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# taz.de -- Wahlkampfauftakt der Grünen: "Natürlich geht es ums Gestalten"
> Die beiden Landeschefs der Grünen über Give-away-Kultur, innerparteiliche
> Kontroversen, Sparneurosen und Ähnlichkeiten mit Werder Bremen.
Bild: Es ist ihr erster Wahlkampf in der Rolle als Parteichef: Henrike Müller …
taz: Frau Müller, Herr Saxe, gehen Sie aufgeregt in Ihren ersten
Landtagswahlkampf als Parteichefs?
Ralph Saxe: Ach, das geht so, wir machen einfach – und dabei vergeht die
Aufregung. Wir versuchen allerdings, einiges anders anzupacken als unsere
VorgängerInnen.
Was denn…?
Ralph Saxe: Zum Beispiel beziehen wir ein Ladenlokal als öffentlich
zugängliches Quartier in der Bischofsnadel-Unterführung. Da kommen täglich
so 10.000 Leute vorbei und da werden wir arbeiten, kommunizieren, Fragen
stellen und beantworten, performen…
…und Aufkleber verteilen?
Henrike Müller: Nein, wir werden diese Give-away-Kultur über Kulis und
Traubenzucker hinaus erweitern.
Also: Auch Taschenlampen und noch mehr Material…?!
Henrike Müller: Nein, eben nicht. Die klassischen Wahlkampfmittel fahren
wir sogar zurück. Uns geht es darum, den Straßenwahlkampf aufzulockern und
aktionenhafter zu gestalten, sodass es zu echtem Kontakt kommt und nicht
der Eindruck vermittelt wird: Hier stehen wir nun, das habt Ihr nun davon.
Das scheint bitter nötig, nach der Lethargie des Vorwahlkampfs.
Henrike Müller: Wahr ist, dass es in der Tat vor allem darum gehen wird, zu
mobilisieren: Es wissen erstaunlich wenig Menschen, dass nach Bundestag und
Europaparlament im dritten Jahr in Folge gleich schon wieder gewählt wird.
Denen müssen wir klarmachen, wie wichtig diese Wahl für Bremen ist.
Außerdem haben viele den Eindruck, es geht eh alles weiter wie bisher.
Ja, tut’s das denn nicht…?! Was macht die Wahl so wichtig?
Henrike Müller: Es geht darum, deutlich zu machen: Wir unterstützen diese
Politik, die für Bremen erfolgreich ist – zumal die Finanzpolitik zur
Sicherung Bremens. Und wenn man das tut, muss man seine fünf Kreuze schon
auch bei den Grünen machen. Man kann nicht einfach zu Hause bleiben und
sagen: Die Opposition findet ohnehin nicht statt, Rot-Grün wird sich schon
irgendwie wieder zusammen ruckeln. Es geht darum, den grünen Kurs
beizubehalten.
Will das die Partei wirklich? Liebäugeln nicht viele mit der
Oppositionsrolle, um nicht ständig in ureigenen Feldern Kürzungen
verantworten zu müssen?
Henrike Müller: Von mangelnder Unterstützung für die Spitzenkandidatin Karo
Linnert und den Sparkurs kann keine Rede sein. Wir nehmen uns aber die
Freiheit, weiterhin über ihn nachzudenken und zu diskutieren: Was es gibt,
ist ein innerparteiliches Ringen – sicher mitunter kontrovers, oft sehr
emotional, aber am Ende absolut konstruktiv – um den besten Umgang mit
unserer Situation.
Ralph Saxe: Es ist ja allen klar, dass wir Finanzprobleme lösen und
verwalten müssen, die wir Grüne nicht verursacht haben. Lange wurde sorglos
gewirtschaftet. Keiner ist glücklich darüber, wenn bei ihm gespart wird,
wenn Dinge wegfallen, die sie oder er für sinnvoll erachtet. Ich glaube
aber: Wenn die Leute wollen, dass Bremen eine Zukunft hat, braucht das Land
eine seriöse Finanzpolitik. Das ist in der Tat eine Schwäche des aktuellen
Wahlkampfs: Selbst darum wird nicht gestritten. Die Opposition findet nicht
statt, sie setzt keine Debatten – was ich bedauere.
Das lässt sich vielleicht von der CDU sagen, aber doch wohl nicht von der
Linken, die im Programm ein Ende der Sparneurose fordern…
Ralph Saxe: Ich würde anerkennen, dass die Linke eine engagierte und oft
auch konstruktive Oppositionspolitik gemacht hat, im Gegensatz zu den
Christdemokraten. Wäre das aber wirklich eine Debatte? Wie man aber in
unserer Lage von einer Sparneurose sprechen kann – das kann ich nicht
nachvollziehen. Wir haben in Bremen pro Kopf mehr als 30.000 Euro Schulden.
Wir erhalten, kontrolliert vom Stabilitätsrat, 300 Millionen Euro jährlich,
um diesen Weg der Konsolidierung zu gehen. Und sich darauf einzulassen –
nennen Sie das neurotisch? Also mir leuchtet die Alternative nicht ein: Das
hieße, auf dieses Geld zu verzichten, alles was sich noch irgendwie
auftreiben lässt zu verpulvern und der kommenden Generation ein Gemeinwesen
hinterlassen, das sich vor Schulden gar nicht mehr rühren kann.
Wäre es ökonomisch nicht sinnvoller, beim aktuellen Niedrigzinsstand
werthaltig zu investieren… ?
Ralph Saxe: Also bei unserer Schuldenlage fände ich das nicht
verantwortlich.
Wobei sich unter dem Primat des Sparens das Inhaltliche schnell darauf
reduziert, zu fragen, wo man nun nicht spart. Wie demotivierend!
Henrike Müller: Man führt Debatten im Wissen darüber, dass kaum etwas da
ist. So weit stimmt’s. Aber es gibt ja unterschiedliche Antworten auf die
Frage, wo stecken wir das wenige, was wir zur Verfügung haben hin. Wir
nutzen es, um nachhaltig die Situation zu verbessern….
Ist das nicht eine total defensive Grundhaltung, die dazu beiträgt, dass
noch weniger Leute wählen gehen?
Henrike Müller: Also, wenn’s nach mir geht, Nein. Ist es nicht.
Ralph Saxe: Was verstehen Sie denn unter defensiv?
Es geht doch bloß darum, zu verhindern, dass etwas kaputt geht – nicht ums
Gestalten!
Ralph Saxe: Nein. Das ist absolut falsch. Natürlich geht es ums Gestalten.
Wir haben ja auch bei nicht gerade üppiger finanzieller Ausstattung unsere
Schwerpunkte gesetzt. Wir haben, auch wenn das nicht überall ausreichend
kommuniziert wurde, mehr ausgegeben für Kinderbetreuung, wir haben mehr
ausgegeben für Bildung, wir haben viel mehr ausgegeben für
Flüchtlingsbetreuung – ein wirklich drängendes Problem, wo unser Bremer Weg
in ganz Deutschland als erfolgreiches Modell beachtet und teils auch
nachgeahmt wird: Was ist das, wenn das nicht Gestalten ist?
Henrike Müller: Ich wünsche mir sehr, dass die BremerInnen unser Ja zur
seriösen Finanzpolitik nicht als, wie Sie sagen, defensive Haltung
missverstehen, sondern als Aufruf, fantasievoll und kreativ mitzuwirken.
Denn mindestens bis 2020 lautet ja die entscheidende Frage, wie kriegen wir
es in unserer Notlage hin, das gut ausgestattete Bremen, so lebenswert, wie
es ist, zu erhalten und für die Zukunft weiterzuentwickeln. Dazu brauchen
wir Fantasie und die Kreativität aller BürgerInnen, denn wir sitzen nicht
auf einem Sack voll Gold, den wir nur hie und da anstechen müssen, und
alles läuft.
Also: Mangel macht kreativ?
Henrike Müller: Ja. Ich kenne das so. Wenn nicht aus dem Vollen geschöpft
werden kann, wundert man sich über so manche neue Lösung.
Ralph Saxe: Man darf auch, bei aller wie auch immer berechtigten Nörgelei
am Standort, nicht aus dem Blick verlieren: Die BremerInnnen identifizieren
sich mit ihrer Stadt in einem Maße, das keine andere große Stadt in
Deutschland erreicht. Das ist so, das ist objektiv messbar, das muss man
einfach zur Kenntnis nehmen. Auch bei den Tourismuszahlen eilen wir von
einem Rekord zum nächsten, es gibt immer mehr Hotels. Die werden ja auch
nicht gebaut, weil der Standort so schlecht ist. Viele Indikatoren sprechen
dafür, dass sowohl die Leute von außerhalb als auch die Einheimischen
Bremen positiv sehen. So würde ich auch gerne in den Wahlkampf reingehen.
Also mit rosa Brille?
Ralph Saxe: Nein, sondern so, wie die Leute dieses Land wirklich erleben.
Denn das ist die Voraussetzung dafür, dass sie sich engagieren. Dieses
Engagement für Bremen, das sehe ich ähnlich wie bei Werder: Als es denen in
der Hinrunde schlecht ging, war das Stadion auch immer voll und die Fans
sind gekommen, um zu zeigen: Jetzt erst recht.
15 Mar 2015
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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