# taz.de -- Wie die Jubiläumstaz der Jugend entstand: Sie haben es nicht verka… | |
> Ein Tag mit der u24-Geburtstagscrew der taz – beobachtet von einem | |
> taz-Mann der allerersten Stunde: eine Liebeserklärung. | |
Bild: Die taz-Jubiläumsausgabe der Jugend ist das Ergebnis ihrer Arbeit | |
von [1][MICHAEL SONTHEIMER ] | |
Der Konferenzsaal im ersten Geschoss des taz-Gebäudes ist überfüllt. In dem | |
hohen Raum drängen sich über 100 Menschen, an die 50 von ihnen „u24“, unt… | |
24 Jahre alt. Die Jungen haben an diesem Tag die Redaktion übernommen. Die | |
reguläre taz-Belegschaft assistiert nur auf Aufforderung. | |
Die Sonne scheint in den Saal; es ist ein besonderer Tag. Heute vor genau | |
40 Jahren erschien die erste tägliche Ausgabe der taz. Die stellvertretende | |
Chefredakteurin Barbara Junge begrüßt die Gäste und stellt einen Kollegen | |
vor, der damals auf dem Kurfürstendamm die erste tägliche taz-Ausgabe | |
verteilt hat und heute wieder für das Blatt arbeitet. | |
Aber was hat die taz von damals noch mit der taz von heute gemein? 40 Jahre | |
sind ein halbes Leben. Ich gehörte damals zu den vielen Gründerinnen und | |
Gründern der taz, war gerade 24 geworden und arbeitete in der | |
Ökologie-Redaktion, als wir am 16. April 1979 in einer Fabrik-Etage in | |
Berlin-Wedding die erste tägliche Ausgabe der taz produzierten. | |
## Bitte nicht nur Katastrophen | |
Etliche von uns waren ebenfalls Jahrgang 1955, obwohl auch Ältere dabei | |
waren, Achtundsechziger aus Frankfurt oder der Anwalt Christian Ströbele. | |
Damals waren mindestens zwei Drittel der taz-Redaktion männlich, allesamt | |
nur Deutschdeutsche. In der u24-Redaktion sind es mehr Frauen als Männer, | |
eine Muslima mit Hijab ist dabei, mehrere mit dunkler Haut. So divers, wie | |
das Land mittlerweile geworden ist. Die Stimmung ist konzentriert und | |
freundlich. | |
Bei einer morgendlichen Vorbesprechung der Aktuellen, die für die ersten | |
Seiten verantwortlich sind, fragt Judith, 23, Studentin aus Augsburg, mit | |
gegrünten punkigen Haaren: „Ist was voll Krasses passiert oder packen wir | |
uns selbst auf die erste Seite?“ | |
Thilo, 23, im Hauptberuf Gewässerprobennehmer, trägt auf der großen | |
Konferenz die Nachrichtenlage vor. „Greta Thunberg besucht den Papst. | |
Verkehrsminister Scheuer verlangt Steuererleichterungen für Bahntickets. | |
Trump ist gegen einen Truppenabzug aus dem Jemen, aber das ist furchtbar | |
kompliziert.“ Er – kräftig, mit Brille und Vollbart, bedächtig und | |
wortgewandt zugleich – sagt dann: „Die Welt ist nicht nur schlecht, sondern | |
auch gut.“ – „Bringen wir mal was Positives, nicht nur Katastrophen“, | |
pflichtet ihm ein Schüler bei. „Es geht uns eigentlich ganz gut“, sagt eine | |
Studentin. „Und wir müssen die Zeit nutzen, dass es weiter gut geht.“ | |
## Positives Verhältnis zum Selfie-Journalismus | |
Ein eklatanter Unterschied zu der taz-Gründergeneration: Wir hielten die | |
Welt für schlecht. Für furchtbar schlecht. Die Kriege überall, der | |
Kapitalismus, die Ausbeutung, die Frauenunterdrückung, die | |
Umweltzerstörung. Wir gründeten eine Zeitung, weil wir die Welt radikal | |
verändern wollten. Wir waren rebellisch, dabei gesegnet mit der Arroganz | |
der Adoleszenz. Von der u24-Redaktion arbeiten nur etwa ein Fünftel in | |
einer politischen Gruppe, wir taz-Gründer taten dies ausnahmslos, sahen | |
auch die taz-Initiativen als linksradikale politische Gruppe. Die Zeitung | |
war für uns ein Werkzeug für die politische Veränderung. | |
Wir hatten vage, radikale Ansprüche, aber die erste Ausgabe der taz am 17. | |
April 1979 kam auf der Seite 1 sehr konventionell daher: „Erdbeben in | |
Jugoslawien“, „Neue Verhaftungswelle im Iran“ und „Havemann wird | |
ausgehungert“ waren die drei großen Berichte. Die U24-Redakteur*innen | |
hingegen haben ein positives Verhältnis zum Selfie-Journalismus. „Die | |
Ausgabe repräsentiert letztendlich einfach uns“, erklärt Isabella in einem | |
Editorial. Auf die Seite 1 sollen keine Nachrichten kommen, sondern eine | |
Ansprache an die Älteren. Auf der Titelkonferenz am Mittag stellt Thilo | |
zwei mögliche Alternativen für die Schlagzeile vor. | |
„Ihr habt es verkackt!“ oder „Habt ihr es verkackt?“. Die Mehrheit der … | |
25 Anwesenden votiert für die zweite Variante. Ihr, das sind älteren | |
Generationen. Dazu vier oder fünf kurze Kommentare, mit Ja, Nein oder Jein | |
sollen sie anfangen. Klima, Rente, Feminismus, Politik, Europa. Judith, die | |
Studentin der angewandten Sprachwissenschaften aus Augsburg ist in die | |
u24-Redaktion geraten, weil ihre Eltern im Allgäu immer die taz gelesen | |
haben. „Eure Generation war viel politischer“, sagt sie. „Aber ihr hattet | |
auch meist Eltern, an denen ihr euch abarbeiten musstet.“ Sie ist mit ihrem | |
Freund von Augsburg nach Shanghai getrampt und schreibt darüber einen | |
langen Bericht. Manchmal macht sie sich Vorwürfe, dass sie politisch nicht | |
aktiver ist. | |
## Von den Medien kurz gehypt und dann ignoriert | |
Die politischen Aussagen der Jungen sind teils erstaunlich. „Das | |
stagnierende politische deutsche System braucht Leader“, fordert Yasmine. | |
Auf den Kulturseiten sagt eine junge Berlinerin: “Ich bin stolz polnische | |
Eltern zu haben (…) Ich bin stolz, blaue Augen zu haben.“ | |
Lucia, 19, Studentin der Agrarwissenschaften aus Stuttgart, ist Aktivistin | |
bei Fridays for Future. „Junge Leute erleben gerade, dass ihre Stimme | |
gehört wird“, sagt sie. Aber sie befürchtet auch, dass ihre Bewegung von | |
den Medien kurz gehypt und dann ignoriert wird. Lucia hätte sich das Machen | |
einer Tageszeitung hektischer und dramatischer vorgestellt. Es sei „fast | |
ein bißchen langweilig“. Die meisten hätten schon fertige Artikel | |
mitgebracht. In er Tat läuft die Produktion wie am Schnürchen. | |
Aya, 17, Schülerin aus Berlin, findet es „megainteressant“ in der taz. Sie | |
sagt, es war „super, dass wir so eine Freiheit hatten.“ Sie ist vor sechs | |
Jahren aus Ägypten eingewandert und hat „über das Leben als Muslima in | |
Deutschland“ geschrieben. Sie hatte befürchtet, dass wegen ihres Kopftuchs | |
Redaktionskolleg*innen denken oder sagen könnten: „Was ist denn das für | |
eine unterdrückte Kameltreiberin“. | |
Manche hätten sie auch wegen ihres Kopftuchs angesprochen, aber aus | |
Interesse. „Wir haben uns dann gut unterhalten.“ Aya will unbedingt | |
Pathologin werden und für das Bundeskriminalamt arbeiten. Polizisten | |
bezeichneten wir taz-Gründer*innen vor 40 Jahren regelmäßig als „Bullen“. | |
Immer wieder klagte die Staatsanwaltschaft deshalb Redakteure wegen | |
Beleidigung an. | |
## Bier statt Joint | |
Als wir vor 40 Jahren die erste Nummer machten, fühlten wir uns unter | |
starkem Druck. Wir hatten keine Ahnung, kein Geld und wussten nicht, ob es | |
die Zeitung in einem Jahr überhaupt noch geben würde. Wir hatten für die | |
erste Nullnummer fünf Tage gebraucht und hatten noch nie innerhalb eines | |
Tages eine Ausgabe produziert. Es klappte dann, weil es klappen musste. | |
Als damals alle zwölf Seiten fertig waren, rollte ein Layouter einen Joint, | |
den wir zur Feier des Tages rauchten. Die u24-Redaktion trinkt nach getaner | |
Arbeit ein Bier oder einen Wein; rauchen tut ohnehin kaum mehr jemand. | |
Auf Seite 1 der Jubiläumstaz steht ganz unten: „Die Jugend von heute wird | |
die Rettung von morgen.“ | |
Na dann legt mal los. | |
18 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Michael Sontheimer | |
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