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# taz.de -- Aus dem taz Buch (3): Straßenkampf: Wie Dutschke zurück auf die S…
> Am Anfang war es eine kleine Spinnerei – am Ende ein Berliner Politikum.
> Und ein Sieg über die störrische CDU.
von [1][GEREON ASMUTH]
Am Anfang stand ein ganz übliches Treffen zweier Blattmacher, so wie es
täglich in der Redaktion stattfand. Es ging um Themensetzung – und die
Vermeidung von Dopplungen in der kommenden Weihnachtsausgabe. Die sollte im
Jahr 2004 mal ohne den üblichen Besinnungskram auskommen und stattdessen an
Rudi Dutschke erinnern, der 25 Jahre zuvor an Heiligabend 1979 gestorben
war.
Die bundesweit erscheinenden Seiten dieser Ausgabe koordinierte Thilo
Knott, der damalige Redakteur für besondere Aufgaben. Als Chef vom Dienst
der Berlin-Redaktion wollte ich von ihm wissen, was wir denn zusätzlich auf
den Berlin-Seiten machen könnten.
Und so standen wir dann an einem Dezembertag im 3. Stock des
Dutschke-Hauses zwischen Kopierer und Faxgerät und gingen die Themen durch.
Aber egal, welche Geschichte mit Berlin-Bezug ich vorschlug, Thilo
antwortete stets: „Haben wir schon vorne.“ In so einer monothematischen
Weihnachtsausgabe ist halt viel Platz.
## Keine angemesse Erinnerung
Wir waren ratlos. Und aus dieser Ratlosigkeit erwuchs einer dieser
taz-Momente, in denen Redakteure einfach mal drauflos spinnen, sich die
Bälle zuwerfen und am Ende etwas Unvorhergesehenes entsteht.
Irgendwie kamen wir auf die Frage, warum es in Berlin eigentlich keine
angemessene Erinnerung an Dutschke gebe, dass zwar es fünf Jahre zuvor mal
eine Initiative an der Freien Universität gegeben hatte, die eine Straße
nach dem Studentenführer benennen wollte, die aber an der Blockade der CDU
im örtlichen Bezirksparlament gescheitert war. Dass also wir also diese
Lücke in der Erinnerungskultur ja aufgreifen könnten, also erneut eine
Dutschke-Straße vorschlagen, nein fordern könnten, dass dafür natürlich
eigentlich der Ku‘damm umbenannt werden müsste, auf dem Dutschke 1968
niedergeschossen wurde.
Das schien uns auch in unserer Spinnerei unrealistisch – aber warum nicht
die Kochstraße, gleich hier vorm taz-Haus. An deren Ende sitzt auch der
Springer-Verlag und sie stößt auf die Axel-Springer-Straße. Die dortige
Kreuzung würde zum neuen deutschen Eck, zum Symbol gesellschaftlichen
Versöhnung. Machen wir so? Machen wir so! Versuchen kann man es ja mal.
## Debatte weit über Berlin hinaus
Als wir, um der Idee Schwung zu geben, eine Woche vor Weihnachten unseren
Antrag zur Umbenennung in der taz veröffentlichen, rannten wir offene Türen
ein. Die rot-rot-grüne Mehrheit im zuständigen Bezirksparlament von
Friedrichshain-Kreuzberg hätte die Ehrung binnen weniger Tage durchgeboxt,
wenn nicht wieder mal die CDU quergeschossen hätte. Zum Glück.
Denn sie verlangte zunächst eine Diskussion in den Ausschüssen, versuchte
danach mit dem gerade neu eingeführten Bürgerentscheids die Umbenennung zu
verhindern und setzte so eine gesellschaftliche Debatte in Gang, die weit
über Kreuzberg und Berlin hinausreichte – was Dutschke noch mehr ehrte als
die eigentliche Umbenennung.
Es gab ausufernde Debatten in den Feuilletons, eine Anhörung im
Bezirksparlament, bei der der taz-Redakteur und Dutschke-Weggefährte
Christian Semler in einer ebenso beeindruckenden wie persönlichen Rede fünf
Gründe für eine Rudi-Dutschke-Straße nannte, einen Dutschke-Slam, bei dem
es um die besondere Redeweise des Aktivisten ging, das „Nein für
Dutschke“-Plakat von (c)TOM, mit dem die taz in den Wahlkampf zum
Bürgerentscheid zog, den sie mit 57 Prozent der Stimmen gewann.
Danach gab es noch einiges juristischen Hin und Her bis am 30. April 2008
schließlich das neue Straßenschild Dutschke-Ecke-Springer enthüllt werden
konnte – standesgemäß mit einer Demonstration unter dem Motto „Schafft
zwei, drei, viele Dutschke-Straßen“. Noch so eine spinnerte Idee. Nicht aus
allen wird Realität.
29 Aug 2018
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## AUTOREN
Gereon Asmuth
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