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# taz.de -- der gute ruf gandersheims: Die Nonne mit erotischen Fantasien
Zwischendurch gab es Roswitha gar nicht. Zumindest hatte vor fünf Jahren
ein durchgeknallter Hobby-Historiker die These herausposaunt. Aber längst
hat diese das gleiche Schicksal wie alle historischen Verschwörungstheorien
ereilt: enttarnt und in den Orkus und zweimal abgezogen. Doch das war noch
längst nicht die größte Schmach, die Roswitha von Gandersheim posthum
angetan wurde.
Wie? Was könnte schlimmer sein? Das ist ganz leicht. Stellen Sie sich
einfach einmal die Frage: Wäre irgendjemand auf die Idee gekommen,
allsommerlich ausgerechnet in der südmittelniedersächsischen Kleinstadt
Gandersheim groß angelegt Freilufttheater zu veranstalten, wenn dort nicht
die erste deutsche Dichterin gelebt hätte? Roswitha – korrekt: Hrotsvit –
war nämlich die erste deutsche Dichterin. Und sie war zugleich der erste
Mensch seit der Antike, der überhaupt etwas Literarisch-Nennenswertes auf
Pergament gekratzt hat. Geboren um 935 schlug sie, zeitgemäß, die
Nonnenlaufbahn ein. Gestorben ist sie nach 973.
Hrotsvit war kein Mauerblümchen. Ziemlich selbstbewusst übersetzt sie ihren
Namen als „der gute Ruf Gandersheims“. Auch nicht verhuscht klingt, was sie
über ihre „außerordentliche Schönheit“ schreibt. In einem Latein, das je…
Vorurteil vom finsteren Mittelalter, das nur in stummeligen gotischen
Dialekten abstruse Zaubersprüche notiert hätte, locker widerlegt. Denn
nicht nur, dass sie Vergil und Terenz gut gekannt hat. Sie hat auch deren
Verskunst beherrscht. Und um den Reim bereichert. Besonders frappierend
aber sind ihre Dramen. Für die gab es damals weder Theater noch Publikum:
Die Bühnenkunst des Mittelalters war eine Fortsetzung des Gottesdienstes
mit anderen Mitteln. Bei Hrotsvit aber…! Okay, alles bleibt tugendhaft und
letztlich gelingt’s der Jungfrau doch, den Vergewaltiger vorab zur Taufe zu
überreden. Aber nein, prüder Schnickschnack ist das nicht: Die erotischen
Details machten die Schreiberin mitunter „selbst erröten“.
Noch immer wartet die Welt auf eine vernünftige Übersetzung und
Inszenierung. In Gandersheim aber zeigt man Dürrenmatts alte Dame, „Die
Fledermaus“, „Das Dschungelbuch“. Und gestern, zum Auftakt: „Die Rocky
Horror Picture Show“. Um den guten Ruf macht man sich da keine Gedanken
mehr. bes
7 Jul 2006
## AUTOREN
bes
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