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# taz.de -- taz-Debatte der Woche: Pakistans doppeltes Elend
> Die Flutkatastrophe könnte den ohnehin maroden Staat Pakistan endgültig
> zum Zerbrechen und die Islamisten an die Macht bringen.
Bild: Alles auf Null: Flutopfer nahe Peschawar, Pakistan.
Der pakistanische Staat hat schon jetzt seine Belastungsgrenze erreicht,
seine Hilfsmaßnahmen sind angesichts der gigantischen Flutkatastrophe
völlig unadäquat. Die Überflutungen könnten nun gar sein Auseinanderbrechen
zur Folge haben.
Pakistan hatte schon vor der Katastrophe einen extrem schwachen Staat. Es
gab kaum Schulen und Krankenhäuser, die Bürokratie war so ineffektiv wie
korrupt und die Justiz des Landes wurde ihrem Auftrag mitnichten gerecht.
Die Folge: Entlang der Grenze zu Afghanistan werden seit Jahren riesige
Landstriche von radikalen Islamisten und deren Freischärlern oder von
brutalen Stammesmilizionären regiert. Diese präsentieren sich jetzt den
Flutopfern als engagierte Rettungshelfer.
Im Süden des Punjab, Pakistans einfluss- und bevölkerungsreichster Provinz,
herrscht eine Armut, die man sonst nur aus Zentralafrika kennt. Die Region
gilt als riesiges Rekrutierungsfeld für Selbstmordattentäter. In
Belutschistan im Westen Pakistans schlägt die Armee seit der Staatsgründung
im Jahr 1947 immer wiederkehrende Aufstände gegen die Herrschaft Islamabads
mit großer Brutalität nieder. Diese Gegend macht etwa 40 Prozent des
Staatsgebiets aus.
Und im Süden beziehungsweise in der Metropole Karatschi haben erst diese
Woche wieder Muhajirs, die Nachfahren muslimischer Einwanderer aus Indien,
gemeinsam mit Sindhis, den Einwohnern der Region, Jagd auf Mitglieder der
paschtunischen Minderheit aus dem Nordwesten des Landes gemacht. Die Zahl
der Todesopfer seit Jahresbeginn geht in die Hunderte.
Wirklich beliebt ist der pakistanische Staat eigentlich nur bei den Eliten
des Landes. Diese wohnen am Fuße der Margalla-Hügel in ihrer in den
60er-Jahren erbauten idyllischen Hauptstadt Islamabad. Dieser Stadtteil
erinnert in weiten Teilen an Beverly Hills.
Anders als in Indien, wo die Regierungen wegen Stimmenfang nach und nach
Konzessionen an die Armen machten (etwa durch Landreformen und Ansätze
eines Sozialsystems), gebieten in Pakistan in weiten Teilen des Landes
mächtige Landlords über tausende von Kleinbauern. Damit herrscht heute
absurderweise in der "Islamischen Republik Pakistan" ein drastischeres
Kastenwesen als im hinduistischen Indien.
Pakistans größtes Problem bleibt jedoch die Armee. Seit über dreißig Jahren
kontrolliert sie das Land und ist für einen Großteil der Missstände
verantwortlich. In diesen Tagen lassen sich Pakistans Generäle von den
militärfreundlichen Medien des Landes als Retter in der Not feiern.
Das Militär kontrolliert ein gewaltiges Konglomerat an Konzernen, die in
vielen Bereichen der Wirtschaft über Monopole verfügen. Monopole bringen
die Entwicklung eines Landes nicht voran, da sie keinen Mehrwert erzeugen
und damit kein Wachstum ermöglichen. Lediglich die Offiziere, die jedes
Jahr zu tausenden nach Antreten ihres Ruhestandes hochbezahlte Stellen in
den Armeekonzernen bekommen, profitieren davon.
Die Armee, die mit ihren 620.000 Soldaten einen beträchtlichen Teil des
Staatshaushaltes verschlingt, rechtfertigt ihre privilegierte Stellung mit
der vermeintlich permanenten Bedrohung durch Indien. Kurze Zeit nach einem
Staatsbesuch von Pakistans Premier Nawaz Sharif in Indien im Jahr 1999
marschierte Pakistans Armee offenbar eigenmächtig in der Nähe der Stadt
Kargil in den indischen Teil von Kaschmir ein. Pakistans Generäle verloren
diesen Krieg wie auch alle anderen bewaffneten Konflikte zuvor.
Doch es gelang ihnen, sich als Verteidiger des Landes zu inszenieren.
Pakistan ist ein Staat geworden, der nur einer kleinen Oberschicht dazu
dient, sich zu maßlos bereichern. Die ethnischen Konflikte nehmen zu, die
soziale Ungerechtigkeit treibt den Islamisten immer mehr Menschen in die
Arme. Lediglich die Armee hält das Pulverfass gewaltsam zusammen. Dabei ist
offen, ob ihr das angesichts der Katastrophe auch weiterhin gelingt.
Die USA und auch die Europäer, allen voran Großbritannien, haben einen
erheblichen Einfluss in Pakistan. Sie sind auch die Einzigen, die die
Selbstbereicherung des Establishments zumindest eindämmen könnten. Gelingt
ihnen das nicht, könnte die Wut der Bevölkerung über die Unfähigkeit der
Behörden während der Katastrophe ein weiteres Opfer fordern: den
pakistanischen Staat selbst.
13 Aug 2010
## AUTOREN
Sascha Zastiral
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