# taz.de -- Aus dem taz Buch (1): Editorial: Seit 40 Jahren keine Chance | |
> Wie ein kleines Projekt zur waschechten Zeitung wurde. Das neue Buch „40 | |
> Jahre taz“ gibt Auskunft über die wilde taz-Geschichte. | |
Bild: Geschmacks-sicheres Auftreten: Die taz-Auslandsredaktion im Jahr 1983 | |
von [1][MATHIAS BRÖCKERS] und [2][STEFAN REINECKE] | |
Als die taz 1989 ein dickes Buch über ihre ersten zehn Jahre produziert | |
hatte, verschickte sie ein Schreiben an die „Lieben Kolleginnen und | |
Kollegen der Presse“: | |
„So wie die taz nie ein Linien-Blatt, sondern immer ein Konglomerat | |
verschiedener Linien und Individual-Meinungen war, versucht auch dieses | |
Buch nicht, Sie auf eine Richtung zu trimmen. Natürlich hat sich im Verlauf | |
der zehn Jahre vieles verändert, der hehre Anspruch der Aufhebung von Hand- | |
und Kopfarbeit hat sich ebenso als Illusion erwiesen wie der einer | |
radikalen linken ‚Gegenöffentlichkeit‘ bei gleichzeitiger | |
Auflagensteigerung über die Szene hinaus. Doch dass die taz außer von einer | |
Handvoll Straßenkämpfern auch von ganz normalen Fußgängern gelesen wird ist | |
nicht gleichbedeutend mit dem Verrat ihrer Prinzipien. | |
Nach wie vor existiert in der Bundesrepublik keine Tageszeitung, die | |
ökonomische Unterdrückung und ökologische Katastrophe so explizit als | |
politische, d. h. veränderbare Probleme darstellt wie die taz. Dass trotz | |
zehn Jahren taz die Weltrevolution nicht stattgefunden hat, kann nur | |
beklagen, wer Guerilla noch immer mit Gorilla verwechselt. Den einen schien | |
die taz von Anfang an als ‚Terrorpostille‘ und ‚Bombenleger-Blatt‘, fü… | |
anderen gilt seit Jahren das Kreuzberger Graffito als ausgemacht: ‚taz | |
lügt!‘. Zwischen diesen Bannflüchen ist die taz groß geworden …“ | |
## Wenig Geld, aber Geltung | |
Drei Jahrzehnte vorgespult: Heute gilt die taz der AfD als Paradebeispiel | |
„links-grün-versiffter“ Lügenpresse und für strenge Pazifisten als | |
„olivgrünes Nato-Sprachrohr“ – und lebt zwischen diesen neuen Bannflüch… | |
nach wie vor munter weiter. Noch immer mit wenig Geld, aber mit Geltung; | |
noch immer links, aber nicht auf Linie; noch immer selbstverwaltet, aber | |
als stabiles, genossenschaftliches Unternehmen. | |
Diese externen und internen Widersprüche 40 Jahre lang ausbalanciert und | |
jeden Tag eine lesbare Zeitung produziert zu haben, ist die vielleicht | |
größte Leistung der taz überhaupt. Abgesehen von der Pionierleistung, dass | |
in diesem „Projekt tageszeitung“ schon sehr früh Modelle und Konflikte | |
thematisiert wurden, die im Mainstream der Medien und der Gesellschaft erst | |
Jahrzehnte später ankamen. | |
Ob mit der Erfindung des „Crowdfunding“, das in Umkehrung der Lenin’schen | |
Parole „Vertrauen ist gut Kontrolle ist besser“ durch vertrauensselige | |
Voraus-Abos den „Start-up“ einer linken Zeitung überhaupt erst ermöglicht… | |
ob mit der Gründung einer Genossenschaft zur Sicherung der journalistischen | |
Unabhängigkeit vor Profitinteressen oder ob als erste digitale (und | |
kostenlose!) Tageszeitung „[3][im weltweiten Computerverbund Internet]“ | |
(O-Ton 1995), die 16 Jahre später mit der paradoxen „Paywahl“ das | |
[4][freiwillige Bezahlen kostenloser Inhalte einführte] – die taz war stets | |
Versuchslabor für Alternativen zum Bestehenden. | |
## Die Mid-Life-Crisis schon überlebt | |
Und sie war Arena für kommende Konflikte: Lange bevor Ökologie und | |
Energiewende oder Sexismus und Frauenquote in den Medien und Gremien | |
landeten, wurden diese Themen in der taz publiziert und debattiert. Dass | |
der Partei der „Grünen“ mittlerweile der Vorwurf gemacht wird, eine „FDP | |
mit Fahrrad“ geworden zu sein und einem pseudo-progressiven Neoliberalismus | |
zu huldigen, trifft auf die parallel mit den Grünen aufgewachsene taz nur | |
bedingt zu. | |
Was wohl auch damit zu tun hat, dass anders als an den Fleischtöpfen der | |
Politik bei der taz nie viel zu holen war und ist. Nach wie vor winkt | |
Mitarbeitenden statt Einkommen gerade mal ein Auskommen. | |
Doch was steht von alldem nun im Buch 40 Jahre taz? Neben Faksimiles von | |
vielen Originalseiten werden in Wort und Bild nicht nur einige Highlights | |
aus 40 Jahren taz-Journalismus dokumentiert, sondern auch der ganz normale | |
Alltagswahnsinn der Redaktion. Mitarbeiter*innen aus allen Phasen der | |
taz-Geschichte schreiben über das Innenleben der einst „größten | |
Schülerzeitung der Welt“ sowie über die Titel, Themen und Temperamente, die | |
sie groß gemacht haben. | |
Ob die 40-jährige taz nach unruhiger Jugend und leicht chaotischem | |
Erwachsenwerden die anstehende Mid-Life-Crisis überlebt und zum 50. | |
Geburtstag noch einmal ein klassisches Buch [5][über eine gedruckte Zeitung | |
erscheint, ist unsicher]. Deshalb haben wir uns bemüht, dieses Bilderbuch | |
so groß und so schön wie möglich zu machen. | |
Es könnte das letzte sein – für eine Reise auf Papier und mit Tinte, durch | |
die Zeit mit der Geschichte einer Zeitung. | |
22 Aug 2018 | |
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