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# taz.de -- das wird: „Annie Ernaux'Sprache ist so stark, dass man sie nicht …
> Im Theater soll „Das Ereignis“ das kollektive Moment des Themas
> „illegalisierte Abtreibung“ erfassen
Interview Matthias Propach
taz: Was hat Sie dazu bewegt, „Das Ereignis“ von Annie Ernaux auf die Bühne
zu bringen, Frau Engheben?
Annalisa Engheben: Die Erzählung „Das Ereignis“ handelt von der illegalen
Abtreibung einer französischen Studentin in den 1960er-Jahren. Annie Ernaux
erschafft mit präziser, schonunsgloser Sprache eine Geschichte, die
erschreckend aktuell ist.
Selbst wenn die Geschichte 1963 spielt?
Insbesondere aufgrund aktueller politischer Entwicklungen, in denen es
weltweit zu Verschärfungen der Abtreibungsgesetze kommt, sind viele
gebärfähige Menschen auch heute davon betroffen. Dieses wichtige Thema,
kombiniert mit ihrer Sprache, finde ich spannend. Das war für mich wie ein
Magnet. Ihre Sprache ist so pur, dass man sofort eintaucht. Sie erzeugt
eine intensive Nähe, erzählt diese privaten und individuellen Sachen so
direkt, dass diese zu etwas Politischem werden.
Wie sind Sie bei der Umsetzung dieser Erzählung vorgegangen?
In diesem Fall war natürlich der Text der Ausgangspunkt. Von da habe ich
mit meiner Dramaturgin Finnja Denkewitz eine Bühnenfassung geschrieben, in
der wir versucht haben, Annie Ernaux’Sprache für die Bühne zu adaptieren.
Das bedeutet konkret, dass wir einige Szenen umgeschrieben haben, sodass
sie dialogisch sind und man sie spielerischer umsetzen kann. Die
erzählerische Sprache haben wir dabei aber kaum verändert.
In „Das Ereignis“ schildert Ernaux konkret und detailliert eine illegale
Abtreibung. Wie bringen Sie das auf die Bühne?
Mein Ziel bei der Inszenierung ist es, die Erzählung in ihrer ganzen
Intimität zu erzählen. Gleichzeitig soll durch die Ästhetik, den Gestiken
der Schauspielerinnen oder den Kostümen eine Abstraktion erzeugt werden,
die dem sehr Konkreten der Sprache gegenübersteht. Dadurch möchte ich das
kollektive Moment des Themas „illegale Abtreibung“ destillieren, um an
etwas Allgemeineres anzuknüpfen, das viele gebärfähige Menschen auf der
ganzen Welt auch in der Gegenwart betrifft.
Also verzichten Sie auf drastische Bilder?
Ihre Sprache ist schon so stark mit ihren klaren Beschreibungen, dass man
das nicht eins zu eins inszenieren, nicht bebildern kann. Und das ist auch
auf jeden Fall eine Herausforderung, Bilder oder Situationen auf der Bühne
zu finden, die mit dieser Sprache zusammen wirken können. Das ist natürlich
eine Sprache, die eine wahnsinnige Macht hat. Zum Glück!
Abtreibungsverbote sind leider immer noch ein aktuelles Thema. Haben die
aktuellen Diskurse Einfluss auf die Umsetzung gehabt?
Wir haben uns sehr bewusst entschieden, die Geschichte zu erzählen, ohne
sie zu aktualisieren. Die Erzählung von Annie Ernaux sagt so viel über die
heutige Zeit, auch ohne die heutigen Diskurse in der Inszenierung explizit
zu benennen. Aber natürlich haben uns die Diskurse sehr beeinflusst, bei
den Proben, in unseren Gesprächen mit den Schauspielerinnen, mit dem Team,
weil man merkt: Es ist ein aktuelles Topic!
Annie Ernaux wurde jüngst mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Was zeichnet in
Ihren Augen Annie Ernaux als Schriftstellerin aus?
Ich finde, dass sie den Nobelpreis verdient hat. Ihre Sprache ist so
kompromiss- und schonungslos. Ihr Schreiben selbst ist ein Instrument zur
Untersuchung der Gesellschaft. Und gleichzeitig schafft sie etwas
Poetisches. Auf der anderen Seite finde ich ihren Mut bewundernswert,
inhaltlich über praktisch alles zu schreiben.
14 Oct 2022
## AUTOREN
Matthias Propach
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