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# taz.de -- RAW-Gelände: Ein bunter Haufen mit großen Sorgen
> Weiter ist unklar, was der neue Investor mit dem Friedrichshainer
> Kulturareal will. Das bereitet den dort Tätigen Bauchweh. Das Vertrauen
> in Partner hat gelitten.
Bild: Künstler auf dem RAW-Gelände - hier Schauplatz einer open-air-Kino-Auff…
Die Zukunft der Kulturschaffenden auf dem RAW-Gelände blickt starr aus
schwarzen Augenhöhlen. Dazu trägt sie ein weißes Gewand mit Kapuze und
einen Rettungsring um den Hals. Diese Zukunft ist der Tod.
Das jedenfalls ist die düstere Dystopie, die die Freunde des Cafés „Küste�…
an einem Sonntag im März auf dem RAW-Gelände präsentieren. Aufgrund
laufender Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem
Konzessionsinhaber ist die „Küste“ seit Anfang Februar geschlossen. Lange
blieben die Betroffenen ruhig. Jetzt jedoch, da mit der Kurth-Gruppe ein
neuer Eigentümer für das Gelände auf den Plan getreten ist, fürchten die
Protestierenden das Ende ihres Lieblingsortes und veranstalten eine
Protestprozession. Andreas, einer von ihnen, führt sie an, als Tod
verkleidet und geschminkt.
Die wenigsten Passanten scheinen zu verstehen, was der bunte Haufen
eigentlich will. Kein Wunder: Das RAW-Gelände bevölkern Touristen, Hipster,
Dealer, Clubbesitzer, Künstler und Weltverbesserer. Manche wollen hier
einfach Spaß haben. Manche wollen mit Konzerten, Bars oder Sportangeboten
Geld verdienen. Und andere wie die Mitglieder des Vereins RAW-Tempel, der
1999 mit der Zwischennutzung des ehemaligen Reichsbahnaufbesserungswerks
begann, sehen den RAW-Tempel bei allen Differenzen eher als gallisches
Dorf, das „Kultur von unten“ durchsetzen und sich gegen Verdrängung und
Profitinteressen schützen muss.
So auch Christoph Casper vom Verein. Er engagiert sich für den Erhalt des
Kulturensembles auf dem Gelände. Einmal wollten er und seine Mitstreiter
alle ansässigen Parteien an einen Tisch bringen, um eine gemeinsame
Perspektive für das RAW-Gelände zu entwickeln. Aber nicht nur die Angst vor
repressiven Maßnahmen der Eigentümer ließ die Gespräche nach anfänglichem
Interesse bald verebben: „Wir waren denen mit unserer Basisdemokratie
vielleicht etwas zu hippiemäßig“, bringt Casper die Heterogenität derer auf
den Punkt, die doch das eine wollen: die Musiker, die hier proben, den
Kinderzirkus, der hier trainiert, all die Leute, die hier töpfern, malen,
filmen und für die Raumnutzung oft nur wenige Euro pro Quadratmeter
bezahlen.
Diese Heterogenität ist die Stärke, aber auch die Schwäche der Kreativen
und sozial Engagierten rund um den Verein, dessen Führung gern mal von der
Basis überstimmt wird. Denn so sympathisch sie sind, so eigenwillig,
zuweilen unberechenbar sind sie auch. So fällt es zum einen schwer, die
gemeinsamen Sorgen auf den Punkt zu bringen und nach außen zu tragen. Zum
anderen macht es den Verein nicht gerade zum Traumpartner für
Geschäftemacher. Das hat viele Mitstreiter in den vergangenen Jahren mürbe
gemacht.
Ob sich das mit dem neuen Investor ändert, ist unklar. Im März trafen sich
die Kurth-Gruppe und der Verein Clof (Creative Lobby of Future), der die
drei denkmalgeschützten Gebäude für den RAW-Tempel betreibt und die
Verhandlungen im Auftrag des Vereins führt, zum ersten Mal. Der Investor
will außer einem vagen Bekenntnis zur Kulturnutzung auf dem RAW-Gelände
noch nichts sagen. Konkrete Angaben zum Verlauf der Gespräche will auch
Clof nicht machen. Ein verhaltener Optimismus klingt dort zwar durch, aber,
so heißt es, man habe ja schon viele Eigentümer tolle Dinge versprechen
hören.
Ein Satz, den man auch bei den Kulturschaffenden auf dem Gelände zu hören
bekommt. Eigentümer kamen und gingen. Vivico Real Estate, RED Development,
BNRE. Wohnungsneubauten drohten, doch die Kulturnutzung blieb bis heute
erhalten. Und doch: Das Vertrauen in Geschäftspartner hat gelitten.
## Fragen bleiben offen
Das spürt man auch beim Verein RAW-Tempel. Wichtige Fragen sind noch immer
unbeantwortet. Bei zwei der drei Häuser, die der Verein noch unter sich
hat, ist gar nicht klar, ob überhaupt noch ein Mietvertrag besteht. Wie
geht es mit ihnen weiter? Wie ist ihr rechtlicher Status? Und will die
Kurth-Gruppe sie selbst entwickeln? Wenn ja, wer kann sich die Mieten dann
noch leisten?
Denn auch wenn die soziokulturelle Nutzung auf dem Gelände bestehen bleibt
– wer garantiert, dass auch die Menschen bleiben können? Die kolportierte
Summe von 20 Millionen Euro, die Kurth für den Großteil des Geländes
hinterlegt haben soll (taz berichtete), macht den Kulturschaffenden Sorgen.
„Der Verwertungsdruck auf die Kulturnutzung wird immer größer“, sagt
Kristine Schütt aus dem Vorstand des Vereins. Die Mieten könnten steigen.
Einigen könnte das zu viel sein. Existenzgrundlagen stehen auf dem Spiel.
Der Verein RAW-Tempel ist bereits insolvent. Dass er einige Maßnahmen an
den Gebäuden selbst zu bezahlen hatte und dabei von den damaligen
Eigentümern im Stich gelassen wurde, hat seinen Teil dazu beigetragen. „Wir
werden uns in Zukunft ökonomischer aufstellen müssen, um dem finanziellen
Druck standzuhalten“, sagt Schütt.
Auch die einzelnen Häuser werden sich mittelfristig noch effizienter
verwalten müssen. Das Beamtenwohnhaus etwa, in dem vor allem bildende
Künste untergebracht sind, klärt seine Angelegenheiten jetzt durch den neu
gegründeten RAW//CC e. V. Auch hier wünscht man sich nichts sehnlicher als
Kontinuität. „Wir hätten gern einmal Ruhe und Planungssicherheit“, sagt
Verena Völkel vom RAW//CC. „Wir fangen immer wieder bei null an.“
Diese Ruhe wird es für die Künstler vielleicht nie geben. Zu wertvoll ist
ihr Raum über die Jahre geworden. Leider, so Schütt. Man sitze eben auf
einer städtebaulichen Sahneschnitte.
16 Apr 2015
## AUTOREN
Matthias Bolsinger
## TAGS
RAW-Gelände
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