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# taz.de -- Ex-Olympiasieger über Sportsoldaten: "Fast schon Militärfestspiel…
> Dass die Bundeswehr immer mehr Spitzensportler beheimatet, schadet dem
> Sport wie den Sportlern, meint der Olympiasieger von 1988 und heutige
> Hochschullehrer Wolfgang Maennig.
Bild: Auch Sportsoldat und Eiskunstläufer Stefan Lindemann ist in Vancouver da…
taz: Herr Maennig, am Freitag beginnen die Winterspiele in Vancouver, ein
Großteil der deutschen Sportler ist Mitglied der Bundeswehr.
Wolfgang Maennig: Diese Entwicklung behagt mir nicht. In der alten
Bundesrepublik haben wir vor dem Mauerfall gewettert gegen den Ostblock und
den dortigen "Staatsamateur", also den Sportler, der keine Ausbildung
macht, keinem Beruf nachgeht, sondern für viele Jahre beim Militär
angestellt ist, in Wirklichkeit aber ausschließlich Spitzensport betreibt.
Das war nicht unser Idealbild vom mündigen, ganzheitlich entwickelten
Athleten. Wir wollten, dass auch andere Talente der Sportler entdeckt und
entwickelt werden.
Andere Nationen haben doch auch Sportsoldaten?
Das macht es nicht besser. Weil andere Nationen Ähnliches tun, haben wir es
im Grunde in Vancouver schon fast mit Militärfestspielen zu tun. Der Sport
kämpft sonst immer um seine Autonomie. Ausgerechnet bei der Krone des
Sportes, den Olympischen Spielen, besteht ein großer Teil der Athleten der
Welt aus Soldaten - stärker kann die Abhängigkeit des Sportes vom Staat
kaum symbolisiert werden.
Der Erfolg heiligt die Mittel?
Nein, im Übrigen verweisen andere Nationen gerne auf die vielen
Sportsoldaten in Deutschland, um in ihren Ländern mehr Sportsoldatenplätze
zu erhalten. Wir Deutschen sind keineswegs die nachlaufenden Opfer in
diesem Rattenrennen um mehr Sportsoldaten.
Sportsoldaten sind immerhin finanziell gut abgesichert. Sie können in Ruhe
trainieren.
Ich gönne den Sportlern das Geld, und sie bekommen für ihre Leistung meines
Erachtens auch nicht zu viel. Natürlich könnte man bei dem einen oder
anderen Sportsoldaten, der kräftige Werbeeinnahmen hat, auch fragen, ob
eine zusätzliche staatliche Subvention via Bundeswehr noch sinnvoll ist,
aber dies ist nicht das wesentliche Problem. Ich denke, dass eine
Gesellschaft wie Deutschland ihre Spitzensportler durchaus stärker als
bisher unterstützen sollte, beispielsweise über die Wirtschaft, die Vereine
und Förderinstitutionen wie der Sporthilfe. Jegliche Unterstützung sollte
die Athletinnen aber nicht von dem Bewusstsein abbringen, dass sie schon
während des Sportes das Recht und die Pflicht haben, sich für die Zeit
danach aus- und weiterzubilden.
Sollte es in der Bundeswehr für Sportsoldaten einen Zwang zur Bildung
geben?
Noch mal, ich rede von denjenigen Sportlern, die sich für viele Jahre
verpflichten. Diese stehen zu oft nach vielen Jahren Bundeswehr und
Spitzensport vor dem beruflichen Nichts. Einige unserer Sport-Idole betteln
nach ihrer Sportsoldatenzeit um einen Job als Fahrer bei einem Minister
oder Ähnliches. Wenn der Übergang in das normale Leben trotz aller im Sport
entwickelten Tugenden nicht klappt, ist dies nicht nur ein mentales oder
materielles Problem für die einzelnen betroffenen AthletInnen, sondern
zumindest mittelfristig für den gesamten Sport. Wenn sich das Bild festigt,
dass Sportler anschließend kaum angemessene gesellschaftliche
Partizipationsmöglichkeiten haben, werden sich Jugendliche vom Sport
abwenden.
Handelt es sich nicht um eine freie Entscheidung des Sportlers, was er
zusätzlich zum Sport machen will?
Erstens ist die Entscheidung nicht so ganz freiwillig. Und zweitens schadet
sie dem Sport, auch dem Erfolg im Spitzensport.
Was macht die Bundeswehr konkret falsch?
Es mag durchaus vorbildliche Fälle geben, wo sich Sportsoldaten
weiterbilden. Aber es fehlt ein systematisches Bildungskonzept der
Bundeswehr mit Ausbildungspflicht für Sportsoldaten. Um es klar zu sagen:
Vielen Sportsoldaten dürfte es gefallen, dass sie außer dem Training keine
Verpflichtungen haben. Die Bundeswehr müsste vielleicht sogar mit
Widerstand rechnen, wenn sie ihre Sportsoldaten systematisch zu Aus- und
Weiterbildungsanstrengungen anhalten würde.
Die Bundeswehr dient also als Ruhekissen für weniger bildungshungrige
Athleten?
Die Sportförderplätze der Bundeswehr sind begehrt. Nur die Sportler, die in
ihren Juniorenjahren zu den erfolgreichsten gehörten, erhalten sie.
Insofern rekrutiert die Bundeswehr sogar erst einmal besonders talentierte
und motivierte Sportler. Aber sie lullen sich während ihrer langen
Bundeswehrjahre ein. Auch die trainingsintensivsten Sportarten füllen nicht
den ganzen Tag. Skatspiel und Fernsehen nehmen einen zu großen Teil des
Tages ein. Die Langeweile überträgt sich mittelfristig auch auf das
Training - mit dem Effekt, dass sich einige Sportler bei der Bundeswehr
sportlich schlechter entwickeln, als sie dies ohne Bundeswehr tun könnten.
Aber die Sportsoldaten gewinnen doch regelmäßig mehr Medaillen als die
anderen Spitzensportler?
Der Vergleich hinkt, ist meines Erachtens sogar irreführend. Richtig ist
nicht der simple Vergleich der Medaillenausbeute, richtig wäre der
Vergleich der sportlichen Werdegänge der Sportsoldaten mit denjenigen der
anderen Sportler. Eine empirische Analyse könnte unter Umständen aufzeigen,
dass Sportsoldaten sich sportlich weniger gut entwickeln als die anderen
Sportler. Mit anderen Worten: Insbesondere in den lang dienenden Fällen
würden sich einige sportlich besser entwickeln, wenn sie sich nicht bei der
Bundeswehr auf die Perfektion einer einzigen Leistungsdimension, den Sport,
konzentrieren würden. Durch die eindimensionale Verengung des
Sportleralltags können auch Medaillen verloren gehen. Dies ist der erste,
direkte spitzensportliche Schaden des jetzigen Systems.
Manche Athleten sprechen hinter vorgehaltener Hand von einem Prozess der
Verdummung, der auf alle Bereiche des Sports übergreift. Trifft das Ihrer
Meinung nach zu?
Jedenfalls kommt es zurzeit bei zu vielen AthletInnen nicht zur
altersgerechten Weiterentwicklung. Zunächst ist das nur bei den direkt
betroffenen Sportsoldaten so. Aber mittel- bis langfristig gibt es einen
anderen Effekt, der viel wichtiger ist: Für die Bundestrainer sind die
Sportsoldaten immer gut verfügbar. Von berufstätigen Sportlern oder
Studierenden kommt bei solchen Planungen stets Widerstand. Für die
Bundestrainer, insbesondere bei Mannschaftssportarten, ist es dann bequemer
- und vielleicht kurzfristig sogar erfolgreicher -, auf die allzeit
bereitstehenden Sportsoldaten zurückzugreifen, im Zweifel sogar den
sportlich besseren Nicht-Soldaten außen vor zu lassen.
Mit welchen Folgen?
Mittelfristig begünstigt dies eine Verdrängung und Ausgrenzung des
Talentepools der Berufstätigen und Bildungsaffinen aus dem Spitzensport.
Die spitzensportliche Basis und damit der Erfolg schrumpfen langfristig.
Hart formuliert: Ein System, welches signalisiert, dass man, um sportlichen
Erfolg zu haben, Sportsoldat werden muss, wird langfristig denkende,
bildungsaffine Jugendmilieus zukünftig vom Spitzensport abhalten. Das
heutige Signal heißt tendenziell: Entweder du wirst Sportsoldat, oder du
hast keine Chance im Sport. Und wenn du dann Sportsoldat bist, gehe keiner
Ausbildung nach. Der Bundestrainer leitet aus deinem Soldatenstatus die
ständige Verfügbarkeit ab.
Versteckt sich bei Ihnen dahinter nicht ein akademischer Dünkel?
Nein, überhaupt nicht, nicht-akademische Ausbildungsberufe sind sehr
wichtig. Mir ist bewusst, dass das vor der Wende geltende westdeutsche
System durchaus eine Verzerrung zugunsten von studierenden Sportlern
beinhaltete. Nur sie - und einige wenige, die von Firmen für das Training
freigestellt wurden - konnten sich den Trainingsaufwand leisten. Andere,
die ihren Lebensunterhalt normal finanzieren mussten, hatten kaum eine
Chance. Dazu gehörten sicher auch bildungsferne Milieus. Aber insofern nun
zu denken, dass die jetzige Entwicklung doch nur eine historisch
ausgleichende Gerechtigkeit sei, bedeutet eine neue Diskriminierung. Der
Spitzensport soll allen Milieus offen stehen.
Aber es gibt doch den Berufsförderungsdienst der Bundeswehr?
Ja, damit können alle ehemaligen Soldaten, nicht nur Sportsoldaten, nach
ihrem Dienst für einige Zeit und mit finanzieller Unterstützung der
Bundeswehr einer Ausbildung nachgehen. Grundsätzlich ist dies sinnvoll.
Aber es hilft nicht, den mittelfristigen Verdrängungswettbewerb zu Lasten
der Nicht-Sportsoldaten zu beenden. Der ist aber meines Erachtens der
problematischste Effekt. Anerkennenswert ist, dass die Bundeswehr nunmehr
ihren Sportsoldaten erlauben will, an einer Präsenz-Uni zu studieren.
Richtig gut wird es aber erst, wenn die Bundeswehr ihre Sportsoldaten
auffordert, eine Aus- und Weiterbildung zu betreiben.
Kann es sein, dass Sie die Bundeswehr nicht mögen?
Nein, meine Auffassungen haben hier nichts mit einer grundsätzlichen Kritik
an der Bundeswehr zu tun, es geht mir ausschließlich um den Sport, genauer:
die jetzigen und zukünftigen Sportlergenerationen.
Sie fordern, dass die Sporthilfe die Finanzierung der Sportler, auch der
bisherigen Sportsoldaten, übernehmen solle. Aber die hat kaum das Geld
dafür.
Die Sporthilfe hat zu wenig Geld, aber es ist doch die Frage, weshalb der
Staat seine finanzielle Unterstützung über die Bundeswehr in den
Spitzensport fließen lässt, anstatt das Geld erfahrenen Institutionen
zweckgebunden zu geben. Wenn es aus haushälterischen Gründen nicht möglich
ist, dann muss das jetzige System aber so geändert werden, dass die
genannten problematischen Entwicklungen verhindert werden.
Wie sieht Ihre Lösung des Problems aus?
Zunächst hat die Bundeswehr die Pflicht, ihre Sportsoldaten, die sie
teilweise 12 Jahre in ihrer Obhut hat, so auszubilden, dass sie
anschließend im Leben gut bestehen können. Die Bundeswehr muss ihre
Soldaten fordern - übrigens auch für ihr eigenes Image.
Ihr Image?
Ich denke, es ist durchaus problematisch, wenn unsere Olympioniken bei den
Siegerehrungen, teilweise gar bei den Wettkämpfen, ihre Uniform tragen oder
wenn bei den Siegerehrungen das Bundeswehrsymbol auf der Trainingsjacke
prangt. Abgesehen vom allgemeinen Werbeverbot bei Olympischen Spielen und
vom eingangs angesprochenen problematischen Signaleffekt
"Militärfestspiele": Die Athleten vertreten unser Land und unsere
Gesellschaft, nicht die Bundeswehr.
6 Feb 2010
## AUTOREN
Markus Völker
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Die Sporthilfe will die Spitzensportförderung zum nationalen Projekt
machen. Jeder Einzelne ist aufgerufen, mit kleinem Geld seinen Beitrag zu
leisten.
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