# taz.de -- Bloggerin über Islamophobie in Deutschland: "Seit dem Mord reden w… | |
> Nach der Bluttat an Marwa el Sherbini in Dresden tauschen sich | |
> Kopftuchträgerinnen mehr über ihre Diskriminierung im Alltag aus, sagt | |
> die Autorin Kübra Yücel. Die CDU ist für sie nicht mehr wählbar. | |
Bild: 17. Juli 2009, Berlin: Gruppen aus dem Umfeld von Muslimbruderschaft und … | |
taz: Die öffentliche Debatte über den Mord an Marwa ist fast verstummt. | |
Spielt das Ereignis für kopftuchtragende Frauen noch eine Rolle? | |
Kübra Yücel: Auch wenn man über den Fall von Marwa kaum mehr spricht, ist | |
das Thema innerhalb der muslimischen Gemeinde immer noch präsent. Es ist | |
viel geschehen: Wir sind uns durch diesen Mord bewusst geworden, dass die | |
Diskriminierungen, die wir erfahren, keine Ausnahmen sind. Es gibt | |
mittlerweile zu viele Ausnahmen. Seit dem Mord an Marwa reden wir offener | |
über unsere Diskriminierungserfahrungen und tauschen uns aus. | |
Was widerfährt Ihnen explizit? | |
Meine erste Erfahrung hatte ich mit 14. Ich wurde mit meiner Schwester | |
zusammen in der U-Bahn von einer Frau gefragt, warum ich denn ein Kopftuch | |
trüge. Sie wollte aber gar nicht, dass ich antworte. Sie hat einfach ihren | |
Frust herausgelassen. Dann habe ich lange Zeit keine Diskriminierung | |
erfahren. | |
Aber später fing es wieder an? | |
Ja. In den letzten zwei Jahren habe ich immer häufiger das Gefühl, | |
diskriminiert zu werden. Ich wurde in Stadtteilen von Hamburg, wo man kein | |
rechtsextremes, islamophobes Gedankengut zu finden glaubt, diskriminiert. | |
Akademisch gebildete Menschen beschimpften mich als „Schleiereule.“ Ich | |
habe des Öfteren hören müssen: „Guck mal, jetzt laufen sie hier schon 'rum | |
mit dem Kopftuch.“ Einmal hat ein wohlhabend aussehender älterer Mannmeine | |
Freundin in einem noblen Einkaufszentrum in Hamburg wegen ihres Kopftuchs | |
beleidigt. Er sagte: „Du bist so hässlich. Du bist so hässlich!“ | |
Wie wehren Sie sich gegen solche Beschimpfungen? | |
Wenn mir so etwas passiert, bin ich zunächst schockiert. Ich habe ein sehr | |
positives Menschenbild und kann es oft nicht glauben, dass Menschen so | |
denken können. Dann bin ich erstmal sprachlos und weiß nicht, wie man | |
angemessen reagieren kann. Das einzige, was mir einfällt, wäre „Nazi“ zu | |
rufen. Aber damit würde ich mich mit denen auf eine Stufe begeben. | |
Warum begannen kopftuchtragende Frauen in Deutschland erst nach diesem Mord | |
über Diskriminierung zu sprechen? | |
Es gab schon direkt nach dem 11. September Versuche zu reagieren. Speziell | |
auf Artikel, die den Islam ausschließlich in den Kontext von Terror | |
setzten. Dagegen haben wir uns gewehrt. | |
Wie haben Sie sich dagegen gewehrt? | |
In der Schule zum Beispiel. Ich habe mit dem Lehrer darüber diskutiert, | |
dass diese Artikel etwas grundsätzlich Negatives haben. Aber ich war damals | |
sehr jung und konnte nicht wissenschaftlich beweisen, dass dieses Wort eine | |
negative Konnotation hat oder jener Zusammenhang falsch ist. | |
Wie haben die LehrerInnen reagiert? | |
Mir wurde oft gesagt, ich sei doch Muslimin. Da sei es klar, dass ich mich | |
angegriffen fühle. Wenn Muslime sich gegen diese Berichterstattung gewehrt | |
haben, wurden sie nicht ernst genommen. Ihnen wurde der Eindruck | |
vermittelt, es sei alles nur Einbildung. Das habe ich mir dann irgendwann | |
auch eingeredet. Als Journalistin habe ich daher anfangs Themen, die mit | |
dem Islam zu tun hatten, gemieden. Ich hatte das Gefühl, als Muslimin nicht | |
über den Islam berichten zu können, weil ich angeblich nicht neutral | |
berichten kann. | |
Was hat Ihre Meinung geändert? | |
Der Mord hat dann gezeigt, dass eine Grenze überschritten worden ist. Wenn | |
eine schwangere Jüdin im Gerichtssaal von einem Antisemiten erstochen, ihr | |
Mann dabei verletzt und – wenn auch versehentlich – von einem Polizisten | |
angeschossen worden wäre, ihr drei jähriges Kind daneben säße und das | |
mitgekriegt hätte, dann hätte es in der Gesellschaft eine unglaubliche | |
Empörung ausgelöst. Aber genau diese Empörung gab es bei Marwas Fall nicht. | |
Das Fehlen dieser Empörung macht deutlich, dass die Islamophobie in der | |
Mitte der Gesellschaft angekommen ist. | |
Und wie soll sich das ändern? | |
Ich habe mit meinen Freundinnen sehr viel darüber diskutiert, wie wir dafür | |
sorgen können, dass der Islam in den Medien angemessen dargestellt wird. | |
Zunächst müssen Muslime als gleichberechtigte Gesprächspartner anerkannt | |
werden. Bisher war es so: Wenn ein Muslim sich - auch in akademischen | |
Kreisen - zu islamischen Themen äußerte, so wurde er nicht als eine | |
akademische Person, sondern als Muslim wahrgenommen. Man muss Muslime, wenn | |
sie sich als akademische Personen äußern, auch als solche wahrnehmen. | |
Wenn man als Muslim über den Islam forscht, ist es dann überhaupt möglich, | |
die muslimische Identität vom wissenschaftlichen Anliegen zu trennen? | |
Das kann man selbstverständlich nicht trennen. Das ist aber in allen | |
Wissenschaften so. Wenn sich eine Frau zu feministischen oder ein Christ zu | |
christlichen Themen äußert, sind sie natürlich nicht neutral. Sie werden | |
aber trotzdem als gleichberechtigte Partner wahrgenommen und akzeptiert. | |
Genau das fehlt bisher – auch in akademischen Kreisen - in der Diskussion | |
mit Muslimen. | |
Was sollte künftig anders laufen? | |
Die Gesellschaft muss sich empören; sie muss die Tat sanktionieren - nicht | |
nur durch Gefängnisse und durch rechtliche Regelungen -, sondern auch indem | |
sie sagt: „Oh mein Gott! Wie konnte so etwas geschehen?“ Die Gesellschaft | |
muss feststellen, dass dieser Mord an Marwa nicht irgendein Mord gewesen | |
ist, sondern ein Mord mit einer sehr hohen symbolischen Bedeutung. | |
Wird die Debatte um Marwa einen Einfluss auf das Wahlverhalten der | |
muslimischen Deutschen haben? | |
Viele sind sehr enttäuscht. Ich bin mir deshalb sicher, dass es einen | |
Einfluss haben wird und finde, dass sollte auch so sein. Dass es unsere | |
Bundeskanzlerin noch immer nicht geschafft hat, ihre Empörung oder ihren | |
Beileid gegenüber den hier lebenden Muslimen auszusprechen, zeigt, welche | |
Wähler ihr wichtig sind und welche nicht. | |
Ist die CDU für deutsche Kopftuchträgerinnen noch wählbar? | |
Nein. Wenn das nicht schon durch die Politik, die die CDU vorher betrieben | |
hat, deutlich war, dann spätestens jetzt. | |
Glauben Sie, das Deutschland insgesamt islamfeindlich ist? | |
Nein, auf gar keinen Fall. Es muss aber deutlich werden, dass Islamophobie | |
genauso schlimm ist wie Antisemitismus. Hierfür bedarf es einer | |
gesellschaftlichen Diskussion. Viele sind sich ja nicht mal bewusst, dass | |
sie islamophob denken, weil in den Medien oftmals mit einer negativen | |
Konnotation berichtet wird. | |
Kritiker sagen: Wenn in Deutschland ein so genannter Ehrenmord passiert, | |
regen sich die Muslime nicht auf. Wie nehmen Sie das wahr? | |
Einige Muslime regen sich auf. Sie versuchen sich von den Ehrenmorden zu | |
distanzieren – wie zum Beispiel durch Postkartenaktionen in Berlin. Andere | |
sind in einer Trotzhaltung. Sie sagen „Nein, das hat nichts mit dem Islam | |
zu tun. Ich als Muslim sehe mich nicht in der Pflicht und in der | |
Verantwortung, mich von diesem Thema zu distanzieren, weil ich überhaupt | |
nichts damit zu tun habe.“ Diese Einstellung ist es vielleicht gewesen, die | |
dazu geführt hat, dass sich einige Muslime von Ehrenmorden nicht öffentlich | |
distanziert haben. | |
Halten Sie das für richtig? | |
Das ist nicht richtig, weil der normale Bürger nicht weiß, dass Ehrenmorde | |
nicht islamisch sind. Allein der Aufklärung wegen müssten sich Muslime zu | |
diesen Themen mehr äußern. Das tun wie gesagt auch viele, aber es ist den | |
Medien oft keinen Artikel wert, Muslime zu interviewen, die sich gegen | |
Ehrenmorde aussprechen. | |
Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass Muslime die Christenverfolgung in vielen | |
muslimischen Ländern nicht öffentlich anprangern? | |
Ich lebe hier in Deutschland. Natürlich finde ich es schrecklich, was in | |
einigen Ländern geschieht und vielen anderen Muslimen geht das mit | |
Sicherheit genauso. Aber unser Lebensmittelpunkt ist hier, wir sind nicht | |
verantwortlich für die Verbrechen, die anderswo geschehen. | |
Manchmal entsteht trotzdem der Eindruck, dass Muslime hier auf die eigene | |
Benachteiligung hinweisen aber sehr wenig Mitgefühl für die teilweise | |
tödlichen Bedrohungen für Christen in muslimischen Ländern haben. | |
Wenn in muslimischen Ländern irgendwo auf der Welt schreckliche Dinge | |
geschehen, dann kann das trotzdem kein Grund sein, den Muslimen hier in | |
Deutschland Gleichberechtigung zu verweigern. Wie gesagt, was dort | |
teilweise geschieht, kann niemand gutheißen. Aber wenn uns deshalb hier | |
Rechte verweigert werden, dann stellt sich Deutschland doch auf eine Stufe | |
mit diesen Staaten, in denen Christen verfolgt werden. Das kann doch wohl | |
nicht das Ziel sein. | |
Nach dem Mord haben islamistische Gruppen wie die Salafiten versucht, den | |
Mord für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und Feindbilder vom | |
islamfeindlichen Westen propagieren. Was sagen Sie dazu? | |
Damit habe ich mich bisher nur sehr wenig beschäftigt. Aber wie bei jedem | |
öffentlichkeitswirksamen Thema wird es mit Sicherheit auch hier Gruppen | |
geben, die versuchen den Mord für sich zu instrumentalisieren. | |
Was halten Sie davon, dass über den Mord an Marwa el Sherbini mit | |
WissenschaftlerInnen geredet wird, aber die Kopftuchtragenden als die | |
eigentlichen Betroffenen oft nicht selbst zu Wort kommen? | |
Es ist richtig, weil sich die Experten auf einer wissenschaftlichen Ebene | |
mit dem Thema beschäftigen. Aber in der Tat sollte man auch | |
Kopftuchtragende, also potenzielle Opfer, dazu befragen und sie zu Wort | |
kommen lassen, um die Debatte aus einer anderen Perspektive betrachten zu | |
können. | |
Fühlen Sie sich bedroht als kopftuchtragende Frau? | |
Nein. Ich fühle mich nicht bedroht oder eingeschüchtert. Ich merke | |
vielmehr, dass es noch viel zu tun gibt; es besteht viel Aufklärungsbedarf. | |
Was möchten Sie denn tun? | |
Das Wichtigste ist, dass man ständig im Dialog ist. Die Debatte sollte | |
nicht abebben und wir sollten nicht auf den nächsten Mord warten. Ich sehe | |
es als meine Aufgabe an, als Journalistin und durch meinen Blog aus dem | |
Leben einer Muslimin zu berichten. Ich versuche darzustellen, wie es ist, | |
als muslimische Deutsche hier zu leben. Ich will zeigen, dass ich keine | |
Gefahr für die Gesellschaft darstelle und ein ganz normaler Mensch bin. | |
Allein diese Tatsache sorgt, so glaube ich, bei vielen Menschen dafür, dass | |
sie ihre Vorurteile nochmal überdenken. | |
Warum melden sich kopftuchtragende Frauen nicht stärker in der | |
Öffenlichkeit und mischen sich mehr ein? | |
In vielen Debatten waren sie in den letzten Jahren sogar im Fernsehen zu | |
sehen. Sie versuchen immer mehr, in die Öffentlichkeit zu treten und | |
selbstbewusster zu werden. Andererseits gibt es auch viele kopftuchtragende | |
Musliminnen, die nicht auffallen wollen. Wenn man auffällt, wird man | |
angegriffen. Man muss sich Diskussionen aussetzen. Das kostet viel Kraft | |
und das wollen viele nicht, was ich verstehen kann. Viele wollen ihr | |
Studium durchziehen und nicht ständig über das Kopftuch reden. | |
31 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
F. Keküllüoglu | |
D. Schulz | |
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