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# taz.de -- Dave Eggers' neuer Roman: Vom Zorn junger Männer
> Dave Eggers' Roman „Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie
> ewig?“ besteht nur aus Dialogen und provoziert mit Fragen.
Bild: Der Autor verschleppt sechs Personen in eine Hütte im Nirgendwo.
Was ist eigentlich die edelste Aufgabe der Literatur? Das Gute, Wahre,
Schöne zu besingen? Zu unterhalten? Den Menschen besser zu machen? Im
saturierten Deutschland ist das Zeitalter der engagierten Literatur eher
vorbei, während es jenseits des Atlantiks durchaus nicht als anstößig gilt,
politische und gesellschaftliche Zeitfragen auch mal in sehr expliziter
Weise zum Gegenstand eines literarischen Textes zu machen.
Dave Eggers ist einer der produktivsten Protagonisten dieser
US-amerikanischen engagierten Literatur und in seiner Heimat schon lange
eine sehr etablierte Größe. Hierzulande dagegen wurde er erst im
vergangenen Jahr so richtig bekannt, man könnte auch fast sagen: berühmt
und berüchtigt, durch den Roman „Der Circle“, eine Dystopie der Google- und
Facebook-Gesellschaft, die unter der deutschsprachigen Kritikerschaft
umstritten war und heiß diskutiert wurde.
Eggers’ neuestes Werk „Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben
sie ewig?“ ist trotz seines raumgreifenden Titels schmaler in der Anmutung,
schroffer in der Ansprache und geradezu asketisch in der Umsetzung. Einen
Roman kann man es, rein formal betrachtet, gar nicht nennen, da es von
vorne bis hinten aus Dialogen besteht, ohne eine einzige Zeile narrativen
Texts. Nicht einmal Regieanweisungen gibt es. Die Narration findet
ausschließlich im Kopf des Lesers statt; der Autor führt lediglich vor, was
passiert.
Nämlich Folgendes: Ein junger Mann um die Dreißig, ein weißer Amerikaner
namens Thomas, entführt nacheinander sechs Personen, die in seinem Leben
eine Rolle gespielt haben, und hält sie getrennt voneinander in den
leerstehenden Baracken eines ehemaligen Militärgeländes gefangen. Da ist
der Astronaut, einst ein großes Vorbild für Thomas, der ins Weltall fliegen
wollte, sich aber jetzt mit anderen Plänen bescheidet, da die USA ihr
Weltraumprogramm abgewickelt haben. Dann: der ehemalige Lehrer mit
pädophilen Neigungen.
Thomas’ Mutter, die ihn als Kind vernachlässigt hat. Ein
Kongressabgeordneter, der nicht die Politik macht, die Thomas sich wünscht,
eine Krankenhausangestellte, die in einer Krisensituation der Pflicht
gehorchte, wo Menschlichkeit angebracht gewesen wäre. Und schließlich sogar
eine ganz zufällig aufgegabelte junge Tierärztin, die Thomas während der
Entführungsaffäre am Strand kennenlernt und die nicht in erwünschter Weise
auf seine kruden Annäherungsversuche reagiert.
## Mit moralischer Dringlichkeit
Mit all diesen Personen führt Thomas anklagende Dialoge, in denen er ihnen
ihre Vergehen vorhält, während sie sich rechtfertigen. Im Zusammenhang
aller Gespräche werden die Hintergründe seiner extremen Tat aufgedröselt.
Stückweise setzt sich das lückenhafte Portrait eines Menschen zusammen, der
vom Leben zutiefst verunsichert ist und seinen Platz in der Gesellschaft
nie gefunden hat. Die Schuld daran tragen aus seiner Sicht alle anderen.
Seine Gesprächspartner dagegen, schon durch die Situation zu einer
kompromissbereiten Gesprächshaltung gezwungen, zeigen sich als Menschen,
die zwar gefehlt oder versagt haben mögen, aber durchaus in der Lage sind,
eigene Fehler zu erkennen und auch zwischen eigenem Versagen und äußeren
Zwängen zu unterscheiden.
Wenn man versucht, diesen Nicht-Roman zu lesen als einen Roman, bei dem der
Leser sich auf ganz altmodische Weise mit der Hauptfigur identifiziert,
oder in dem der Protagonist gleichsam als Sprachrohr seines Autors
fungiert, muss man schnell an Grenzen stoßen. Die Gefahr dazu besteht
natürlich. Die leichte Lesbarkeit des Eggers-Sounds und das stilistisch
Ungekünstelte dieser Prosa können dazu verführen, auch inhaltlich die
bequemste Haltung ein- und anzunehmen. Gerade in Bezug auf Perspektive sind
Eggers’ Texte aber oft sehr viel komplexer, als durch ihre oberflächlich
leichte Rezipierbarkeit suggeriert werden mag.
In diesem Fall gibt der Autor selbst von vornherein die größtmögliche
Hilfestellung dabei, den Automatismus einer lesenden Identifizierung mit
der Hauptfigur zu vermeiden, indem er auf erzählenden Text verzichtet, das
Element Perspektive also aus der Textoberfläche eliminiert. Und auch wenn
Thomas in manchen Dingen recht haben mag – ja, in der amerikanischen
Politik liegt manches im Argen, und ja, viele Erwachsene leiden massiv
unter Nachwirkungen von Kindheitstraumata –, und auch wenn seine
Verzweiflung angesichts mancher Dinge verständlich ist, so macht der Autor
schon durch den kriminellen Extremismus von Thomas’ Tat unmissverständlich
klar, dass es sich hier mitnichten um eine Person handelt, in deren Kopf
man wohnen möchte.
Natürlich ist „Eure Väter, wo sind sie?“ ein moralisch engagierter Text.
Aber eben keiner, der mit prophetenhafter Gewissheit oder missionarischem
Anspruch auftritt, sondern einer, der mit einer gewissen Dringlichkeit die
Frage nach der individuellen Verantwortung des Menschen stellt. Das
eigentlich Unbefriedigende an diesem sogenannten Roman, der seine
Konstruiertheit auch noch so offensiv ausstellt, liegt wahrscheinlich
darin, dass er keine Antworten gibt. Schuld auf sich geladen haben im
Prinzip alle auftretenden Personen – abgesehen von der Tierärztin. Die
größte Schuld allerdings trägt Thomas selbst, der sich unberufen zum
Ankläger aller anderen aufschwingt, mit seiner destruktiven Tat die
Gesellschaft aber keineswegs besser macht.
Die existenziellen Fragen, die dieses Buch aufwirft, bleiben auch nach dem
offenen, aber absehbaren Ende unbeantwortet und sperrig stehen. Das ist
durchaus provokant; und als Leser hat man dann natürlich auch das Recht,
sich provoziert zu fühlen. Bestimmt liegt das ganz im Sinne des Autors.
17 May 2015
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Väter
Astronaut
Tierarzt
Buch
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