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# taz.de -- die wahrheit: Der Weltretterritter
> Pierre Baron de Coubertin und seine olympische Idee von der "Republik der
> Muskeln"
Bild: Ob Pierre de Coubertin ahnte, dass er einmal am Strand von Travemünde au…
Der Mann wusste Bescheid. "Man muss seinen Reichtum unaufhörlich steigern",
sagte der Abkömmling aus ältestem französischem Adel. Die "Welt des Kampfes
ums Überleben" hielt er allerdings nicht für erstrebenswert, denn "zwischen
den Nationen herrscht ein Wettbewerb in Handel und Industrie", gelegentlich
auch Krieg.
Der Adlige rechnete sich selbst zur Aristokratie des Geistes, nicht zu den
Industriellen oder Großgrundbesitzern. Er wollte den aristokratisch
geprägten Eliteschulen, Clubs, Akademien, Salons und Orden im
republikanischen Frankreich der III. Republik etwas Volksnahes zur Seite
stellen - sozusagen eine soziale Beruhigungspille. Baron Pierre de
Coubertin (1863-1937) empfahl den unteren Ständen, eine "Republik der
Muskeln" zu bilden. Die Idee fand Anklang und wurde im Jahr 1896 unter dem
Namen "Olympische Spiele" verwirklicht. Geboren wurde die Idee freilich
nicht in Griechenland, sondern in Bayreuth, wohin der begeisterte
Wagnerianer Coubertin regelmäßig pilgerte. Wagners großartiger Traum vom
Gesamtkunstwerk kehrt bei Coubertin wieder als Gesamtkörperspektakel.
Die Spiele sollten dazu beitragen, die wirtschaftliche Konkurrenz unter den
Nationen und den Krieg auf den Schlachtfeldern durch den Kampf in den
Sportstadien zu ersetzen. 1912 erhielt Coubertin - unter den Pseudonym
Georg Hohrod/Martin Eschenbach - eine olympische Goldmedaille für seine
"Ode an den Sport", in der es unter anderem heißt. "O Sport, Du bist die
Schönheit! / Du formst den Körper zu edler Gestalt, / hältst fern von ihm
zerstörende Leidenschaft / und stählst ihn durch dauernde Übung". Das
heutige Symbol der Spiele - die olympischen Ringe - wurde zwar erst nach
dem Ersten Weltkrieg eingeführt, aber an die angeblich Völker verbindende
Mission des Sports glaubte bereits Coubertin - zumindest zeitweise.
Der Sport galt ihm als "eine Religion mit Kirche, Dogmen, Kult", an die
Priesterschaft der Sportjournalisten dachte er noch nicht. Die Wettkämpfer
bildeten eine Elite. "Diese Elite muss eine Ritterschaft sein. Ritter sind
in erster Linie Waffenbrüder, mutige, energiegeladene Menschen, die nicht
nur durch Kameraderie verbunden sind … sondern auf ihr liegt beim Ritter
noch der Wettkampfgedanke … des ritterlichen und doch mit Gewalt geführten
Kampfes." Die kleine Ungereimtheit, dass eine adlige "Ritterschaft" das
Rückgrat der "Republik der Muskeln" bilden soll, entging dem gelernten
Historiker. Die Zuschauer dagegen sollten sich "von nationalen Präferenzen"
lösen und "Burgfrieden halten". So weit die Theorie.
Baron de Coubertin war jedoch nicht nur Geistesaristokrat mit Hang zum
Volk, sondern auch Nationalist, berufsmäßiger Sozialistenfresser und nach
eigenem Bekenntnis "begeisterter Kolonialmann". Schon vor dem Ersten
Weltkrieg wollte er "die Rache" für die französische Niederlage im Krieg
gegen Preußen von 1870/71 vorbereiten helfen, "indem wir gute Soldaten
ausbilden". Dazu sollte der Sport und insbesondere der Schulsport
beitragen, denn: "Frankreich retten (ist) ein höchst sportliches
Unterfangen", wie er sich auszudrücken beliebte.
Mit dem Ersten Weltkrieg rutschte die Theorie vom Völker verbindenden Sport
in den Praxistest. Die von Baron de Coubertin formulierten "zehn Gebote von
1915" funktionieren nach der schlichten Devise "vom Spiel zum Heroismus."
Aus dem "höchst sportlichen Unterfangen", Frankreich zu retten, wurde
innerhalb weniger Kriegswochen die europäische "Knochenmühle" (General
Erich von Falkenhayn).
Auch Coubertins Wort vom "Burgfrieden" unter den Zuschauern bekam während
des Krieges eine ganz aparte Bedeutung: über alle Parteigrenzen hinweg
stellten sich die meisten Bürgerinnen und Bürger vorbehaltlos hinter ihre
verblendeten Eliten, die den Krieg wollten - angeblich im Namen und im
Interesse der Völker. Auf der Homepage des "International Pierre de
Coubertin Committee" ([1][www.coubertin.net]) ist darüber
selbstverständlich gar nichts zu erfahren. Da feiert man Coubertin als den
Erneuerer "der Sitten des alten Europa."
Heute sind die "Olympischen Spiele" zum kapitalen Geschäft geworden. Für
einige stimmt die Kasse, und den großen Rest befriedigt die schrille
Sportberichterstattung mit ihrer "Religion der Athleten" (Pierre de
Coubertin), einer Art Götzendienst an national dekorierten Altären. Die
sportliche Leistung von Einzelnen oder Teams wird kollektiviert und in die
wahnhafte nationale Buchhaltung der Medaillenspiegel eingearbeitet. Dank
der Medien funktioniert Sport als ein effizienter Durchlauferhitzer für ein
trübes Gemisch aus nationalem Dünkel, Kampftrinken und mehr oder weniger
offenen Gewaltfantasien.
Vor Jahren lobte der Trainer der deutschen Degenfechter seine Knechte für
ihren Trainingsfleiß und ihr Talent und tadelte zugleich, ihnen fehle "der
Killerinstinkt" und "der Wille zum Sieg". Und die Bild-Schreiber rissen
einer gescheiterten Schwimmerin den "Deutschland-Trainingsanzug" wegen
nationaler Schande verbal vom Körper, an dem sie sich in ihren
schwül-maskulin-nationalen Träumen schon als so etwas wie Miteigentümer
wähnten. Pierre de Coubertin hätte das sicher ganz und gar nicht als
ritterlich empfunden.
5 Aug 2008
## LINKS
[1] http://www.coubertin.net/
## AUTOREN
Rudolf Walther
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