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# taz.de -- Google sucht dich
> Willkommen im Überwachungskapitalismus
von Shoshana Zuboff
Es war im Juli 2016. Für David ging ein zermürbender Arbeitstag zu Ende.
Stundenlang hatte er in einem verstaubten Gerichtssaal in New Jersey, in
dem die Klimaanlage ausgefallen war, Zeugenaussagen zu einem
Versicherungsfall aufgenommen. Zu Hause angelangt kam ihm die kühle Luft
wie ein Bad im Ozean vor. Zum ersten Mal an diesem Tag konnte er tief
durchatmen. Er machte sich einen Drink und gönnte sich eine lange Dusche.
Kaum spürte er das warme Wasser auf seinem schmerzenden Rücken, klingelte
es an der Tür. Draußen standen ein paar Teenager, die ihm ihre Handys
entgegenstreckten. „Hey, Sie haben da ein Pokémon in ihrem Garten. Das
gehört uns! Ist es okay, wenn wir hinters Haus gehen, um es zu fangen?“
David staunte: „Ein was?“ Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon sie
redeten. Aber er sollte es bald erfahren.
An diesem Abend klingelte es noch viermal. Alle wollten unbedingt in seinen
Garten und wurden richtig sauer, wenn er sie wegschickte. Sie unterhielten
sich aufgeregt, während sie auf ihren Smartphones sein Haus und seinen
Garten nach ihren Kreaturen der sogenannten erweiterten Realität (augmented
reality) absuchten. In dem Ausschnitt der Welt, den sie gerade wahrnahmen,
sahen sie nur ihre Pokémon-Beute, sonst nichts.
Das Spiel Pokémon Go hatte Davids Haus mitsamt seiner Umgebung quasi
usurpiert und in eine riesige Menge von GPS-Koordinaten umgewandelt. Es war
eine ganz neue Art kommerzieller Freibeuterei: die faktische Enteignung
einer privaten Sphäre zum Zweck der Gewinnmaximierung mittels Umwandlung
der realen Welt in lauter entgrenzte leere Flächen, an denen sich andere
Leute bereichern dürfen.
Wann hört das endlich auf, dachte David verzweifelt. Was gibt ihnen das
Recht dazu? An wen kann ich mich wenden, damit das unterbunden wird? Weder
ihm noch den Pokémon-Jägern kam der Gedanke, dass das, was sie
zusammenbrachte, ein ganz neues und unverschämtes Geschäftsmodell war: der
Überwachungskapitalismus.
Bis 1999 hatte Google trotz seiner neuen Suchmaschinenwelt, trotz der
ständigen Weiterentwicklung seiner IT-Kapazitäten und trotz der tollen
Namen seiner Risikokapitalgeber noch keine Methode gefunden, um das Geld
der Investoren in verlässliche Einnahmen zu verwandeln.
Die Google-Nutzer lieferten zwar Rohmaterial in Form von Daten über ihr
Verhalten und ihre Vorlieben, aber diese Daten wurden nur gesammelt, um die
Geschwindigkeit, Genauigkeit und Relevanz der Suchergebnisse zu verbessern
und die Entwicklung von neuen Produkten wie Übersetzungen zu unterstützen.
Bei diesem heiklen Kräftegleichgewicht wäre es finanziell riskant und
vermutlich sogar kontraproduktiv gewesen, die Nutzer für die Suchdienste
zur Kasse zu bitten. Suchergebnisse zu verkaufen hätte wiederum einen
Präzedenzfall geschaffen, der Google selbst hätte gefährlich werden können,
denn man hätte Geld verlangt für indexierte Informationen, die
10 Jan 2019
## AUTOREN
Shoshana Zuboff
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