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# taz.de -- Versammlung Bremer Geistheiler-Fans: Audienz beim toten Guru
> Bruno Gröning versprach den Menschen „Hilfe auf geistigem Weg“ bei
> Krankheiten – durch den „Heilstrom“. Auch über 50 Jahre nach seinem Tod
> wirbt ein Freundeskreis in Bremen für seine Lehre.
Bild: Wollen Heilung erfahren: Fans von Bruno Göring.
BREMEN taz | Tatsächlich beginnen die Hände irgendwann zu kribbeln – das
liegt an „kosmischen Kräften“, hatte der Mann im unförmigen Sakko zuvor
gesagt. Genau hier sollen sie gebündelt sein, in diesem kleinen grauen
Konferenzzimmer des Bremer Atlantic Hotels mit Blick auf die leere
Galopprennbahn. Rund 20 Gäste lächeln selig über das Heilgefühl, das
freilich auch vom Blut stammen könnte, das ihnen nach zwei Stunden zurück
in die verdrehten Hände fließt. Man sitzt in der „offenen Haltung“ mit den
Handflächen nach oben – so wie es der Guru seinerzeit empfohlen haben soll.
Auch das hat der Mann im Sakko bei der Einstimmung gesagt. Und sein Wort
muss reichen, denn der Guru selbst, ein Wunderheiler namens Bruno Gröning,
ist schon seit über 50 Jahren tot. Seine Anhängerschaft, der nach Gröning
benannte „Freundeskreis“, versucht gerade in Bremen Fuß zu fassen und
richtet Einführungsveranstaltungen wie diese hier im Akkord aus: Am
Vorabend gab es bereits eine, und wenn hier gegen Mittag alles vorbei ist,
geht es für die Referenten direkt weiter in die nahe Stiftungsresidenz.
Dort warten die Alten auf „Hilfe und Heilung auf geistigem Weg“, wie es in
der Einladung heißt, die derzeit in vielen Bremer Briefkästen steckt.
Die Inhalte seiner Vorträge sind Nebensache, sagt Ulrich Meyding: Hier soll
allein vom Zuhören geheilt, der sogenannte „Heilstrom“ zumindest gefühlt
werden. Es seien auch schon Besucher beim Vortrag eingeschlafen – und haben
„im Schlaf die Heilung erfahren“. Meyding ist Zahnarzt und gehört im
Bruno-Gröning-Freundeskreis zur sogenannten „medizinisch-wissenschaftlichen
Fachgruppe“. Deren selbst gesteckte Aufgabe ist es, die Wunderheilungen zu
dokumentieren und sie, wie Meyding sagt, wissenschaftlich zu beweisen.
Dazu projiziert er ein sogenanntes Tonaudiogramm an die Wand, auf dem die
Schwerhörigkeit einer Frau R. in Abhängigkeit von Frequenz und Lautstärke
dokumentiert ist. Drei Folien später steht dann doch einmal „Roswitha“ in
einer Ecke des unübersichtlichen Arzt-Protokolls. Ohne die Zahlen und
Kurven ist ihre Geschichte schnell erzählt: Sie war seit ihrer
problematischen Geburt schwerhörig, wurde vom Arzt als unheilbar erklärt
und hat dann irgendwann von Bruno Gröning erfahren und sich auf den
Heilstrom eingelassen. Dann ist zunächst jahrelang nichts passiert und
plötzlich über Nacht die Heilung eingetreten. Damit schließt Meyerding die
Beweisaufnahme und blickt ein wenig streng in die andächtig nickende Runde.
Es gibt recht viele Ärzte unter Bruno Grönings Anhängern. Einige schicken
ihre Patienten zu diesen Vorträgen, wo der Heilstrom fließen soll. Für
Meyding gibt es keinen Widerspruch zwischen seinem naturwissenschaftlichen
Hauptberuf und den esoterischen Heilströmen. Besonders unter seinen
Kollegen werde „sehr viel ausgeblendet, was nicht ins medizinische Modell
passt“, sagt er.
## Alles ist heilbar
Kern der Lehre ist das sogenannte Einstellen. Hier dauert das nur wenige
Minuten: die offene Haltung einnehmen, ruhig atmen und nicht mehr an die
Krankheit denken. Helfen soll „eine gute Musik“, die es mitsamt diverser
Bücher, DVDs und Zeitschriften im Online-Shop des gruppeneigenen Verlags zu
kaufen gibt. Dann soll der Heilstrom fließen und sich, wenn man Gröning
darum bittet, auch auf abwesende Dritte übertragen lassen – sogar auf
kranke Wellensittiche oder eingehende Pflanzen. Es gibt für den
Freundeskreis also auch dann noch viel zu tun, wenn die eigene Krankheit
endlich überwunden ist. Aber auch das kann laut Meyding schon mal fünf
Jahre dauern.
So vielfältig wie die Empfänger sind auch die heilbaren Krankheiten. Auch
Sucht gehört dazu. Meyding erzählt von einer jungen Frau, die mit
„Haschisch-Zigaretten“ angefangen und dann die große Drogenkarriere gemacht
habe: LSD-Trips, Kokain, Speed und allerlei Tabletten, die sie mit Alkohol
runtergespült habe. Im Vortrag sei sie berauscht eingeschlafen und
abstinent erwacht – zumindest auf dem Weg dahin. Zu guter Letzt habe ihr
die Bank dann auch noch „einfach so“ die Schulden erlassen. „Davon habe i…
sonst auch noch nie was gehört“, wundert sich selbst Meyding.
Nach Meyding spricht die Heilpraktikerin Brigitte Lasner-Brühler. Sie hat
sich dem Freundeskreis angeschlossen wegen des Elends an den Grenzen des
medizinischen System, weil sie es als Krankenschwester nicht ertragen
konnte, „Kinder sterben zu sehen“. Sie setzt auf den Heilstrom, wo andere
Techniken wie Hypnose, Meditation, Akupunktur oder Homöopathie nicht weiter
kommen. Sie sei mit den verschiedensten alternativen Heiltechniken
vertraut, aber „das hier ist etwas ganz grundsätzlich anderes.“
## Biblische Szenen
Möglich macht‘s Bruno Gröning, der hier von einem DIN-A4-großen
Schwarzweiß-Foto in den Raum starrt. Es wurde etwas schief mit Klebeband an
der Wand befestigt. In den 1950er Jahren war Gröning ein Medienereignis: An
seinen Massenheilungen sollen bis zu 30.000 Menschen teilgenommen haben.
Meyding spricht von „biblischen Szenen“: Von Blinden, die wieder sehen
konnten und Lahmen, die aufstanden und ihre Rollstühle nach Hause schoben.
Noch größere Aufmerksamkeit zogen allerdings die Prozesse gegen Gröning
nach sich: Er soll einer jungen Frau die Heilung ihrer Tuberkulose
versprochen und sie vom Arzt ferngehalten haben. Fahrlässige Tötung und
mehrere Verstöße gegen das Heilpraktikergesetz wurden Gröning vorgeworfen.
Endgültig geklärt wurde das nie, weil Gröning vorher seinem Magenkrebs
erlag.
Damals brachte Der Spiegel einen Nachruf: „Sein Leben war die Antwort auf
die Frage, was die Aufklärung an uns vermocht habe“, heißt es dort: fast
gar nichts nämlich – „das Mittelalter dauert an.“ Heute soll er aus dem
Jenseits wirken. Vor allem wenn über ihn gesprochen wird – auf
Vortragsveranstaltungen wie diesen – und ganz besonders, wenn der
fünfstündige Dokumentarfilm über Grönings Leben läuft. Der Freundeskreis
hat diese Mischung aus Spielfilm, Archivaufnahmen und mehr als 50
Zeitzeugeninterviews produziert. In Bremen wird er bald im „Cinema am
Ostertor“ gezeigt werden, das als Deutschlands ältestes Programmkino gilt.
Derart prestigeträchtige Auftritte gelingen dem Freundeskreis anderswo
nicht. Meist wird er in angemieteten Hotels vom Beamer gezeigt. Diese
Filmvorführungen sind die wichtigsten öffentlichen Auftritte der Gruppe,
die heute nach eigenen Angaben 70.000 Mitglieder zählt.
Auch hier sind sie nicht nur auf dem Podium vertreten. Ein ältere Frau
erhebt sich aus dem Publikum und berichtet von ihrer Heilung: Ihre Hand war
kaputt und ist es jetzt nicht mehr. Der langhaarige junge Mann daneben wird
wenig später vom Miteinander in den Jugendgruppen des Freundeskreises
berichten – und davon, wie der untote Gröning ihm geholfen habe, seine
Unsicherheit bei der Berufswahl zu überwinden. Er wird jetzt Lehrer.
Langsam drängt sich die Frage auf, wer hier eigentlich noch nicht
dazugehört.
## Man muss nur glauben
Zumindest eine Besucherin ist offensichtlich neu: Auf die Frage, ob sie
beim Einstellen etwas gespürt habe, berichtet sie unsicher, dass ihre Hände
kribbeln – „oder?“ Die Heilpraktikerin auf dem Podium lächelt milde.
Richtige Begeisterung ruft hingegen meine Antwort hervor, dass der
erkältete Kopf nach zwei Stunden in der trockenen Hotel-Luft nun erst
richtig verschleimt ist. In den Sitzreihen drehen sich die Geheilten um.
„Erstmal wird es immer schlimmer“, zitiert jemand Meydings Vortrag. Das ist
offenbar eine kleine Sensation – eine Frau aus dem Freundeskreis möchte mir
die Hand geben.
Einige Kirchenvertreter stufen die Gruppe als Sekte ein – wegen des
Personenkults um Gröning und weil Gemeinschaftsmitglieder von ihren
skeptischen Familien entfremdet würden. Zweifler schaden nämlich der
Heilung. Doch soweit sind wir hier noch nicht. Die Redner betonen die
Ehrenamtlichkeit und dass bis hin zum Bezahlen alles freiwillig sei. Wer
dann am Ende Adresse und Telefonnummer hinterlässt, bekommt dafür eine
Broschüre über Grönings Lehre und gesprochene Lektionen auf CD. An der Tür
wünscht man noch „viel Erfolg im Leben“ und verteilt Terminzettel für drei
„weiterführende Vorträge“ – in drei verschiedenen Hotels in den nächst…
Tagen.
29 Mar 2015
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Esoterik
Homöopathie
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