# taz.de -- Das große Uran-Komplott | |
> Der französische Konzern Areva und seine dunklen Geschäfte in Afrika | |
Bild: Bakouma 2015: Hinterlassenschaften eines Konzerns | |
von Juan Branco | |
Wie ein blutroter Strich zieht sich die Straße aus glutheißem Lateritstein | |
durch die grüne Landschaft. 134 Kilometer Piste, vergessen von der Zeit und | |
von der Welt, verbinden die Stadt Bangassou mit dem Dörfchen Bakouma. | |
Die Straße wurde vor fünf Jahren mithilfe riesiger Maschinen im Rekordtempo | |
gebaut. Damals verhieß sie der Zentralafrikanischen Republik, einem der | |
ärmsten Länder der Welt, einen ökonomischen Entwicklungsschub, den | |
Straßenarbeitern ein Stück Wohlstand und Frankreich eine Energiequelle für | |
hundert Jahre. | |
Ersonnen und geplant wurde diese Lebensader einer neuen Welt irgendwo | |
zwischen Südafrika, Toronto, Paris und den Jungferninseln. Heute wird die | |
Piste an vielen Stellen von der wuchernden Vegetation verschlungen, sie ist | |
mit unzähligen Rissen durchzogen und von Schmetterlingen und roten Ameisen | |
bevölkert. Von der Größe der ersten Tage ist nichts mehr übrig. Zurück | |
bleibt die Stille – und einer der größten Industrieskandale des 21. | |
Jahrhunderts. | |
Zwei Tage dauert die Autofahrt von der Hauptstadt Bangui nach Bakouma. Für | |
die letzten Stunden steigen wir auf ein Motorrad um, das ständig den Geist | |
aufzugeben droht. Wo die Piste vollends unpassierbar wird, geht es zu Fuß | |
unter sengender Sonne weiter, hinweg über die letzten Wasserläufe, die den | |
unberührten Wald der Präfektur Bangassou durchziehen. | |
Endlich taucht Bakouma auf: ein paar Hütten aus dem Lehm, der hier der | |
Mutterboden ist, die Dächer mit trockenen Ästen gedeckt, im Inneren nackte | |
Bettroste, ohne Matratzen. Ein Ort ohne besondere Gerüche und Farben, auf | |
den das ganze Jahr die Sonne brennt, von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr | |
abends. Ein Ort der Selbstgenügsamkeit, die immer wieder von seltsamen | |
Pilgern aufgestört wurde. Von Leuten, denen die Geldgier aus den Augen | |
leuchtete und die stets wieder ernüchtert abzogen – ohne das goldene Gift, | |
das sie gesucht hatten. Das goldene Gift heißt Uran. | |
Es lagert in riesigen Mengen in der Erde um Bakouma. Einst hatte dieses | |
Mineral dem Westen die Ewigkeit versprochen. Für die Einheimischen ist es | |
mittlerweile ein Fluch, der Tag für Tag bedrohlicher wird. Bakouma ist aber | |
auch der Ort, wo die Geheimnisse des Zusammenbruchs Arevas, des größten | |
Nukleartechnikkonzerns der Welt, verborgen liegen. | |
2007 hatte der französische Konzern das Unternehmen UraMin gekauft, das | |
seit 2006 die Schürfrechte für Bakouma besaß (siehe Chronologie rechts). | |
Die „Entdeckung“ riesiger Uranvorkommen im Osten der Zentralafrikanischen | |
Republik hatte so große Hoffnungen geweckt, dass der damalige | |
Staatspräsident, General François Bozizé, von Areva ein Atomkraftwerk | |
verlangte. Das sollte direkt neben dem Dorf entstehen, das bis dahin weder | |
mit Trinkwasser noch mit Strom oder Telefonanschlüssen versorgt war. Die | |
Konzernleitung hätte lieber Schulen, Sportstätten und Krankenhäuser | |
errichtet, wofür sie eine Milliarde Euro ausgeben wollte. | |
## Der Giftmüll bleibt in derZentralafrikanischen Republik | |
Am 10. August 2008 wurde ein Vertrag unterzeichnet, der mit finanziellen | |
Anreizen für die afrikanischen Vertragspartner gespickt war. Kurz darauf | |
flossen 8 Millionen Dollar aus Sonderfonds von Areva an das | |
Finanzministerium in Bangui. Bald darauf erstickte die vormals | |
verkehrsträge Hauptstadt in neuen Autos und riesigen Baumaschinen. Mehr als | |
hundert einheimische Arbeitskräfte wurden eingestellt, an der Universität | |
von Bangui sollten Geologen und Topografen ausgebildet werden. Im März 2011 | |
tauchte Präsident Bozizé persönlich in Bakouma auf, um den Beginn eines | |
glorreichen Zeitalters zu verkünden. | |
Doch der große Traum verwandelte sich bald in den üblichen Albtraum der | |
Globalisierung. Einen Monatslohn von 70 Euro zahlte Areva seinen Arbeitern | |
in Bakouma, bei einer Siebentagewoche und 13 Stunden pro Tag – „ohne | |
Mittagspause“, wie sich ein ehemaliger Minenarbeiter erinnert; „alle zwei | |
Wochen hatten wir einen freien Tag“, erzählt Sylvain Ngueké, „aber den | |
mussten wir bei extremer Hitze und ständiger radioaktiver Strahlung auf dem | |
Minengelände verbringen“. Der stellvertretende Minendirektor habe als | |
höchstbezahlter einheimischer Manager 700 000 CFA-Franc (etwa 1500 Euro) im | |
Monat bekommen, berichtet ein anderer Arbeiter, der seit drei Jahren um | |
eine Abfindung kämpft. | |
Acht Jahre und einen Bürgerkrieg später ist Bozizé im Exil und die Mine in | |
Bakouma stillgelegt. In der Zentralafrikanischen Republik liegt die | |
Lebenserwartung immer noch bei 50 Jahren, das BIP pro Kopf bei 350 Dollar. | |
Die versprochenen Straßen, Krankenhäuser und Schulen wurden nie gebaut. | |
Kinder mit Hungerbäuchen stromern zwischen den Lehmhütten von Bakouma, wo | |
es früher keinen Hunger gab. Der letzte Arzt wurde gerade abgezogen, die | |
Trinkwasserversorgung, die kurze Zeit funktioniert hatte, ist | |
zusammengebrochen, ebenso das Strom- und das Telefonnetz. | |
Der Niedergang begann im Mai 2012, kurz vor den französischen | |
Präsidentschaftswahlen. Wie an jedem ersten Sonntag des Monats war | |
Gianfranco Tantardini, der Direktor der Uranmine, mit einem kleinen Flieger | |
von Bangui nach Bakouma geflogen, um zusammen mit den Arbeitern in der | |
Dorfkirche die Messe zu besuchen. Der italienische Exmarineoffizier mit | |
französischem Pass, ein 50-jähriger Koloss mit rasiertem Schädel, hatte | |
zwischen 2002 und 2004 ein Atom-U-Boot kommandiert. Nun saß er zwischen | |
seinen Arbeitern auf einer Holzbank und lauschte dem Priester. | |
Eugénie Damaris Nakité Voukoulé, die Bürgermeisterin von Bakouma, erinnert | |
sich genau an den weißen Mann, denn sie „den Riesen“ nannten. Die Mine | |
beschäftigte 133 Arbeiter, von denen 127 einheimisch waren. Nie wird | |
Eugénie den Tag vergessen, an dem Tantardini nach der Messe das gesamte | |
Personal versammelte, um zu verkünden, dass Bakouma „ruhen“ werde. Kurz | |
nach der Übernahme von UraMin durch Areva hatte man den Beschäftigten 50 | |
Jahre Arbeit versprochen; in ihren Arbeitsverträgen waren regelmäßige | |
Lohnerhöhungen und Prämien festgeschrieben. | |
Beim Gang durch das hohe Gras ist das Hemd sofort durchgeschwitzt, das | |
Atmen fällt schwer bei 35, 36, 37, 40 Grad. Ständig piept der Geigerzähler. | |
Das Minengelände von Bakouma sieht aus wie das no-man’s land in | |
Tarkowskis „Stalker“: ein verfluchter Ort, wo Vegetation, Ruinen und Rost | |
ineinander übergehen. In diesem radioaktiven Kessel sind 40 Jahre | |
französisch-afrikanischer Beziehungen konzentriert, Jahre voller | |
gescheiterter Großprojekte. | |
Eine dicke Schicht aus Schlamm und Laub überzieht die vor vier Jahren | |
verlassenen Gerätschaften. Überall liegen Plastikdosen herum, die zur | |
Aufbewahrung der Mineralproben dienten, nicht weit davon hermetisch | |
verschließbare Aluminiumsäcke, in denen radioaktive Mineralien | |
transportiert wurden. Das Unternehmen hat sie nie entsorgt, jetzt sind sie | |
alle aufgerissen. Wahrscheinlich hätten die Leute gedacht, das seien | |
Behältnisse für Lebensmittelbeutel, meint ein früherer Areva-Angestellter. | |
Schwierige und unerlässliche Arbeiten wie das Vergraben radioaktiver | |
Abfälle und die Dekontaminierung der Infrastruktur wurden nie durchgeführt. | |
Und bei der Sicherung des Standorts, der eine große Gefährdung für die | |
Bevölkerung in der Umgebung darstellt, wurden elementare Regeln missachtet. | |
Es gibt nicht einmal Warnschilder oder Zäune, die den Zugang verwehren. Das | |
gesamte Minengelände ist strahlenbelastet. Zwischen einem kleinen Maisfeld | |
und einer Zebuherde liegen radioaktive Abfälle herum. Hier übersteigt die | |
Strahlung den natürlichen Wert um das 40-Fache.[1]Damit liegt sie 17-mal | |
höher als die Maximaldosis, die in Frankreich für Angestellte von | |
Atomanlagen zulässig ist. Die sanitäre Infrastruktur wurde mit der | |
Abreise der letzten Ausländer vollständig zerstört, die medizinischen Akten | |
der lokalen Mitarbeiter sind verschwunden. Es gibt keinerlei Nachsorge. | |
Die Pariser Zentrale von Areva, dessen Hauptaktionär das staatliche | |
Commissariat à l’énergie atomique ist, hat im März 2015 Verluste in Höhe | |
von 4,8 Milliarden Euro bekannt gegeben und eine Umstrukturierung | |
angekündigt, die 6000 Arbeitsplätze einsparen soll. Ein Großteil der | |
erforderlichen Rekapitalisierungssumme von 5 Milliarden Euro wird vom | |
französischen Staat garantiert. Bis 2017 soll die Reaktorsparte vollständig | |
vom ebenfalls staatlich dominierten Unternehmen Éléctricité de France | |
übernommen werden. | |
## Bei dem Putschverschwanden die Beweise | |
Der Industrieskandal des Jahrhunderts und die astronomischen Summen, um die | |
es geht, scheinen Lichtjahre entfernt von dem kleinen zentralafrikanischen | |
Dorf. Wie ist zu erklären, dass Areva mehrere Milliarden Euro für den Kauf | |
von drei Minen in Namibia (Trekkopje), Südafrika (Ryst Kuil) und | |
Zentralafrika (Bakouma) bezahlt hat, um sie dann Hals über Kopf zu | |
schließen, ohne ein einziges Gramm Uran abgebaut zu haben? 4,8 Milliarden | |
Euro Verlust – auf diese Summe kommt man, wenn man die Haushaltsvolumen der | |
Zentralafrikanischen Republik über die letzten 20 Jahre addiert. | |
Als wir das alles Bürgermeisterin Voukoulé erläutern, die mit über 70 noch | |
jeden Tag auf dem Feld arbeitet, lässt sie uns die Zahlen, um die es geht, | |
dreimal wiederholen. Sie erinnert sich genau, dass sie zwei Jahre brauchte, | |
um Areva 100 000 CFA-Franc (200 Euro) als einzige Investition abzuringen, | |
die der Konzern dem Dorf spendiert hat: für die Renovierung ihres | |
Amtsgebäudes. Von den zugesagten 400 000 Euro für Sozial- und | |
Gesundheitsausgaben – weniger als 0,5 Prozent der geplanten | |
Investitionssumme für die Mine und 0,01 Prozent der | |
Gesamtinvestitionssumme – ist nichts zu sehen. „Die einzige soziale | |
Aktivität, die Areva organisierte, war der monatliche Grillabend des Chefs | |
für seine Expat-Freunde“, schimpft ein Dorfbewohner. | |
Für den Rückzug aus Bakouma präsentiert Areva auf seiner Homepage folgende | |
lapidare Begründung: „Wegen des niedrigen Uranpreises nach Fukushima und | |
der seit mehreren Monaten im Lande herrschenden Unsicherheit hat Areva im | |
September 2011 die Einstellung der Urangewinnung in Bakouma, | |
Zentralafrikanische Republik, bekannt gegeben.“ Tatsächlich wurde der | |
Standort übernommen, als die Nachfrage nach Uran hoch war. Damals hatte der | |
Kurs auf dem Spotmarkt – also der Preis bei direktem Kauf – seinen | |
Gipfelpunkt erreicht. Das entsprach jedoch nicht der Realität eines | |
Marktes, auf dem vor allem die langfristigen Verträge zählen und der damals | |
relativ geringe Kursschwankungen aufwies. | |
Tatsache ist, dass die Abwicklung der Mine in Bakouma schon vor dem | |
AKW-Unfall von Fukushima (März 2011) begonnen hatte – und kurz nachdem | |
Areva in andere Vorkommen investierte, vor allem in der Mongolei und in | |
Kanada, wo der Konzern eine Beteiligung an der riesigen Uranmine von Cigar | |
Lake erwarb. „In Wirklichkeit wurde niemals Abbaugerät nach Bakouma | |
gebracht“, verrät ein Areva-Manager, der damals vor Ort war. „Wir ahnten | |
seit 2009, dass es hier keine Urangewinnung geben würde.“ Das war zwei | |
Jahre vor Fukushima. | |
Das Sicherheitsargument steht auf noch schwächeren Beinen. Tatsächlich hat | |
sich die politische Lage erst anderthalb Jahre später deutlich | |
verschlechtert. In einer Mitteilung erwähnt Areva einen Rebellenangriff vom | |
24. Juni 2012. An jenem Tag haben Bewohner von Bakouma allerdings | |
beobachtet, wie Tantardini selbst einige Rebellen zur Mine führte. „Er | |
sagte ihnen, sie könnten ‚plündern‘, was sie wollten“, erzählt ein Geo… | |
der anonym bleiben möchte, „und die Männer der Sicherheitsfirma wies er an, | |
nicht zu schießen.“ An denselben Vorfall erinnert sich ein Franzose, der | |
von Areva als Unterauftragnehmer angeheuert war: „Wenn wir mit den Männern | |
von Areva über den Angriff gesprochen haben, dann immer mit einem halben | |
Grinsen.“ Kurz vor dem „Überfall“ hatte Tantardini alle vertraulichen | |
Dokumente und die meisten Spezialisten in die Hauptstadt geschickt. | |
Das Schicksal der Mine von Bakouma hat nichts mit Industrie- oder | |
Energiepolitik zu tun. Es handelt sich vielmehr um einen | |
politisch-juristischen Riesenskandal: die sogenannte UraMin-Affäre, die | |
Frankreich schon seit drei Jahren beschäftigt. | |
Die Firma UraMin wurde Anfang 2005 von Stephen Dattels und Jim Mellon mit | |
einem Startkapital von 100 000 Dollar (91 000 Euro) gegründet.[2]UraMin | |
investierte in drei Vorkommen in Südafrika, Namibia und Zentralafrika, wo | |
es zahlreiche Probebohrungen veranlasste, um den Wert der Minen zu erhöhen | |
und so seine Bilanz aufzubessern. Anfang 2007 verfügte die Firma über | |
Aktiva in Höhe von 150 Millionen Dollar, wovon weniger als 50 Millionen im | |
Bergbau angelegt waren. Als Areva kurz darauf, im Juni 2007, das junge | |
Unternehmen kaufte, zahlte der Konzern den stolzen Preis von 2,5 Milliarden | |
Dollar (1,86 Milliarden Euro). | |
Der Ablauf erinnert verdächtig an die Geschichte dreier anderer | |
Dattels-Unternehmen, die für ebenso absurde Summen von großen | |
Staatskonzernen übernommen wurden und anschließend rasch vom Radar und aus | |
den Bilanzen verschwanden. Das gilt etwa für das Unternehmen Oriel | |
Ressources PLC, dessen Wert in den Monaten vor der Übernahme durch den | |
russischen Mechel-Konzern um 60 Prozent gestiegen war und das in den Panama | |
Papers als Teilhaber an drei Firmen auftaucht, die auf den Britischen | |
Jungferninseln registriert waren.[3] | |
2010 verlor Areva weitere Hunderte Millionen Euro beim Kauf von Dattels’ | |
Anteilen des Unternehmens Marenica Energy, das eine nie genutzte Mine in | |
Namibia besitzt, und durch die Übernahme der Nickelmine Weda Bay in | |
Indonesien, die für 198 Millionen Euro an die damalige Areva-Tochter Eramet | |
ging. Auch diese Mine „ruht“ und wurde nie ausgebeutet. | |
Wie lässt sich eine solche Aneinanderreihung ruinöser Operationen erklären? | |
Nach einem Bericht der Johannesburger Zeitung Mail & Guardian wurde UraMin | |
von Areva zu einem weit überhöhten Preis gekauft, um über diesen Umweg | |
mehrere Hundert Millionen Euro an den Clan des damaligen südafrikanischen | |
Präsidenten Thabo Mbeki abzuzweigen, der zu den Hauptaktionären von UraMin | |
gehörte.[4]Im Gegenzug hoffte Areva, eine Ausschreibung Pretorias über den | |
Bau mehrerer Atomkraftwerke und eine Fabrik zur Urananreicherung zu | |
gewinnen. | |
Ähnliches vermutet ein ehemaliger Bergbauminister der Zentralafrikanischen | |
Republik: „Wir dachten gleich, dass Areva UraMin als Deckmantel benutzt. | |
Auf jeden Fall wussten alle, dass UraMin für das große Atomunternehmen nur | |
als Türöffner dienen sollte.“ Der Exminister fährt heute in einem | |
Geländewagen mit Chauffeur und besitzt mehrere Grundstücke in Frankreich, | |
finanziert mit den „Boni“ der Bergbauunternehmen. Er empfängt uns im | |
einzigen Fünfsternehotel der Hauptstadt, wo eine Übernachtung so viel | |
kostet, wie seine Landsleute durchschnittlich im ganzen Jahr verdienen. | |
„Diese Geschäfte wurden direkt im Präsidentenpalast verhandelt, aber es | |
zirkulierten darüber Informationen. Als wir die Schürfrechte für Bakouma | |
öffentlich auslobten, boten die Areva-Leute eine derart lächerliche Summe, | |
dass wir gezwungen waren, das Angebot von UraMin anzunehmen. Anschließend | |
nutzten sie die Chance, die Lizenz von UraMin zu einem überhöhten Preis zu | |
kaufen, was einer Verschleuderung öffentlicher Gelder gleichkommt.“ | |
Dem Staatskonzern Areva werden Korruption und schwere Versäumnisse mit | |
gesundheits- und umweltschädlichen Folgen vorgeworfen, unter anderem in | |
China, Südafrika, Niger, Deutschland, Namibia und Gabun. Seine Rolle für | |
Frankreichs zivile und militärische Nuklearindustrie, die zum Teil der | |
militärischen Geheimhaltung unterliegt, wurde Anfang der 2000er Jahre zügig | |
umorganisiert. Treibende Kraft war dabei die neue Konzernchefin Anne | |
Lauvergeon, die in allen politischen Lagern gut vernetzt ist. | |
Lauvergeon bekam einen ungewöhnlich großen Handlungsspielraum gewährt, | |
sodass sie sich den staatlichen Kontrollbehörden entziehen und pharaonische | |
Projekte in Angriff nehmen konnte, die das Unternehmen an den Rand des | |
Abgrunds führten. Die Übernahme und alsbaldige Schließung der Lagerstätten | |
von UraMin erfolgte unter direkter Aufsicht des damaligen | |
Wirtschaftsministers Thierry Breton und später von Patrick Balkany, einem | |
engen Vertrauten von Präsident Nicolas Sarkozy. | |
Balkany gelang es 2008, den Zorn des zentralafrikanischen Präsidenten zu | |
besänftigen: „Bozizé hatte den Braten gerochen“, erzählt uns ein damalig… | |
hoher Staatsbeamter. „Als er ahnte, was sich da zusammenbraute, hat er die | |
Schürfrechte für Bakouma blockiert und gedroht, die Lizenzen zu annullieren | |
und die Ausschreibung zu wiederholen.“ Wie aus einer Klage der | |
Zentralafrikanischen Republik hervorgeht, kassierte Balkany für seine | |
Schlichterdienste eine Kommission von 5 Millionen Euro. | |
Die entscheidende Frage lautet: Warum war der Areva-Konzern bereit, für das | |
Uranvorkommen, das er wohl besser kannte als alle anderen, das 30-Fache | |
seines Wertes zu zahlen? Und am Ende, nachdem er angeblich knapp 100 | |
Millionen Euro investiert und an allen politischen Strippen gezogen hatte, | |
die ganze Anlage dem Verfall zu überlassen? Da der Konzern außerstande ist, | |
für diesen Ablauf eine klare Erklärung zu geben, präsentieren Experten wie | |
der Schriftsteller und Afrikakenner Vincent Crouzet, der | |
Untersuchungsrichter Marc Eichinger und der ehemalige zentralafrikanische | |
Vizeaußenminister Saïf Durbaar folgende Interpretation: Die Übernahme von | |
UraMin könnte einzig dem Zweck gedient haben, ein gigantisches System von | |
Kick-back-Zahlungen zu arrangieren, das letztlich französischen Interessen | |
dienen sollte.[5] | |
Durbaar wurde am 2. Juli 2015 von einem französischen Untersuchungsrichter | |
befragt. Er war in Frankreich verhaftet und wegen Betrugs zu drei Jahren | |
Haft verurteilt worden, seltsamerweise aber nach drei Monaten freigelassen, | |
was er selbst einer Einigung mit dem Geheimdienst zuschreibt.[6]Obwohl der | |
Name Durbaar in zahllosen Artikeln über die UraMin-Affäre auftaucht, | |
versicherte uns Éliane Houlette, die Leiterin der französischen | |
Finanzstaatsanwaltschaft, zweimal, sie habe „nie von ihm gehört“. Nach | |
monatelanger Untätigkeit sah sich ihre Behörde im März 2015 gezwungen, zwei | |
Ermittlungsverfahren wegen Betrugs, Bestechung ausländischer Amtsträger und | |
Vorlage falscher Bilanzen zu eröffnen. | |
## Die Spur führtnach Südafrika | |
Als Antwort auf unsere Anfrage übersandte Areva lediglich eine | |
Presseerklärung mit der Behauptung, das Unternehmen sei durch die | |
Zentralafrikanischen Republik „entlastet“ worden. Von Wikileaks | |
veröffentlichte Dokumente und unsere eigenen Ermittlungen zeigen jedoch das | |
Gegenteil.[7]Étienne Huver und Boris Heger vom Journalistenkollektiv Slug | |
News, die seit Jahren über den Fall recherchieren, wurden sogar von | |
Vertretern des Verteidigungsministeriums bedroht.[8] | |
In Zentralafrika wiederum sind alle Akten zu UraMin und den Aktivitäten von | |
Areva auf geheimnisvolle Weise verschwunden, nachdem die Seleka-Miliz im | |
März 2013 mit stillschweigender Zustimmung Frankreichs den Präsidenten | |
Bozizé aus dem Amt gejagt hatte. Am Tag der Machtübernahme durch die | |
Milizen wurde das Haus des Generaldirektors für Bergbau durchsucht und | |
geplündert. | |
Vor dem überstürzten Rückzug von Areva – als bereits eine staatliche | |
Untersuchungskommission nach Bakouma unterwegs war – hat Tantardini nach | |
Aussage eines Geologen, der dabei war, seine Mitarbeiter angewiesen, „ihre | |
Papierkörbe gründlich zu leeren“. Dann formatierte er alle Festplatten neu, | |
sicherte den Server mit einem Passwort und nahm sämtliche Akten des | |
Unternehmens im Flugzeug mit nach Frankreich. Später wurde Tantardini an | |
die Spitze der Schifffahrtsgesellschaft Société nationale maritime Corse | |
Méditerranée (SNCM) befördert, wo er derzeit das Insolvenzverfahren des | |
Unternehmens beaufsichtigt. | |
Die Zentralafrikanische Republik besitzt nur noch eine Kopie eines einzigen | |
Dokuments über den „Vorgang Areva“. Damit ist eine Strafverfolgung des | |
französischen Konzerns in Bangui quasi ausgeschlossen. Der heutige | |
Bergbauminister Joseph Agbo muss deshalb seine „absolute Ohnmacht“ | |
eingestehen. Er hat mehrfach versucht, etwas zu unternehmen, aber der | |
einzige Kontakt zu Areva läuft über einen Notar, der den Konzern in | |
Zentralafrika vertritt und sich sehr wortkarg gibt. Die Arbeiter in Bakouma | |
versuchen dennoch, einen Prozess gegen Areva anzustrengen, und erklärten | |
uns, dass die Sache noch am Laufen sei. Doch der Generalstaatsanwalt in | |
Bangui, Ghislain Grésenguet, will davon „nie gehört“ haben. | |
Kein französischer Protagonist dieser Affäre war bereit, unsere Fragen zu | |
beantworten. Und Anne Lauvergeon hat seit dem Beginn ihres Verfahrens nur | |
zwei Interviews gegeben. Im Parisien versicherte sie Ende März, der Kauf | |
von UraMin habe „grünes Licht von allen Aufsichtsbehörden und vom Staat“ | |
gehabt; im Übrigen habe die Abwertung der Aktiva allen buchhalterischen | |
Normen „peinlich genau“ entsprochen. Gegenüber France 3 hat sie ihre | |
Absetzung bei Areva als Folge ihres Widerstands gegen zwei Projekte von | |
Sarkozy dargestellt: gegen die Privatisierung des Bergbaus zugunsten Qatars | |
und den Verkauf eines Atomkraftwerk an Gaddafis Libyen.[9] | |
Lauvergeon will auch nie mit ihrem Mann Olivier Fric über den Zukauf von | |
UraMin gesprochen haben. Fric war in die Übernahmeoperation verwickelt und | |
steht wegen Insiderhandels vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, kurz vor der | |
Übernahme durch Areva über eine Reihe von Mittelsmännern UraMin-Aktien | |
gekauft und damit einen Gewinn von 300 000 Euro gemacht zu haben. | |
Nach der Übernahme durch Areva hatte der UraMin-Direktor des Bergwerks in | |
Bakouma, ein Südafrikaner, die Angestellten im Camp zusammengerufen und | |
ihnen mit einer Mischung aus Frust und unternehmerischer Großspurigkeit | |
erklärt: „Mit UraMin ist es aus. Wir waren ein Hund, der bellt, aber nicht | |
frisst. Morgen kommt vielleicht ein Hund, der bellt und frisst.“ | |
1↑ Sie beträgt bis zu 3 Mikrosievert pro Stunde, während sie außerhalb des | |
Dorfes nur bei 0,08 liegt. | |
2↑ Interview mit Jim Mellon, Spears WMS Magazine,Nr. 13. | |
3↑ Siehe: offshoreleaks.icij.org/nodes/12030181. | |
4↑ „French Nuclear Frontrunner’s Toxic Political Dealings in SA“, Mail & | |
Guardian,3. August 2012. | |
5↑ Diese Theorie wird inzwischen auch von Wikileaks-Veröffentlichungen | |
gestützt; siehe „La nouvelle guerre sale pour l’uranium et les minerais | |
d’Afrique“, Dossier von Wikileaks, 5. Mai 2016; siehe auch den | |
Spionageroman von Vincent Crouzet, „Radioactif“, Paris (Belfond) 2014. | |
6↑ Siehe: „Pièces à conviction : ‚Areva, 3 milliards en fumée‘“, F… | |
10. Dezember 2014. | |
7↑ „Rapport d’activité sur la mine de Bakouma et Areva“, Wikileaks, 5. | |
Februar 2016. | |
8↑ „Areva & UraMin. Eine Zeitbombe der französischen Atomindustrie“, Art… | |
14. Mai 2015. | |
9↑ „Pièces à conviction: ‚Areva: les secrets d’une faillite‘“, Fr… | |
19. Oktober 2016. | |
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz | |
Juan Branco ist Spezialist für internationales Recht. Autor von „L’Ordre et | |
le Monde. Critique de la Cour pénale internationale“, Paris (Fayard) 2016. | |
10 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Juan Branco | |
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