# taz.de -- Aufruf gegen eine unsoziale Europapolitik: Demokratie statt Fiskalp… | |
> Die Eurokrise ist nur die Spitze einer tiefen Kapitalismuskrise, sagt | |
> eine Gruppe Wissenschaftler. Sie fordern, den EU-Fiskalpakt nicht zu | |
> ratifizieren. Krisenlösung und Europa gehen nur ganz anders. | |
Bild: Was tun gegen das Leid der Vielen? | |
Frühjahr 2012. Merkel und Sarkozy eilen von Gipfel zu Gipfel, um den Euro | |
zu retten. Der Boulevard hetzt gegen die Menschen in Griechenland. Der | |
Kampf um die Krisenlösung spitzt sich dramatisch zu: Bis Anfang 2013 will | |
ein autoritär-neoliberales Bündnis aus Kapitalverbänden, Finanzindustrie, | |
EU-Kommission, deutscher Regierung und weiteren Exportländern den jüngst in | |
Brüssel beschlossenen „Fiskalpakt“ im Schnellverfahren durch die Parlamente | |
bringen. | |
Der Fiskalpakt verordnet eine sozialfeindliche Sparpolitik und umfasst | |
Strafen gegen Länder, die sich dieser Politik widersetzen. Der Fiskalpakt | |
schränkt damit demokratische Selbstbestimmung weiter ein. Er ist | |
vorläufiger Höhepunkt einer autoritären Entwicklung in Europa. | |
Wir sind diese unsoziale und antidemokratische Politik ebenso leid wie die | |
rassistischen Attacken auf die griechische Bevölkerung. Reden wir | |
stattdessen von den menschenverachtenden Folgen dieser Politik. | |
Reden wir über die autoritäre Wende Europas und deutsche Niedriglöhne als | |
Krisenursache. Reden wir vom unangetasteten Vermögen der wenigen und dem | |
Leid der vielen. Reden wir von unserer Bewunderung für den Widerstand und | |
die Solidarität in der griechischen Bevölkerung. | |
Fordern wir das Selbstverständliche: echte Demokratie und ein gutes Leben | |
in Würde für alle – in Europa und anderswo. | |
## Eine Strukturkrise des Kapitalismus | |
Die Krise in Europa ist die Spitze eines Eisbergs. Darunter liegt eine | |
tiefe Strukturkrise des Kapitalismus. Zu viel Kapital ist auf der Suche | |
nach Profit. Doch die Profitraten sind niedrig: Die Konkurrenz ist zu groß | |
und die Löhne zu gering. Schuldenfinanziertes Wachstum und | |
Spekulationsblasen konnten den Ausbruch der großen Krise nur verzögern. | |
Nun propagiert das autoritär-neoliberale Bündnis das radikalisierte „weiter | |
so“: Spekulationsverluste sozialisieren – durch dauerhaften Schuldendienst | |
der Lohnabhängigen. Die Profitrate soll gesteigert werden – durch prekäre | |
Arbeitsverhältnisse, Lohn- und Rentenkürzungen, Sozialabbau und | |
Privatisierung. Die Folgen sind drastisch und was in Griechenland passiert, | |
droht ganz Europa: Massenarbeitslosigkeit, Verarmung breiter | |
Bevölkerungsschichten, zerfallende Gesundheitssysteme, die Zunahme | |
psychischer Erkrankungen und eine sinkende Lebenserwartung. | |
Derartige Maßnahmen können nur autoritär durchgesetzt werden. Der Putsch | |
Pinochets in Chile 1973, die IWF-Programme in afrikanischen Staaten der | |
1980er Jahre und die Transformation im Osteuropa der frühen 1990er Jahre | |
sind historische Vorläufer für Fiskalpakt & Co: Es sind Schockstrategien. | |
Mit vielen Opfern erkämpfte, soziale und demokratische Prinzipien werden | |
durch den Fiskalpakt in atemberaubendem Tempo abgeschafft, um den | |
Schuldendienst zu sichern und die Profitraten zu steigern. | |
In Italien und Griechenland setzen nichtgewählte Technokratenregierungen | |
mit Knüppeln, Tränengas und Wasserwerfern jene Spardiktate durch, die in | |
Brüssel, Frankfurt und Berlin von männerdominierten „Experten“-Gruppen | |
beschlossen werden. Der Fiskalpakt und das Gesetzespaket zur „Economic | |
Governance“ verleihen Organen wie EU-Kommission, Europäischem Gerichtshof | |
und Europäischer Zentralbank, die jenseits demokratischer Kontrolle | |
agieren, mehr und mehr Macht. Es ist perfide: Um demokratische | |
Entscheidungen gegen die neoliberale Orthodoxie zu verhindern, verstärkt | |
der Fiskalpakt das Diktat der Finanzmärkte durch Strafzahlungen an die EU. | |
Wie in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre gewinnen chauvinistische | |
und faschistische Kräfte an Einfluss, in Ungarn, Österreich, Finnland und | |
anderswo. Geschichtsvergessen macht die deutsche Regierung mit ihrer | |
kompromisslosen Austeritätspolitik reaktionäre Krisenlösungen immer | |
wahrscheinlicher. | |
## Fiskalpaket nicht ratifizieren | |
Weltweit toben Kämpfe gegen diese Politiken, vom Syntagma-Platz in Athen | |
über den Tahrirplatz in Kairo und den Zuccotti-Park in New York bis zur | |
Puerta del Sol in Madrid. Die Bewegungen von Flüchtlingen und | |
WanderarbeiterInnen, mit denen diese die Außengrenzen Europas überqueren, | |
sind Teil dieser Kämpfe um ein gutes Leben. Diese Kämpfe müssen | |
grenzüberschreitend und in den „Zentren“ des autoritär-neoliberalen | |
Bündnisses geführt werden, in Paris, Brüssel, Frankfurt und Berlin. | |
Wir rufen deshalb zur Beteiligung an den kommenden Protesten auf, darunter | |
der europäische Aktionstag am 31. März, der Global Day of Action am 12. Mai | |
und die internationale Mobilisierung nach Frankfurt am Main vom 17. bis 19. | |
Mai. Wir setzen damit auf eine alternative Krisenlösung: | |
Fiskalpakt nicht ratifizieren, das EU-Gesetzespaket zur „Economic | |
Governance“ zurücknehmen; Staatsschulden streichen, | |
Kapitalverkehrskontrollen einführen und Banken in öffentliche Dienstleister | |
umwandeln; | |
gesellschaftlichen Reichtum durch ein neues Steuersystem von oben nach | |
unten umverteilen; mit einem sozial-ökologischen Investitionsprogramm | |
soziale Infrastruktur ausbauen und ökologischen Umbau vorantreiben; | |
Arbeitszeit verkürzen; | |
Politik und Wirtschaft auf allen Ebenen radikal demokratisieren; | |
die rassistische Politik der Grenzabschottung beenden, Bleiberecht und | |
Papiere für alle. | |
Gegen die autoritär-neoliberale EU der wenigen setzen wir ein | |
demokratisches und sozial-ökologisches Europa der vielen! | |
*** | |
Die ErstunterzeichnerInnen: | |
Dr. Ilker Ataç, Institut für Politikwissenschaften, Universität Wien; Dr. | |
Roland Atzmüller, Abteilung für Theoretische Soziologie und Sozialanalysen | |
(TSS), Johannes Kepler Universität Linz; Dr. Dario Azzellini, Johannes | |
Kepler Universität Linz; Simone Bader, Künstlerin, Klub2, Akademie der | |
bildenden Künste Wien; Frauke Banse, Universität Kassel; Prof. Joachim | |
Becker, Institut für Außenwirtschaft und Entwicklung, | |
Wirtschaftsuniversität Wien; Dr. Martin Beckmann, Ver.di; Dieter A. Behr, | |
Europäisches BürgerInnen Forum; Prof. Dr. Bernd Belina, Institut für | |
Humangeographie, Goethe Universität Frankfurt; Prof. of Political Economy | |
Andreas Bieler, University of Nottingham; Dr. Hans-Jürgen Bieling, | |
Professur für Politik und Wirtschaft, Universität Tübingen; Barbara Blaha, | |
Leitung Momentum-Kongress und Autorin, Wien; Dr. Manuela Bojadžijev, | |
Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität Berlin; Prof. Dr. | |
Ulrich Brand, Institut für Politikwissenschaften, Universität Wien; Prof. | |
Dr. Michael Brie, Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse, | |
Rosa-Luxemburg-Stiftung; PD Dr. Achim Brunnengräber ; Dr. Sonja Buckel, | |
Institut für Sozialforschung, Frankfurt am Main; Dr. Mario Candeias, | |
stellvertretender Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse, | |
Rosa-Luxemburg-Stiftung; Simone Claar, Goethe Universität Frankfurt; Prof. | |
Dr. Alex Demirović, Technische Universität Berlin; Prof. Dr. Frank Deppe, | |
Philipps-Universität Marburg; Petja Dimitrova, Akademie der bildenden | |
Künste Wien, 1. März - Transnationaler Migrant_innenstreik, Wien; Prof. Dr. | |
Nikolaus Dimmel, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Salzburg; | |
Werner Drizhal, Gewerkschafter in Wien; Pia Eberhardt, Corporate Europe | |
Observatory, Brüssel; Dr. Oliver Eberl, Technische Universität, Darmstadt; | |
Prof. Dr. Trevor Evans, Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin; Georg | |
Feigl, Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische | |
Alternativen; Univ.-Lektor Mag. Christian Felber, Publizist, Wien; Prof. | |
Dr. Andreas Fisahn, Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität Bielefeld; | |
Karin Fischer, Johannes Kepler Universität Linz; Prof. Dr. Andreas | |
Fischer-Lescano, Zentrum für Europäische Rechtspolitik, Universität Bremen; | |
Axel Gehring, Doktorand, Institut für Politikwissenschaft, Uni Marburg; | |
Dipl. Pol. Fabian Georgi, Institut für Sozialforschung, Frankfurt am Main; | |
Prof. Dr. Christoph Görg, Universität Kassel; Dr. Friederike Habermann, | |
freie Wissenschaftlerin; Katharina Hajek, Institut für Politikwissenschaft, | |
Universität Wien; Dr. Eva Hartmann, Universität Kassel; Prof. Dr. Frigga | |
Haug, Berliner Institut für kritische Theorie (InkriT); Prof. Dr. Wolfgang | |
Fritz Haug, Berliner Institut für kritische Theorie (InkriT); Prof. Dr. | |
Susanne Heeg, Institut für Humangeographie, Johann-Goethe-Universität | |
Frankfurt am Main; Mathis Heinrich, Phd Student, Lancaster University, UK; | |
Prof. em. für Politikwissenschaft Joachim Hirsch, | |
Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt; Julia Hofmann, Institut für | |
Soziologie, Universität Wien; Prof. Dr. Thomas Höhne, Pädagogische | |
Hochschule Freiburg; Dr. Andrej Holm, Institut für Sozialwissenschaften, | |
Humboldt-Universität Berlin; Dr. Uwe Höring; Dr. Laura Horn, Associate | |
Professor, Department of Society and Globalisation, University of Roskilde, | |
Dänemark; Nikolai Huke, Institut für Politikwissenschaft, | |
Philipps-Universität Marburg; Prof. Bob Jessop, Distinguished Professor of | |
Sociology, Lancaster University, UK; Jun. Prof. Dr. John Kannankulam, | |
Philipps-Universität Marburg; Prof. Dr. Juliane Karakayali, Evangelische | |
Hochschule Berlin; Dr. Serhat Karakayali, Institut für Soziologie, | |
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; Bernd Kasparek; Sebastian | |
Klauke, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Institut für | |
Sozialwissenschaften - Arbeitsbereich Internationale Politische Soziologie; | |
Käthe Knittler, Prekär Café, Wien; Julia König, Fachbereich | |
Erziehungswissenschaften, Universität Frankfurt am Main; Hagen Kopp, kein | |
mensch ist illegal/Hanau; Lisbeth Kovacic, PrekärCafé, Wien; Daniela | |
Koweindl, Redaktionsmitglied Kulturrisse - Zeitschrift für | |
radikaldemokratische Kulturpolitik; Anna Krämer, Goethe Universität, | |
Frankfurt am Main; Prof. Dr. Michael Krätke, Lancaster University; Dr. | |
Roland Kulke; Dr. Henrik Lebuhn, Redakteur der PROKLA - Zeitschrift für | |
kritische Sozialwissenschaft; Prof. Dr. Stephan Lessenich, Institut für | |
Soziologie, Universität Jena; Hanna Lichtenberger, Institut für | |
Politikwissenschaften, Universität Wien; Prof. Dr. em. Jürgen Link, | |
Universität Dortmund; Prof. Dr. Ulla Link-Heer, Bergische Universität | |
Wuppertal; Bettina Lösch, Privatdozentin und akademische Rätin, | |
Politikwissenschaft und politische Bildung, Universität Köln; Dana | |
Lüddemann, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Univeristät, | |
Frankfurt am Main; Prof. Dr. Margit Mayer, FU Berlin; Dr. Gabriele | |
Michalitsch, Institut für Politikwissenschaften, Universität Wien; Dr. | |
Tadzio Müller, Rosa-Luxemburg Stiftung; Lukas Oberndorfer, juridikum | |
(zeitschrift für kritik|recht|gesellschaft); Benjamin Opratko, Universität | |
Wien; Martin Panholzer, Gewerkschafter in Wien; Alexis J. Passadakis, Rat | |
von Attac Deutschland; Prof. Dr. Susanne Pernicka, Institut für Soziologie, | |
Johannes Kepler Universität Linz; Maximilian Pichl, Institut für | |
Sozialforschung, Frankfurt am Main; Univ-Doz. Arno Pilgram, Institut für | |
Rechts- und Kriminalsoziologie, Wien; Mag. Stefan Pimmer, Johannes Kepler | |
Universität Linz; Sasha Pirker, Künstlerin, Akademie der bildenden Künste | |
Wien; Oliver Prausmüller, Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und | |
umweltpolitische Alternativen; Dr. Thore Prien, Institut für Politische | |
Wissenschaft, Universität Hannover; Prof. Dr. Jörg Reitzig, Hochschule | |
Ludwigshafen am Rhein; Saida Ressel, Studentin, Philipps-Universität | |
Marburg; Dalilah Reuben-Shemia, Studentin; Dr. Thomas Sablowski, | |
Justus-Liebig-Universität Gießen; Detlef Sack, Bielefeld; Prof. Dr. Birgit | |
Sauer, Institut für Politikwissenschaften, Universität Wien; Dr. Judith | |
Schacherreiter, Abteilung für Rechtsvergleichung, Einheitsrecht und | |
Internationales Privatrecht, Universität Wien; Dr. Wolfram Schaffar, | |
Institut für Internationale Entwicklung, Universität Wien; Prof. Dr. Hans | |
Scheirl, Akademie der Bildenden Künste Wien; Sebastian Schipper, Institut | |
für Humangeographie, Frankfurt am Main; Dr. Stefan Schmalz, Institut für | |
Soziologie, Friedrich Schiller-Universität Jena; Prof. Dr. em. Dorothea | |
Schmidt, Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin; Prof. Dr. Helen | |
Schwenken, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Universität Kassel; | |
Prof. Dr. Franz Segbers, Philipps-Universität Marburg; Lisa Sigl, Prekär | |
Café, Wien; Ruby Sircar, Künstlerin, Akademie der bildenden Künste Wien; | |
Alexander Somek, Professor of Law at the University of Iowa; Prof. Dr. Ruth | |
Sonderegger, Akademie der bildenden Künste Wien; Christoph Spieker, Uni | |
Bremen; Dr. Martina Sproll, FU-Berlin; Sandra Stern, Institut für | |
Soziologie, Johannes Kepler Universität Linz; Alexandra Strickner, Obfrau | |
von Attac Österreich; Ingo Stützle, Analyse & Kritik; Prof. Dr. Günter | |
Thien, Universität Münster; Dr. Vassilis S. Tsianos, Institut für | |
Soziologie, Universität Hamburg; Dr. Bastiaan van Apeldoorn, Reader in | |
International Relations, VU University Amsterdam; Dipl. Soz. Judith Vey, | |
Goethe-Universität FFM; Björn Wagner, Friedrich-Schiller-Universität Jena; | |
Christian Weitzel, Doktorand am Institut für Europäische Studien der TU | |
Chemnitz; Dr. Christa Wichterich; Ingeborg Wick, ehem. Südwind-Institut; | |
Dr. Angela Wigger, Dozentin Global Political Economy, Radboud University | |
Nijmegen, Niederlande; Dr. Jens Wissel, Institut für Sozialforschung, | |
Frankfurt am Main; PD Dr. Markus Wissen, Universität Wien, Institut für | |
Politikwissenschaft; Peter Wahl, Mitarbeiter von WEED und Mitglied im | |
Wissenschaftlichen Beirat von Attac; Dr. Stefanie Wöhl, Freie Universität | |
Berlin; Prof. Dr. Frieder Otto Wolf, FU Berlin; Prof. Dr. ehem. Bodo | |
Zeuner, FU Berlin; Aram Ziai, Senior Researcher am Zentrum für | |
Entwicklungsforschung der Universität Bonn | |
14 Mar 2012 | |
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