# taz.de -- Papst Benedikt XVI. und sein Ruf: Der Buchhalter der Vernunft | |
> Das Urteil über Papst Benedikt XVI. war zuletzt schnell gesprochen: Er | |
> gilt als Reaktionär, sein ganzes Pontifikat als Skandal. Ist es das | |
> wirklich? | |
Bild: Der Holocaust-Skandal wurde zum Anlass genommen, die Amtszeit Benedikts z… | |
Die Pius Bruderschaft kann einen das Fürchten lehren. Sie steht in einer | |
langen, unheilvollen Tradition. Diese gründet letztlich im Kampf der | |
konservativen Katholiken gegen den Laizismus der Revolution, hatte in | |
Frankreich ihren ersten schmählichen Höhepunkt in der Verleumdung des | |
jüdischen Offiziers Alfred Dreyfus, seiner Verurteilung und Verbannung, und | |
fand sich nie mit seiner Rehabilitierung ab. In dieser Tradition steht das | |
gesamte Vichy Regime, die Kollaboration mit den Nationalsozialisten und | |
auch deren Schutz vor juristischer Verfolgung. Zum Tode verurteilte | |
Kollaborateure fanden Schutz in den Klöstern der Traditionalisten, wie der | |
Faschist Paul Touvier bis 1989 in der Nähe von Nizza. Marcel Lefebvre, | |
Spiritus Rektor der Bruderschaft, schützte nicht nur alte Faschisten, | |
sondern pflegte auch beste Beziehungen zu den neuen wie Jean-Marie Le Pen. | |
Auch zu den Herren der argentinischen Diktatur in den achtziger Jahren, | |
unter deren Protektion er Klöster und Seminare in Argentinien gründete. An | |
einem solchen Seminar lehrte der nun zur Berühmtheit gelangte | |
exkommunizierte Antisemit und Holocaustleugner Richard Williamson. | |
Lefebvre hatte 1988 Williamson und drei weitere Priester seiner | |
Bruderschaft in einer ihm eigenen Form der Amtsanmaßung zu Bischöfen | |
geweiht, worauf alle vier von Johannes Paul II. exkommunizieret wurden. So | |
fragt man sich weltweit, was um aller Welt treibt Papst Benedikt XVI., den | |
ja viele mit guten Gründen für aufgeklärt halten, dieses reaktionäre Pack | |
zu rehabilitieren. | |
Erstaunlich, und deshalb denkwürdig, ist, wie schnell und entschlossen die | |
Kanonen der Presse und Politik auf den Papst gerichtet waren. Die Story war | |
ja schnell hinreichend bekannt: Johannes Paul II. hatte unmittelbar nach | |
der Exkommunikation einen kolumbianischen Kardinal mit der Aufgabe betraut, | |
diese verirrten Schafe möglichst bald wieder in den Schoß der Kirche zu | |
leiten. Dessen achtzigster Geburtstag, und somit seine "Pensionierung", | |
stand unmittelbar bevor, und er wollte seine zwanzigjährigen Bemühungen zu | |
einem positiven Abschluss bringen. Er hatte nicht sorgfältig recherchiert, | |
also geschlampt, wie ein anderer Kardinal tobte. Dennoch unterzeichnet der | |
Kardinal aus Kolumbien am 21. Januar 2009 die Rücknahme der | |
Exkommunikation. Wundersamerweise wurde am selben Tag noch ein Interview | |
mit Williamson von einem schwedischen Fernsehsender ins Internet gestellt, | |
das Monate zuvor geführt worden war. In diesem leugnet er die Vernichtung | |
der Juden durch Gas. Nun sind Verschwörungstheorien das Eine, die | |
politische Verantwortung des Papstes für politische und theologische | |
Entscheidungen des Vatikans, egal durch welchen Kardinal, das Andere. | |
Erstaunlich bleibt, mit welch Entschiedenheit diese teils widerwärtige, | |
teils peinliche Angelegenheit zum Anlass genommen wurde, die ganze Amtszeit | |
Benedikts zu einer Abfolge von Skandalen zu machen. Dabei wurde sehr | |
Verschiedenes gemischt, sei es um ihm politische Unbedarftheit, reaktionäre | |
Rückwärtsgewandtheit oder schlicht eine geradezu pubertäre Lust an der | |
Beleidigung anderer Religionen zu unterstellen. | |
Natürlich wurde sofort seine Regensburger Vorlesung von 2006 erinnert, | |
worin er einen byzantinischen Geistlichen aus dem 15. Jahrhundert | |
zitierend, die islamische Welt beleidigt habe. Bei genauer Lektüre ging es | |
Benedikt um die Ächtung eines jeden heiligen Krieges und eines jeden | |
religiös motivierten Mordes und Terrors. Die Pointe dabei war, dass solche | |
Taten gotteslästerlich, weil vernunftwidrig seien. Die Vernunft jedoch sei | |
den Menschen von Gott gegeben, und deshalb seien sie ihr verpflichtet. | |
Natürlich sei das einer rationalistisch, instrumentalistisch verkürzten | |
Vernunft nicht mehr zugänglich und so plädierte der Papst für einen | |
Vernunftbegriff, wie ihn in der deutschen Philosophie zuletzt Max | |
Horkheimer und Theodor W. Adorno vertraten. | |
Natürlich missfiel es aufgeklärten Geistern, sich vom Papst vorwerfen | |
lassen zu müssen, was einst Jürgen Habermas den Positivisten vorhielt: | |
einen positivistisch halbierten Rationalismus. Und es gefiel den Kritikern, | |
den Papst auf die heiligen Kriege der Christen hinzuweisen. Sie vergaßen | |
dabei nur, dass der Heilige Krieg als Institution eine Innovation des Islam | |
war, im Koran verankert und über Jahrhunderte - immer wieder - erfolgreich | |
geführt. Die Christen waren da Nachahmer. Recht erfolgreich in der | |
Reconquista, erbärmlich gescheitert in den Kreuzzügen. Wichtiger jedoch: | |
Sie sind kein neutestamentarisches Gebot, sondern die Ausgeburt eines | |
Eiferers - des heiligen Bernhards. | |
Prompt folgte, in der Aufzählung von Benedikts "Skandalen", die | |
"Beleidigung" der Protestanten: Sie seien nicht vollwertige Kirche. | |
Genauer: Sie seien nicht Kirche im katholischen Sinn. Mag sein, dass sich | |
so auszudrücken der political correctness im ökumenischen Dialog | |
widerspricht. Sich darüber protestantisch zu empören, ist jedoch | |
scheinheilig. Schließlich gründete das protestantische Schisma in der | |
Abkehr von Rom und ist seiner Theologie gemäß strikt autonome | |
Gemeindereligiosität. Dass es, zumal in Deutschland, evangelische | |
Landeskirchen gibt, ist nicht der Theologie, sondern politischer | |
Opportunität in der Folge Luthers geschuldet. | |
Als nächstes folgte die Wiederzulassung der Karfreitagsfürbitte und | |
lateinischer Elemente in der Liturgie. Hier mischen sich zwei Vorwürfe, die | |
mit Blick auf die Pius Bruderschaft auch durchaus zusammenhängen, aber mit | |
Blick auf die Intentionen des Papstes auseinandergehalten werden sollten: | |
Beleidigung des Judentums und Revision des II. Vatikanischen Konzils. | |
Die Karfreitagsfürbitte, zumal in der von Benedikt formulierten Fassung, | |
bringt sehr deutlich die Haltung des Apostel Paulus zum Ausdruck. Im | |
Römerbrief, dem Gründungstext aller christlichen Theologie, bekennt er, wie | |
sehr es ihn schmerzt, um der Liebe Christi willen von seinem Volk, den | |
Juden, getrennt zu sein. Gleichwohl weiß er, dass die Juden in ihrer | |
Erwähltheit die "Geliebten Gottes" bleiben. Diese Trennung ist also ein | |
vorübergehender Zustand und natürlich würde man in der Erlösung durch | |
Christus wieder vereint. Ohne diese Hoffnung, verlöre das Christentum alle | |
Legitimität. Aus dieser Spannung heraus, erfährt das paulinische | |
Christentum seine Dynamik und Universalität. So wie es ganz und gar | |
widersinnig und perfide ist, mit dem "Erzjuden Paulus" (J. Taubes) | |
antisemitische Geschäfte machen zu wollen, so widerspräche es den | |
Grundintentionen des Christentums, auf Mission und Universalität der | |
Erlösung zu verzichten. Es hieße das Christentum als zweitausendjährigen | |
Irrtum zurückzunehmen. Genau das hat Friedrich Nietzsche in seiner gegen | |
Paulus gerichteten Umwertung der Werte intendiert. Aber das ist zweifellos | |
nicht die Aufgabe des Papstes. | |
Der Vorwurf, Benedikt betreibe eine Revision des II. Vatikanischen Konzils, | |
ist vertrackter. Er ist der einzige noch aktive Bischof, der an dessen | |
Ausarbeitung beteiligt war. Zudem ist zu bedenken, dass dessen Resultate | |
mittlerweile ein halbes Jahrhundert alt sind. Stellt man dazu noch in | |
Rechnung, dass das Konzil im Wesentlichen eine Modernisierungsanstrengung | |
war, so scheint es legitim, auf der Basis der Grundsätze des Konzils, | |
Details zu überdenken. So hat vor Jahrzehnten schon der Psychoanalytiker | |
und Sozialwissenschaftler Alfred Lorenzer das Konzil in einer | |
unerbittlichen, aber gewissenhaften Kritik, das "Konzil der Buchhalter" | |
genannt. Ihm war es dabei um den Verlust der Sinnlichkeit in der Liturgie | |
gegangen, um die Austreibung von in Magie und Mythen noch gespeicherter | |
Humanität, zu Gunsten instrumenteller Vernunft. | |
Hier passt einiges nicht zusammen. Die Belege, die Benedikts irrationale | |
Haltung zur Pius Bruderschaft bezeugen sollen, sind allesamt von hoher | |
theologischer Rationalität. Zweifellos denkt Benedikt im Vergleich zu | |
seinem Vorgänger viel weniger politisch als vielmehr theologisch. Dass man | |
versuchen sollte, die Pius Bruderschaft in der Kirche zu halten, ein | |
Schisma also unbedingt zu vermeiden, teilt er aber mit Johannes Paul II. | |
Die Einheit der Kirche ist auch für Benedikt ein hohes Gut. Doch auch hier | |
ist er derjenige, der die Grenzen gültig gezogen hat. Als sein ehemaliger | |
Tübinger Kollege Hans Küng einen (Eilzug-)Fahrplan zur Wiedervereinigung | |
mit den Protestanten vorlegte, lehnte er dies entschieden ab. Eine | |
Versöhnung, die nicht in Glaubensgemeinschaft gründe, in der Protestanten | |
wie Katholiken ihr Wesentliches verlieren würden, sei der Mühe nicht wert. | |
Allerdings schienen sich Johannes Paul II. und Benedikt darin einig zu | |
sein, dass die Anhänger der Pius Bruderschaft ohne Verlust für die Substanz | |
der katholischen Kirche reintegrierbar sein müssten. Es wäre leichtfertig, | |
aus liturgischen Fragen und Gefühlen schismatische Bewegungen entstehen zu | |
lassen. Doch zweifellos verbinden sich mit dem liturgischen Dissens auch | |
schwerste Identitätsprobleme. Die Haltung der Kirche scheint, ohne dass es | |
die Öffentlichkeit so recht zur Kenntnis nimmt, eindeutig zu sein. Die | |
Bruderschaft bleibt Teil der Kirche, die Exkommunikation der ehemaligen | |
Bischöfe wird aufgehoben - unter der Vorraussetzung, dass sie sich zur | |
Theorie des II. Vatikanischen Konzils bekennen, während für Williamson | |
jeder Weg zurück versperrt sein wird. Ob das den Schaden von Benedikts | |
Pontifikat noch aufzuheben vermag, ist offen. | |
8 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Rudi Thiessen | |
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