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# taz.de -- Einsatzmittel Pferd bei der Polizei: Hüa!
> Wenn Flaschen und Raketen fliegen, müssen die Pferde der Münchener
> Polizei die Ruhe bewahren. Ansonsten gut aussehen. Eine
> Einsatzbegleitung.
Bild: Pferd (u.) und Bulle (o.).
MÜNCHEN taz | München-Fröttmaning, Samstag, 11. April. Es ist elf Uhr und
auf einem Parkplatz der Stadtwerke nahe der Allianz-Arena fahren fünf
Polizeitransporter vor. Zehn Polizisten und zehn Pferde steigen aus. Die
Beamten der Münchner Reiterstaffel besprechen ihre Einsatztaktik rund um
das Ligaspiel zwischen dem FC Bayern und Eintracht Frankfurt, Anpfiff ist
15.30 Uhr. Derweil laufen oberhalb des Parkplatzes auf einer
Fußgängerbrücke, die von der Bahnstation zur Esplanade vorm Stadion führt,
die ersten Fans vorbei.
Eltern heben ihre Kinder über die Balustrade, die jauchzen beim Anblick der
Pferde. Zwei Glatzen lehnen an der Brüstung: Einer mit bauchgedehntem
Bayerntrikot, beflockt mit der Nummer 1, Rata; der andere mit mächtigen
Unterarmen, auf dem rechten steht hübsch geschwungen „Hooligan“. Sie häng…
den 1980ern nach, als man noch Dartpfeile auf Polizeipferde warf. „Wir
hatten immer welche in der Tasche“, sagt Rata. Aber auch, dass er das heute
„nicht mehr so machen“ würde.
Junge Frauen laufen vorbei und bedauern ihre Berufswahl beim Anblick der
Reiter. Dann vier junge trunkene Frankfurter mit Fußballerfrisuren. „Scheiß
Pferde, Mann“, sagt einer. Klingt nach Respekt.
Man könnte auch dort oben über die Brücke laufen, herunterschauen und mit
hochgezogenen Brauen sagen: Ja, das Pferd mag im 20. Jahrhundert
Einsatzmittel der Wahl gewesen sein, als die Welt weniger schnell,
unübersichtlich und durchtechnisiert war – aber sieht es heute nicht
verloren aus im Tumult eines Großeinsatzes? Wie auf Zeitreise neben den
Beamten mit Schulterkameras und Aramid-Uniformen, neben einem „Wasserwerfer
10.000“ mit schrägem Dach, auf dem die Molotowcocktails nicht
liegenbleiben? Braucht es das Polizeipferd noch, oder ist es ein unsinniges
Relikt von vorgestern?
## Kollege Pferd
„Wenn man Pferde richtig einsetzt, sind sie unbezahlbar und nicht zu
ersetzen“, sagt Karl Dratva, stellvertretender Ausbildungsleiter der
Reiterstaffel München. Dratva sitzt in seinem Büro im Seitenflügel des
Hufeisenstalls, wo die Reiterstaffel residiert. Ein flaches weißes Gebäude
mit braunen Fensterläden aus Holz, im Norden des Olympia-Reitgeländes in
München-Riem. Karl Dratva ist ein akkurater, anständiger Mann Mitte
dreißig. Er ist für den Kauf von Jungpferden, ihre Ausbildung und die der
Reiter zuständig. Manchmal sagt er „Kollegen“, wenn er von den Pferden
spricht; meint er Pferd und Reiter, sagt er „wir“ oder „uns“.
„Wie soll man uns in großen Menschenmengen, auf Streife in Parks oder bei
Suchaktionen ersetzen?“, fragt Dratva. Die Pferde sind gleichzeitig präsent
und mobil, sympathie- und respekteinflößend. Dazu die Höhe, der gute
Überblick. Das alles könne kein Fahrrad vereinen, kein Auto. Ein Pferd im
Einsatz ist ein Leuchtturm, ein Fels in der Brandung zugleich.
Jetzt ist ein Pferd von Natur aus aber kein Fels. Es ist ein Fluchttier mit
sensiblen Sinnen, das schon beim Rascheln einer Tüte durchgehen kann. Als
Polizeipferde kommen deshalb nur Wallache, also kastrierte Hengste,
infrage. Dratva sagt, weil sie „weniger zickig als Stuten sind und weniger
dominant und impulsiv als Hengste“. Pro Jahr kauft der Ausbilder zwei oder
drei Nachwuchspferde. Die müssen mindestens 1,66 Meter Stockmaß mitbringen,
weniger als 7.000 Euro kosten und charakterlich auffallen, durch Ruhe und
Zutraulichkeit. Wenn andere Pferde flüchten, müssen sie eher mal stehen
bleiben, nachschauen und schnuppern.
Momentan hat die Münchner Reiterstaffel vier Remonten, das heißt junge
Pferde in Ausbildung, die noch keine Einsätze reiten dürfen. Sie trainieren
täglich. Das größte ist fast einsneunzig und dunkelbraun mit schwarzer
Mähne. Es heißt Imperator. Das ist angemessen.
Trainiert werden Dressur, Springreiten und Geländereiten, bergauf, bergab.
Dazu kommen Übungen mit akustischen und optischen Reizen. Auch die älteren
Pferde trainieren regelmäßig. Mit Trommeln, Rasseln und klappernden Dosen;
mit bunten Tüchern auf dem Boden, springenden Gymnastikbällen und
Feuerwerk, bald auch mit einer Nebelmaschine.
## Fußballfans im Blick
11. April, 12 Uhr. Der Einsatz der Reiterstaffel am Stadion beginnt. Drei
Braune, drei Füchse, zwei Rappen und zwei Schimmel: Zehn sehr große Pferde,
die vom Parkplatz reiten. Die halbe Fußgängerbrücke bleibt stehen, um zu
fotografieren.
Auf der Esplanade vor der Arena reihen sich die Pferde für fünf Minuten
auf, zwei Chinesen nutzen den Moment und posieren. Daumen hoch.
Dann teilt die Staffel sich auf. Sechs reiten auf die Nordseite des
Stadions, wo die Frankfurter auf einem Busparkplatz ankommen. Vier bleiben
im Süden, um die Münchner Schickeria im Auge zu behalten, eine Gruppe von
Bayern-Fans, die je nach Perspektive besonders enthusiastisch oder
kombattant sind. Die Schickeria liegt auf einem Hügel und trinkt Bier. 250,
300 Männer unter 30 mit schwarzen Kapuzen- oder Trainingsjacken, dazu oft
kurze Hosen und auch: Fußballerfrisuren, die Seiten schön kurz. Heute
lassen sie sich ruhig zum Stadion eskortieren. Auch die Frankfurter auf der
anderen Seite bleiben unter Kontrolle, was am schönen Wetter liegen mag
oder an der Polizeitaktik. Ein mobiler Zaun hält die Fans im Norden
auseinander.
Es ist meistens, aber nicht immer so friedlich wie heute. Noch am
Ostermontag beim Münchener Stadtderby zwischen den zweiten Mannschaften des
FC Bayern und 1860 flogen Flaschen, Raketen und Böller auf die
Polizeipferde. Die aber blieben ruhig und unverletzt – und konnten
Schlägereien verhindern.
## Pferde als Zielobjekt
In den sechs anderen Bundesländern, die sich noch Pferdestaffeln leisten
oder leisten können, gab es in den letzten Monaten einige Übergriffe. Im
Dezember haben Bremer Fans Pferde getreten, Anfang März verletzte ein
geworfener Mülleimer ein Pferd vor dem Spiel zwischen Stuttgart und Berlin.
In England versetzte ein Mann aus Newcastle 2013 einem Polizeipferd gar
einen Aufwärtshaken. Das Pferd blieb ungerührt und unversehrt, der Schläger
musste für ein Jahr ins Gefängnis.
Ein Risiko beim Einsatz von Polizeipferden ist, dass sich solche
Extremsituationen kaum trainieren lassen. Und wenn der Reiter in einer
Menschenmenge die Kontrolle über das Pferd verliert, kann das für alle
Beteiligten lebensgefährlich werden.
Wieder 11. April, 15.30 Uhr. Das Spiel hat begonnen, Halbzeit für die
Reiterstaffel. Wobei das nicht ganz stimmt – meist sind es drei Stunden
Einsatz vor dem Spiel und eine bis anderthalb danach. Pferde und Reiter
erholen sich auf einem Parkplatz.
Die Reiterin Katrin Baumgärtner sagt, beim heutigen Einsatz nerve nur das
Übliche: Männer, die den Pferden hinterherwiehern, Männer, die „Hüa, hüa…
rufen. Die blonde Frau ist seit acht Jahren bei der Staffel und redet
fröhlich von den Tieren, die in ihren Transportern stehen und gierig Heu
fressen. Drei Stunden ohne Futter sind für die Pferde kein Zuckerschlecken,
denn ihre Mägen sind klein. Eigentlich sind sie Dauerfresser.
An Tagen wie diesem ist die polizeiliche Reiterei ein Traumjob, sagt
Baumgärtner, „so abwechslungsreich und ständig an der frischen Luft“. Es
ist nicht zu kalt und nicht zu heiß. Wenn an sengenden Sommertagen das
Pferd von unten und der schwarze Helm von oben heizen, ist es sicher
schwieriger. Außer dem Wetter sind heute auch die Menschen wohlgestimmt.
Und die Pferde sehen gut aus, so als vierbeinige, reichweitenstarke
Polizei-PR.
Reiter werden kann übrigens jeder ordentliche Polizist, der drei Jahre im
Dienst und sportlich ist. Reiten muss man nicht zwingend können – das
bringt Karl Dratva den Aspiranten bei. Der Frauenanteil ist wohl der
höchste aller bayerischen Polizeiabteilungen, mit steigender Tendenz. Auf
20 Reiter kommen 15 Reiterinnen, vor fünf Jahren noch waren es sechs.
Nach dem Spiel um 18 Uhr, als die Reiterstaffel die friedlichen Frankfurter
nach dem 0:3 ihrer Mannschaft zum Busparkplatz begleitet hat, bleibt ein
wankender Bayernfan vor Uriel stehen, dem Pferd, auf dem Katrin Baumgärtner
sitzt. Der Mann sieht nicht aus wie ein klassischer Polizeifreund, auf
seinem Pullover steht „Euer Hass ist unser Stolz“. Er streichelt das Pferd
und resümiert: „Schönes Ding“. Man wünscht sich einen guten Abend.
„Manchmal“, sagt Baumgärtner als sie in den Feierabend reitet, „scheinen
die Leute, wenn sie vorm Pferd stehen, zu vergessen, dass da ein Bulle
draufsitzt.“
26 Apr 2015
## AUTOREN
Christof Farkas
## TAGS
Pferde
Polizei
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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