLB“
> Als Fachlektor kümmerte sich Peter Delin früher um die Auswahl von
> Filmen. Jetzt engagiert sich der Pensionär gegen die vom ZLB-Vorstand
> angestrebte Reform.
Bild: Gehaltvoll: Bücherreihen in der Amerika-Gedenkbibliothek
taz: Herr Delin, am heutigen Montag sind Sie im Kulturausschuss als Experte
zur ZLB-Reform geladen. Sie gelten als erbitterter Kritiker. Was werden Sie
dort vortragen?
Peter Delin: Durch die geplante „Reform“ würde die ZLB zu einer völlig
anderen Bibliothek. Bislang haben die ZLB-Lektoren durchschnittlich 29.000
Bücher pro Jahr selbst ausgewählt. Künftig sollen 24.000 Bücher durch den
externen Bibliotheksdienstleister EKZ geliefert werden.
Die ZLB muss sparen. Scheint es da nicht logisch, die Lektoren, die bislang
selbst die Verlagskataloge durchforsteten, zu entlasten?
Die ZLB leidet nicht unter Personalknappheit! Und nur etwa 20 der gut 300
Mitarbeiter sind mit der professionellen Marktsichtung beschäftigt. Das
sind nicht viele. Aber sie machen den Unterschied.
Warum?
Die Standardauswahl der EKZ ist qualitativ gut, aber zu klein für die ZLB:
16.000 Titel aus 90.000, die auf dem Buchmarkt erscheinen. 9.000
Sachbücher, 3.000 Kinder- und Jugendbücher, der Rest ist Belletristik. Nur
10.500 Titel aus dieser Vorauswahl sind für eine große Bibliothek wie die
ZLB brauchbar. Wenn die „Reform“ durchkommt, wird die ZLB aber die gesamte
Auswahl als Komplettpaket übernehmen müssen. Das ist bislang nur in den
Stadtbibliotheken von Bremen und Hamburg üblich.
Was ist an dem Modell so schlecht?
Unter den ca. 29.000 neuen Büchern im Jahr sind fast keine Doppelexemplare,
man hatte immer rund 26.000 Titel erworben. In Zukunft wird die ZLB 24.000
Bücher von der EKZ bekommen, davon 10.000 Doppelungen. Unterm Strich
bleiben nur 14.000 neue Titel.
Warum ist die Auswahl für kleinere Bibliotheken geeignet, für die ZLB
jedoch unbrauchbar?
Die Zentral-und Landesbibliothek ist die größte öffentliche Bibliothek in
Deutschland. Wir haben in Berlin ein dreistufiges System: Ein Netz von etwa
80 Bezirksbibliotheken, davon 12 Bezirkshauptbibliotheken, die zum Teil
Einzugsbereiche haben wie die Stadt Bochum mit 360.000 Einwohnern. Die ZLB
muss als übergeordnete Bibliothek eines eigenständigen Bundeslandes einen
speziellen Bedarf befriedigen. Der kann durch diese reduzierte Auswahl
nicht bedient werden.
Bibliotheksdirektor Volker Heller bestreitet, dass nach der Reform das
Angebot spürbar kleiner würde.
Die Zahlen belegen: Durch die angestrebte Reform schrumpft die Titelbreite
der Bibliothek auf die Hälfte zusammen. Das akzeptiert das Publikum der ZLB
nicht. Umfragen belegen: 1,2 Millionen Besucher im Jahr schätzen die ZLB
für eine Medienauswahl, die einzigartig in der Stadt ist. Der Erfolg der
Onlinepetition, die bereits mehr als 12.000 Unterzeichner hat, zeigt: Die
Leser wollen sich das nicht kaputt machen lassen. Meine Freundin und ich
verteilen seit sechs Wochen Flugblätter, der Zuspruch ist enorm. Damit soll
das Quorum von 15.000 Unterzeichnern erreicht werden. Dann will der
Initiator der Petition, Eckart Müller, sie dem Stiftungsrat vorlegen.
Heller begründet die Einsparungen mit Geldknappheit. Wenn Sie
Bibliotheksdirektor wären, wo würden Sie sparen?
Ich wäre eigentlich nicht gern Direktor. Wenn, dann würde ich an der Spitze
anfangen und den aufgeblähten Stabsbereich auf Leitungsebene reduzieren.
Damit ließe sich so viel sparen.
Braucht die ZLB wieder eine Bibliothekarin an der Spitze – wie die frühere
Leiterin Claudia Lux?
Unbedingt – Herr Heller setzt als Managementdirektor die falschen
Prioritäten. Er spricht von „Zukunftsfähigkeit“, aber hat keinen Plan für
die digitalen Medien. Da war die ZLB schon mal weiter: E-Learning in der
E-LernBar, Computerkurse für ältere Menschen und Blinde. Das gibt es nicht
mehr.
Im Ausschuss werden Sie dem Verfasser des Reformgutachtens gegenübersitzen.
Auch die Direktorin der Hamburger Bibliothek wird da sein. Hamburg arbeitet
bereits mit dem EKZ-Modell. Glauben Sie, dass Sie Tim Renner als
Vorsitzenden des ZLB-Stiftungsrats umstimmen können?
Wir wünschen uns, dass der Beschluss zurückgenommen wird, weil das
Gutachten, auf dem er beruht, falsch ist und der Bibliothek schadet. Und
wir wollen, dass der Stab der Fachlektoren erhalten bleibt, um die Qualität
zu sichern. Man braucht auch Fachleute, um zu beurteilen, welche Werke
aufgehoben und welche ausgesondert werden.
Die Petition spricht von „Büchervernichtung“. Volker Heller widerspricht
dieser Darstellung: Auch künftig würden keine Bücher vernichtet, sagte er
im taz-Gespräch. Was ist denn nun richtig?
Wir hatten bisher eine Bibliothek, die alle bedeutenden Werke bewahrt. Herr
Heller aber will den Hauptteil der ZLB zu einer Verbrauchsbibliothek so wie
in fast allen deutschen Großstädten umbauen. Jedes Jahr müssen dort genauso
viele Bände aus dem Regal raus wie neu hinzukommen. Archiviert wird nichts.
Was rausmuss, wird verkauft oder in die Papiermühle gegeben. Schon jetzt
wird in der ZLB in großem Stil ausgesondert – seit 2012 Zehntausende
Bücher. Wenn das künftig aber niemand mehr sichtet, dann sind wir auf dem
Weg zur Verbrauchsbibliothek.
Und was würde dann passieren?
Nach fünf, sechs Jahren wird die Bibliothek, wie wir sie kennen, Geschichte
sein. Sie soll auch anders betrieben werden, rein nach
marktwirtschaftlichen Kriterien. Die einzelnen Fachgebiete werden
zueinander in Wettbewerb treten müssen: Wer am meisten Ausleihen hat,
bekommt mehr Geld und mehr Regalplatz. Eine erschreckende Vision.
1 Mar 2015
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Michael Müller
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