# taz.de -- Den Vergessenen steinerne Kissen | |
> In der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen bei Oldenburg fielen rund 1.500 | |
> Menschen der NS-Euthanasie zum Opfer. Die Täter wie auch die Opfer kamen | |
> aus der Nachbarschaft. Dass die Wunden hier längst nicht verheilt sind, | |
> zeigen die Umstände, unter denen Ende August eine neue Gedenkstätte | |
> eröffnet wird | |
AUS WEHNEN ANNEDORE BEELTE | |
Dass in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen keine Euthanasie stattgefunden | |
habe, sei „umstritten“: So steht es im Wikipedia-Eintrag zur Gemeinde Bad | |
Zwischenahn bei Oldenburg. Derartig verschwurbelt drückt sich vielleicht | |
aus, wer seine argumentativen Felle davonschwimmen sieht. Denn zu | |
bestreiten ist an der Tatsache, dass in Wehnen während der Zeit des | |
Nationalsozialismus psychisch Kranke, Behinderte und sozial Stigmatisierte | |
umgebracht wurden, längst nichts mehr: Seit der Historiker Ingo Harms in | |
den 1990er Jahren das Dickicht aus Schweigen, Lügen und Verdrängen | |
lichtete. Inzwischen, sagt Harms, ist die Forschung so weit, die rund 1.500 | |
Opfer von Wehnen mit Namen zu nennen. | |
Die Angehörigen der Ermordeten wünschen sich seit langem einen persönlichen | |
Ort zum Trauern und Gedenken. Ein offizielles Mahnmal hat die Initiative | |
Gedenkkreis Wehnen 2001 errichtet. Jetzt soll eine Gedenkstätte auf dem | |
ehemaligen Anstaltsfriedhof eingeweiht werden, wo zahlreiche der Opfer in | |
Massengräbern verscharrt wurden: Ein symbolisches Bett aus Thymian mit | |
einem steinernen Kissen für die, die zu Lebzeiten nur eine harte Pritsche | |
hatten – und eine halbe Scheibe Schwarzbrot am Tag. Für jeden Getöteten | |
soll in dem Thymianbett ein kopfgroßer Kiesel liegen. | |
„Der Trend geht bei Gedenkstätten dahin, die Namen der Opfer öffentlich zu | |
machen“, sagt Ingo Harms. Aber: „Dies sind spezielle Opfer – und spezielle | |
Täter.“ Beide Gruppen nämlich stammen aus der Gegend, die Familien kennen | |
sich. So mancher Arzt hat die Praxis von seinem Vater oder Großvater | |
geerbt, der in die Euthanasie verwickelt war. So mancher Bauer hatte einen | |
Onkel, der den väterlichen Hof nicht erben konnte und deshalb Pfleger in | |
Wehnen wurde. Nach dem Tod ihrer Angehörigen werden sie durch die Forschung | |
damit konfrontiert, sie in einem völlig anderen Licht sehen zu müssen. „Was | |
hätte er machen sollen?“, fragen sie und hören von Ingo Harms die Antwort: | |
Einen Befehlsnotstand gab es nicht. Verweigerung hätte schlimmstenfalls | |
einen Karriereknick bedeutet. | |
Die Opfer der nationalsozialistischen Idee von „Rassenhygiene“ sind auch | |
nach dem Ende des „Dritten Reichs“ Stigmatisierte geblieben. Würden ihre | |
Namen allesamt veröffentlicht, fürchtet Gertrud Knöttig vom Gedenkkreis, | |
dann würde mancher hier das Mahnmal später einmal nur besuchen, um zu | |
erfahren, „wer einen Verrückten in der Familie hat“. So bleibt es den | |
Angehörigen überlassen, ob sie „ihren“ Stein individuell beschriften | |
wollen. Wer so eine Patenschaft für einen Stein übernimmt, muss ihn | |
allerdings auch bezahlen. Mit bisher knapp zwei Dutzend Paten ist der | |
Gedenkkreis noch weit davon entfernt, die benötigten 30.000 Euro für das | |
Mahnmal aufbringen zu können. | |
Das Gewirr von Schuld und Verdrängung zieht sich mitten durch die | |
evangelische Gemeinde Ofen, die Hausherrin des Friedhofs. Dieter Thierfeld | |
vom Friedhofsausschuss weist darauf hin, dass man bereits in den 90er | |
Jahren den ehemaligen Anstaltsfriedhof würdevoll umgestaltet und ein | |
eigenes Mahnmal aufgestellt hat. Der Gedenkkreis sah darin die Einebnung | |
der Opfergräber – und das auch noch genau in dem Moment, da die | |
wissenschaftliche Aufarbeitung begann. | |
Die Gedenktafel der Gemeinde spricht von „vergessenen“ Opfern. Edda Minssen | |
vom Gedenkkreis hat seit ihrer Kindheit gegen das Schweigen gekämpft, in | |
das ihre Familie verfiel, wenn es um den Tod ihrer Mutter ging. „So | |
mancher“, sagt Dieter Thierfeld, „hat sich nicht darum gekümmert, was aus | |
seinen Angehörigen geworden ist.“ Bischof Peter Krug wird die neue | |
Erinnerungsstätte am 31. August einweihen. Erst einmal ohne Inschrift | |
einweihen: Was einmal darauf zu lesen sein wird, wird weiter diskutiert. | |
25 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
ANNEDORE BEELTE | |
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