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# taz.de -- Ich konfrontiere die Zuschauer mit sehr roher Realität
> KÜNSTLERINNEN-SCHICKSAL Regisseur Bruno Dumont über „Camille Claudel,
> 1915“, die strukturelle Gewalt der Anstalt und Juliette Binoches
> Diskretion am Set
INTERVIEW ANDREAS BUSCHE
taz: Monsieur Dumont, Ihre Filme spalten das Publikum, aber auch die
Kritik. Welche Gefühle wollen Sie mit Ihren Filmen beim Zuschauer auslösen?
Bruno Dumont: Ich denke, die Leute fühlen sich von meinen Filmen
provoziert, weil sie mit einer bestimmten Erwartungshaltung ins Kino gehen.
Sie wollen unterhalten werden. Ich bin dagegen vor allem an menschlichen
Erfahrungen interessiert. Meine Aufgabe besteht darin, die harsche Realität
von Camille Claudels Leben zu beschreiben. Auf die Gefühle des Zuschauers
kann ich dabei keine Rücksicht nehmen.
Sie haben Camille Claudels Leben in der Anstalt als „Nichts“ beschrieben.
Ihr Film ist sehr reich, und trotzdem spürt man diese große Leere.
Ich glaube an das Prinzip der Reduktion. Je weniger Handlung ein Film hat,
desto konzentrierter ist die Inszenierung. Dies gilt ebenso für den
Zuschauer: Ein Minimum an Aktion steigert die Wahrnehmung von winzigen
Nuancen, weil der Zuschauer plötzlich gezwungen ist, selbst aktiv zu
werden.
Denken Sie, dass die formale Reduktion Ihren Figuren menschlich eher
gerecht wird?
Meine Absicht war zunächst, die Wahrnehmung für die Krankheit zu schärfen,
die für die Frauen, die Camille umgeben, die einzige Realität darstellt.
Ich halte einen dokumentarischen Ansatz für die beste Wahl, um Camilles
Situation zu beschreiben. Wenn sie in der zweiten Hälfte des Films
schließlich ihre Stimme findet und ihre Gefühle mit ihren eigenen Worten
zum Ausdruck bringt, hat der Zuschauer bereits einen sehr genauen Eindruck
von den Lebensumständen.
„Camille Claudel, 1915“ ist Ihr erster biografischer Film. Was hat Sie an
der Figur der Bildhauerin gereizt?
Mich faszinierte, dass nur wenige Quellen existieren über die dreißig
Jahre, die Camille Claudel eingesperrt verbrachte. Ich war also großenteils
auf medizinische Befunde angewiesen, um ihren Alltag in der Anstalt zu
beschreiben. Die Briefwechsel zwischen Claudel und ihrem Bruder Paul
dienten mir als Grundlage für die gesprochenen Texte. Aus diesen beiden
historischen Quellen entstand der Film.
Wie viel Raum zur Interpretation haben Sie zugelassen?
Die Dokumente liefern lediglich Fakten und Worte. Ich habe in „Camille
Claudel“ aber auch mit geistig behinderten Menschen gedreht, und unter
diesen Umständen muss man mit dem arbeiten, was einem die Darsteller
anbieten. Sie spielen schließlich keine Rollen, sondern sie sind sie
selbst. Das wollte ich als Regisseur respektieren.
Sie haben einmal gesagt, dass das Kino viel zu abhängig sei von Handlung,
Sujet und Figuren. „Camille Claudel“ wirkt wie die Antithese zu dieser
Aussage. Sie arbeiten zum Beispiel mit ungewöhnlich vielen Close-ups.
Ich sehe „Camille Claudel“ nicht unbedingt als eine Abkehr von meiner
Philosophie als Filmemacher, obwohl Sie insofern recht haben, dass ich es
dieses Mal vorgezogen habe, meinen Darstellern etwas näher zu kommen als in
meinen bisherigen Filmen. Jede Geschichte erfordert eine andere Distanz zu
ihren Figuren, aber meine Aufmerksamkeit ruht dabei stets auf der Kamera,
nie auf den Schauspielern. Ich gebe meinen Darstellern eine Reihe von
technischen Limits, innerhalb derer sie arbeiten dürfen.
Sie kommen von der Philosophie, haben also bisher mit Worten und mit
Bildern gearbeitet. Welchen Ausdruck empfinden Sie als direkter?
Wir erleben die Wirklichkeit mit allen unseren Sinnen. Worte wirken dagegen
wie ein Filter des menschlichen Ausdrucks, weil in ihnen Erfahrungen
bereits verarbeitet sind. Darum ziehe ich es vor, den Zuschauer mit einer
sehr rohen Realität zu konfrontieren. Das Grübeln und die Worte setzen in
„Camille Claudel“ erst spät ein. Sobald Camille versucht, sich verbal zu
artikulieren, beginnt sie automatisch auch, sich selbst zu belügen.
Sie haben in Ihren bisherigen Filmen bevorzugt mit Laiendarstellern
gearbeitet. Wie schwierig ist es für eine professionelle Schauspielerin wie
Juliette Binoche, ihre antrainierten Manierismen abzulegen?
Das kann man nicht pauschalisieren. Juliette wollte mit mir arbeiten, daher
wusste sie, worauf sie sich einlässt. Vielleicht wollte sie sich einmal von
einer bestimmten Form der Schauspielerei befreien. Am Set war sie sehr
diskret. Sie hat sich ohne Allüren in die Gruppe der kranken Frauen
eingefügt.
Die Gewalt in „Camille Claudel“ ist im Gegensatz zu ihren bisherigen Filmen
nicht äußerlich, sondern strukturell.
Gewalt ist ein Aspekt einer mentalen Störung. Ich musste also nicht mehr
tun, als die Präsenz von Gewalt spürbar zu machen. Ich schuldete es diesen
Menschen, die Ausprägung ihrer Krankheit nicht zu überzeichnen; ich wollte
mich ihrem Leben so objektiv wie möglich nähern.
Ihr Film spielt in einem weitgehend abstrakten Raum. Erst mit dem Auftritt
von Paul im letzten Drittel nimmt Camilles Hölle konkrete Züge an, weil
hinter der institutionellen Unterdrückung plötzlich die akute Gewalt in
Form eines religiösen Fanatismus zum Vorschein kommt.
Paul ist eine wichtige Figur, weil er im Schlussakt alles zuvor Gesehene in
ein gesellschaftliches Verhältnis setzt. Man beginnt zu verstehen, dass
Camille aus einer strengen katholischen Familie stammte, die ein Verhalten
abseits der Norm nicht duldete. Da haben Sie im Grunde auch wieder Ihren
Gewaltausbruch. Die Gewalt ist in der Familie.
■ 16. 2., Haus der Berliner Festspiele, 19.30 Uhr
15 Feb 2013
## AUTOREN
ANDREAS BUSCHE
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