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# taz.de -- Kommentar: Das Ende der Illusion
> In der Türkei glaubt niemand mehr, dass die EU das Land als Mitglied
> will. Die Enttäuschung ermöglicht es dem Militär Putschdrohungen gegen
> die regierenden Islamisten auszustoßen
Bild: Flucht vor dem Tränengas in Istanbul.
Anders als in den Wahlkämpfen der vergangenen Jahre sind in der Türkei
derzeit mit einem Thema keine Stimmen zu gewinnen: Europa. Dabei ist es
nicht lange her, dass die meisten Türkinnen und Türken in einem Beitritt in
die Europäischen Union das gesellschaftliche Zukunftsprojekt schlechthin
sahen. Als die EU Ende 1999 das Land endlich als Beitrittskandidaten
anerkannte, fiel die Freude entsprechend groß aus - selbst wenn die Gründe
unterschiedlich waren.
Die Islamisten erhofften sich von einem EU-Beitritt eine Schwächung des
Militärs, das sich seinerseits ein Zurückdrängen des politischen Islam
versprach. Die Kurden hofften auf Minderheitenrechte, Linke und Liberale
auf eine Demokratisierung, Unternehmer auf Exportmöglichkeiten und
Gewerkschaften auf Arbeitnehmerrechte. Zwar war den meisten klar, dass die
Mitgliedschaft nicht sofort zu haben sein würde, doch irgendwann würde es
sicher klappen.
## Kein Glauben mehr
Diese Zuversicht ist verflogen. Mehr noch: Kaum jemand glaubt daran, dass
die Europäer die Türken ernsthaft wollen. Dieser Eindruck ist nicht erst
mit dem Antritt von Angela Merkel oder Nicolas Sarkozy entstanden. Schon
zuvor bekamen viele das Gefühl, dass die EU mit fadenscheinigen Argumenten
immer wieder neue Hürden setzen würde. Mal ginge es um den Völkermord an
den Armeniern, mal um die Zypernfrage.
Tatsächlich ist ein Wandel in der Türkei-Politik der EU zu verzeichnen. Und
der hat weniger damit zu tun, dass die Reformen in der Türkei unzureichend
geblieben sind, als mit Veränderungen in der EU selbst - dem Scheitern der
europäischen Verfassung zum Beispiel oder dem Misslingen einer gemeinsamen
Sicherheitspolitik, für die die Beitrittsofferte an die Türkei keine
unwesentliche Rolle gespielt hatte.
Erst diese Enttäuschung hat es dem Militär und dem Establishment
ermöglicht, mit Putschdrohungen, Massenmobilisierungen und fragwürdigen
Gerichtsurteilen gegen die AKP vorzugehen. Die Bewegung vom Frühjahr, bei
der viele nicht nur gegen die AKP, sondern zugleich gegen die EU
demonstrierten, wäre vor ein paar Jahren nicht möglich gewesen. Und die
noch immer bestehende Gefahr eines Putsches erst recht nicht.
21 Jul 2007
## AUTOREN
Deniz Yücel
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
Recep Tayyip Erdoğan
EU-Beitritt
Schwerpunkt Türkei
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