# taz.de -- Die Wahrheit: Roter Mohn und 99 Luftballons | |
> Neues aus Neuseeland: Der Anzac Day steht bevor. Erinnert wird an die | |
> Schlacht um Gallipoli im 1. Weltkrieg. Ein nationales Trauma und ein | |
> Riesentamtam. | |
Dass diese Kolumne mir so schwerfällt, liegt wohl daran, dass ich deutsch | |
bin. Da hat man ein etwas gestörtes Verhältnis zu Schützengräben und | |
Marschbefehlen. Dabei juckt es mich jedes Jahr in den Fingern, etwas | |
Unpassendes zum Anzac Day loszulassen – jenem Nationalfeiertag, an dem sich | |
die Schlacht von Gallipoli jährt. | |
Gallipoli ist jedem Kiwi heilig und so geläufig wie unseren Großvätern | |
Stalingrad. Bei dem Gemetzel im Ersten Weltkrieg kamen auf einen Schlag | |
2.721 Neuseeländer im Dienste ihres Kings um – prozentual der größte | |
Aderlass weltweit. | |
Gallipoli ist bis heute nicht nur ein nationales Trauma, sondern auch ein | |
Riesentamtam und daher für Nachkriegsgermanen der zweiten Generation etwas | |
gewöhnungsbedürftig: alle Jahre wieder Paraden, Medaillenschwingen, | |
Heldenreden – das große „Wir“-Gefühl. Dazu Anzac-Kekse, die allerdings | |
lecker sind. Spätestens an diesem Samstag droht allen Antimilitaristen der | |
Overkill: Der hundertjährige Anzac Day steht an. | |
Das Nationalmuseum Te Papa eröffnet eine vierjährige Anzac-Ausstellung. | |
Filmregisseur Peter Jackson ließ die Hobbits links liegen und widmete sich | |
einer gigantischen Armee-Installation. Es gibt öffentliche Lichtshows und | |
frisch enthüllte Denkmäler. Mindestens fünf neue Sachbücher erscheinen zum | |
Thema. Die „New Zealand Dance Company“ tanzt noch bis Mai eine Runde | |
Gallipoli. Garantiert hat jemand einen Song komponiert. | |
Am Flughafen Christchurchs wurden 5.000 Mohnblumen zur Erinnerung | |
gepflanzt. Das Fernsehen hat Dokumentationen und Serien. Maori TV sendet am | |
Anzac Day flächendeckend zum Thema, unter anderem live von der türkischen | |
Halbinsel, wo Tausende von Kiwis ein Ticket zur Teilnahme an der | |
Gedächtnisfeier gewonnen haben. 20 Millionen Dollar verschießt die | |
Regierung allein an Kultur, um den Tag entsprechend zu würdigen. Doch was | |
den ganzen Weltkriegsglamour beinahe trübte, kostet nur ein paar Cents: Es | |
fehlten rote „Poppies“ – aus Papier gebastelte Mohnblüten zum Anstecken, | |
die man als Zeichen der Solidarität für ein paar Münzen auf der Straße | |
kauft. | |
„Weißt du, wo die Blumen sind?“ wäre dafür die passende Untermalung, nic… | |
nur aus pazifistischer Sicht. Denn, Schreck, o Schande, in der vorigen | |
Woche gingen dem Veteranenverband die Mohnblüten aus. Das wäre ein Desaster | |
geworden, fast so peinlich wie die alten WW1-Medaillen, die von der | |
neuseeländischen Armee nicht rechtzeitig zum Trauerjubeltag an die | |
Hinterbliebenen rausgerückt wurden – ein Skandal. Aber zum Glück sprangen | |
die Australier als alte Kameraden ein und schickten Tausende von | |
Ansteckblumen über die Tasmanische See. Obendrein wurde auch noch ein | |
Poppy-Verkäufer im Rollator um ein Haar von Kindern beraubt, aber sein | |
Sammeleimer war klausicher am Tisch befestigt. | |
Und was haben die Deutschen im Lande ausgeheckt? Das Goethe-Institut und | |
die deutsche Botschaft lassen am Freitag in Wellington 99 Luftballons mit | |
Friedensbotschaften von Schülern in die Luft steigen und singen dazu – Nena | |
statt Marlene. | |
23 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Anke Richter | |
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